Erwachsenenpädagogische Konzepte zur Reflexion über Bildung für nachhaltige Entwicklung

CC BY 4.0 Irene Cennamo und Diana Vogetseder, Universität Klagenfurt 2024| Redaktion: CONEDU
Aufgeschlagenes Buch, darauf eine Glühbirne; im Hintergrund: Phiolen und ein Whiteboard mit Begriffen aus dem Text.Foto: CC BY, CONEDU/Schnepfleitner, auf erwachsenenbildung.at

In der Erwachsenenbildung gibt es schon lange Grassroot-Traditionen und „freie“ Weiterbildungskonzepte für Bildung zu Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit wie etwa die Popular Education, Gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung, Ökofeminismus oder das Konzept der Mensch-Umwelt-Relation.

Inhalt:

Zusammenfassung:

Im Bereich des zivilgesellschaftlichen, öko-solidarischen Engagements von Erwachsenen lassen sich schon früh Grassroot-Traditionen und „freie“ Weiterbildungskonzepte auch abseits organisierter Erwachsenenbildung zu Umweltbildung und Nachhaltigkeit identifizieren. Erwachsenenpädagogische Bildungsinitiativen aus Österreich zum Thema Nachhaltigkeit weisen klare Bezüge zur gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung, zur „Popular Education“, zum „Ökofeminismus“ und zur „Mensch-Umwelt-Relation“ auf. All diese Ansätze werden beschrieben und am Beispiel des Erasmus+ Projekts „Green Community Education“ (CeduP) des Kärntner Bildungswerks veranschaulicht.

KräutergartenFoto: Alle Rechte vorbehalten, Andrea Koppitsch/Kärntner Bildungswerk, auf erwachsenenbildung.at

Das Projekt CedUP

Von November 2020 bis Oktober 2023 arbeiteten internationale Projektpartner im Erasmus+ Projekt „CEduP - Community Education in the field of environmental and climate protection as potential for civil society engagement“ an dem gemeinsamen Ziel, zivilgesellschaftliches Engagement für den Klima- und Umweltschutz zu aktivieren.

Dabei ging es darum, Handlungsoptionen für Bürger*innen in ländlichen und städtischen Gebieten zu entwickeln, das Bewusstsein für Fragen des Klimawandels zu schärfen und einen Wandel hin zu nachhaltigeren Lebensstilen zu fördern. Durch gemeinsamen Erfahrungsaustausch und Reflexion mit Expert*innen innerhalb und außerhalb des Projektteams entstand ein Leitfaden, der Methoden der Community Education für Umwelt- und Klimaschutz enthält.

Was ist Popular Education?

Neoliberale Qualifikationszwänge der spätmodernen Gesellschaft haben in den letzten Jahrzehnten alle Bereiche der Erwachsenenbildung und beruflichen Bildung durchdrungen und deren kulturelle, historisch-politische Bildungsmotive stark in den Hintergrund gedrängt. Dadurch geriet die emanzipatorische Dimension und Funktion der Erwachsenenbildung weitgehend in Vergessenheit. Popular Education umfasst ein Spektrum an erwachsenenpädagogischen Prinzipien aus der Tradition von anti-kolonialen, working-class, feministischen und anti-rassistischen Strömungen. Ihnen gemeinsam ist die andragogische Haltung und Praxis des freireanischen (bezogen auf Paulo Freire) befreienden Bildungsansatzes: Es geht um dialogische, soziale und transformative Lernprozesse von Erwachsenen und ganzen Communities. Sie begleiten das Verstehen und nachhaltige Überwinden und Verändern hegemonialer und benachteiligender (Macht-)Strukturen (siehe z.B. Beitrag „Radical popular education today“). Damit begegnet bzw. entgegnet Popular Education durch ihr kritisches Bildungspotential und ihre Orientierung am Gemeinwohl den vorherrschenden, unterdrückenden und ausbeuterischen Absichten in Gesellschaft, Erwerbsarbeit und Leben wirkmächtig.

Popular Education im Kontext der Klimakrise

Es gibt strukturelle Gemeinsamkeiten von genderbezogener Benachteiligung und ökologischen Krisen. Zu dieser strukturellen Verstrickung gehört die Marginalisierung von nicht-dokumentiertem Wissen. Alltagstaugliches „populäres“ Wissen, beispielsweise rund um lebenserhaltende Themen wie die Biodiversität, die natürlichen Kreisläufe bis hin zur nachhaltigen Veredelung von Ressourcen oder Wertschöpfung örtlicher Kultur, ist durch globalisierte Märkte und hegemoniale Diskurse stark bedroht (siehe etwa Buch „The Enviromentalism of the Poor“). Popular Education ist tief in lokalen Kontexten verwurzelt und an den lokal relevanten (Lern)Interessen der Menschen in Verbindung mit einer sozialen Praxis/Aktion ausgerichtet und kann so im Kontext der Klimakrise auf lokaler Ebene ansetzen. Dies zeigt sich etwa auch in den im Projekt CEduP vorgestellten Initiativen. Bei der Umsetzung von Bildungstagen in Gemeinden beispielsweise stehen die Bedürfnisse der Gemeindebürger*innen im Zentrum, gleichzeitig bringen diese ihr Wissen und Können ein.

