Präsenz – was bedeutet das?

CC BY 4.0 CONEDU Birgit Aschemann und Chiara Russ-Baumann (2022)

Empfehlung zur Verwendung des Begriffs in der österreichischen Erwachsenenbildung

Stand: 18.09.2022

Im Bildungsbereich bezeichnet „Präsenzlehre“ oder „Präsenzveranstaltung“ traditionell eine Veranstaltung, bei der die Teilnehmenden zur gleichen Zeit am gleichen physischen Ort zusammenkommen.

Dieser traditionelle Präsenzbegriff wird in der Fachliteratur zunehmend kritisiert, da er ausschließlich die körperliche Anwesenheit beschreibt und das konzentrierte Zusammentreffen in Onlineräumen nicht berücksichtigt. Für die Verwendung in der Erwachsenenbildung wird daher mit Blick in die Zukunft empfohlen, den Begriff „Präsenz" in Angebotsbeschreibungen mit einer Ortsangabe (z.B. „Präsenz im Bildungshaus XY“ oder „Online-Präsenz“) zu verknüpfen.

Präsenz in seiner allgemeinen Bedeutung

Der deutsche Begriff „Präsenz“ leitet sich vom französischen Wort „présence" bzw. vom lateinischen Wort „praesentia" ab, das sich sowohl mit „Gegenwart“ und „Anwesenheit“, als auch mit „Eindruck“ oder „Wirkung“ übersetzen lässt.i Standardwörterbücher wie der Duden oder DWDS betonen den Aspekt der bewusst wahrgenommenen Anwesenheit oder Gegenwärtigkeit.ii iii Neben „Anwesenheit“ im allgemeineren Sinn beschreibt „Präsenz“ auch das konzentrierte geistige Dabeisein einer Person