Die Rolle von Bildungsaktivist*innen

Popular Education wird gegenwärtig international vergleichend neu verhandelt, wie die europäische Fachzeitschrift für Bildung und das Lernen Erwachsener (RELA) ausführt. Besonders im Kontext strukturschwacher Regionen und sozial konfliktreicher Zusammenhänge lassen sich im Feld der Popular Education und der am Gemeinwesen orientierten Erwachsenenbildung engagierte Bildungsaktivist*innen und Praktiker*innen aufspüren. Bildungsaktivist*innen wirken vielfach als kritisch-emanzipatorische Erwachsenenbildner*innen gemäß andragogischer Praxen der Popular Education. Neben bekannten Vertreter*innen wie Gabriela Mistral, Paulo Freire, Danilo Dolci, Julio Neyerere und Mergorie Mbilinmgi sowie Anton Rohrmoser existieren gegenwärtig wenig bekannte Bildungsaktivist*innen. Sie bzw. ihre Bildungsarbeit in Initiativen ist in der Erwachsenenbildungsforschung noch teilweise unbearbeitet.

Zwei Personen im Garten halten einen ApfelFoto: Pexels Lizenz, Zen Chung, https://pexels.com

Gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung

Ursprünge der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung

Die Anfänge der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung in Österreich gehen auf ihren prominenten Hauptvertreter Anton Rohrmoser zurück. Dieser war von 1966 bis 1969 in Brasilien tätig. Dort erlebte er die volksbildnerischen Methoden Paulo Freires. Rohrmoser setzte später die von Freire konzipierte Methode der Bewusstseinsbildung auch in Österreich ein. Neben der kritischen Auseinandersetzung mit hegemonialen Machtstrukturen sollen dabei auch stärkere Mitsprache und partizipative Teilhabe an gemeinschaftlichem Handeln hergestellt werden. In den 1980er Jahren waren gemeinwesenorientierte Ansätze in der österreichischen Weiterbildungslandschaft Impulsgeber für Einrichtungen der Erwachsenenbildung. Etwa der Ring Österreichischer Bildungswerke verfolgt diesen Ansatz nach wie vor (siehe etwa auch ÖVH-Artikel „Beteiligung, Bildung, Zivilgesellschaft“).

Gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung im Kontext der Klimakrise im Projekt CedUP

Wie gemeinwesenorientierte Erwachsenenbildung im Bildungskontext der Klimakrise wirken kann, zeigt zum Beispiel das Projekt CedUP. Sowohl die Projektkonzeption, als auch die Methoden und die Ergebnisse zeigen, dass CedUP an der gemeinwesenorientierten Erwachsenenbildung ausgerichtet ist. So versucht das Projekt etwa alltagstaugliches Wissen wertzuschätzen, lokales Wissen um örtliche Biodiversität hervorzubringen und zu sammeln, Ressourcen zu schonen, altersfreundliche Gemeinschaften zu schaffen, natürliche Kreisläufe zu berücksichtigen, natürliche Ressourcen zu veredeln, örtliches Kulturgut zu pflegen sowie Weiterbildungsinteressen an den örtlichen Bevölkerungsgruppen auszurichten. Diese Aspekte des gemeinschaftlichen Engagements stehen gleichfalls für öko-solidarisches Leben, Arbeiten und Wirtschaften sowie für die Übernahme von Care (-Verantwortung) für Erde, Mensch und Gesellschaft.

Illustration: Hände halten Schilder hoch: Eine Glühbirne, eine Weltkugel und ein Feminismus-SymbolGrafik: CC BY, CONEDU/Schnepfleitner, auf erwachsenenbildung.at

Ökofeminismus

Was ist Ökofeminismus?

Die kritisch-emanzipatorische Erwachsenenbildungspraxis sowie die Popular Education verfolgen ähnliche öko-sozial-gerechte Ziele wie der Ökofeminismus. Maria Mies und Vandana Shiva, zwei bedeutsame Vertreter*innen der Strömung, wiesen bereits 1995 auf den unzertrennlichen Konnex von Kapitalismus, patriarchalen Strukturen, Rassismus und ökologischer Zerstörung hin. Der Ökofeminismus kritisiert patriarchale und imperiale Strukturen, welche die Beherrschung von Natur und Lebewesen legitimieren, „als herrschaftsförmige Unterwerfung und Aneignung lebendiger ReProduktivität“, wie es die Politikwissenschaftlerin Christine Bauhardt 2019 formulierte. Er analysiert besonders die dichotome Perspektive kritisch, die Natur und Kultur, Arbeit und Leben, Mann* und Frau* künstlich trennt. Diese Trennung verdränge, dass Menschen von sozialen und ökologischen Systemen abhängig sind (siehe dazu auch Beitrag von Schramkowski und Klus im Buch „Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit“). Demgegenüber thematisiert der Ökofeminismus die Interdependenz aller sozialen, kulturellen, biologisch-ökologischen Aspekte unseres Lebens und hält das emanzipatorische Potential der Mensch-Natur-Relation dem trennenden, binären Denken machtkritisch entgegen.

Ökofeminismus im Kontext der Klimakrise

Die vier Säulen der Bildung (siehe Delors-Berichts 1996 Lernen, Wissen zu erwerben, Lernen, zu handeln, Lernen, zusammenzuleben und Lernen für das Leben sind durch die Modernisierung in den Hintergrund gerückt. Der Ökofeminismus umfasst kulturelle, soziale, wirtschaftliche, ethische und bürgerschaftliche Dimensionen des Lernens Erwachsener. Er kritisiert die ausschließlichen Verwertbarkeitsdiskurse bzw. die unterschiedliche Gewichtung von arbeitsmarktförmigen Lernen gegenüber lebensumfassenden Inhalten wie beispielsweise die Sorge um sozial-ökologische Gerechtigkeit und Transformation und verbindet die Lerndimensionen Arbeit und Leben, Kultur und Natur, Produktion und Reproduktion. Der heutige Ökofeminismus rüttelt weiterhin machtkritisch an genderbezogenen Werthaltungen. Zudem setzt er sich für ein ganzheitliches Verständnis von Weiterbildung ein.

Am Projekt CeduP lassen sich ressourcenschonende, öko-solidarische, altersfreundliche, gemeinschaftsstiftende Bildungsinitiativen beschreiben, die ebenfalls das binäre Denken aufheben und care-bezogene Inhalte vorsehen. Dadurch weist CeduP auf die Verwobenheit des Menschen in sozialen und ökologischen Systemen – ganz im Sinne des Ökofeminismus – hin.

Hand hält eine junge Pflanze mit ErdeFoto: Pexels Lizenz, Akil Mazumder, https://pexels.com

Mensch-Umwelt-Relation

Was ist die Mensch-Umwelt-Relation?

In sogenannten „sozio-materiellen Denkansätzen“ geht die öko-feministische Betrachtung von öko-sozialer Gerechtigkeit einen Schritt weiter: Verschiedene Wissenschaftler*innen (vielfach Frauen*) wie Rosi Braidotti, Karen Barad oder Donna Haraway nehmen an der öko-sozio-feministischen Debatte um die Neuverhandlung der Mensch-Umwelt-Relation teil. Sie alle setzen sich für ein erweitertes Verständnis von kognitiver, sozialer und ökologischer Umwelt-Gerechtigkeit ein. Sie rütteln an imperialen Anschauungen, nach denen der Mensch scheinbar autonom agiert und nach denen Beziehungen zu Menschen und zur Natur tendenziell bedeutungslos sind. Alles Nicht-Menschliche wie Pflanzen, Tiere, Luft und Erde sind in diesen imperialen Anschauungen als vom Menschen unabhängig existierend. In der Mensch-Umwelt-Relation geht es dagegen darum, die Abhängigkeiten zwischen Menschen und Umwelt und deren Bedeutung zu begreifen.

Mensch-Umwelt-Relation im Kontext der Klimakrise

Die Diskurse rund um die Mensch-Umwelt-Relation haben eine ganzheitliche Auffassung von Nachhaltigkeit und weisen auf die menschliche Abhängigkeit von der Natur und ihren reproduktiven und regenerativen Kräften hin. Damit erteilen sie der Idee der Vormachtstellung des Menschen (und HochKULTUR) über die Natur und den patriarchalen Werten von der Überlegenheit des Mannes* über die Frau* und andere zu unterwerfende Lebewesen eine klare Absage. Vielmehr setzen sich Perspektiven der Verwobenheit von Natur und Kultur, Leben und Arbeit, Produktion (Erwerbsarbeit) und Care Arbeit (Reproduktion) für einen kritisch-emanzipierten Blick auf ungleiche Verteilung auch in Bezug auf den Klimawandel durch. Der sogenannte „Gender Climate Gap“ rückt etwa die Benachteiligung von Frauen* durch den Klimawandel in den Fokus, denn diese sind global betrachtet vom Klimawandel am stärksten betroffen.

Auch aus dem Projekt CeduP lassen sich gemeinwesenorientierte Beispiele für eine Mensch-Umwelt-Relation anführen: Das Projekt regt Interaktionen der Gruppe und der Umwelt/Natur als bedeutsamer Lehr- und Lernort an. Etwa die Gemeinschaftsgärten zielen auf die verantwortungsvolle Nutzung von Grünflächen, Selbstversorgung, die Förderung des individuellen und gemeinschaftlichen Wohlbefindens, Stressabbau durch körperliche, gemeinschaftliche Tätigkeit im Garten, die Sorge um die Biodiversität sowie die Rücksichtnahme auf natürliche Kreisläufe.

Hinweis der Autorinnen: Der Text basiert auf einem Austausch mehrerer Akteur*innen aus Wissenschaft und Praxis und verschränkt diese Perspektiven. Der Text steht daher in Verbindung mit den Blogbeiträgen Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) aus Sicht der Erwachsenenbildung und „Green Community Education“ in der Erwachsenenbildung umsetzen.

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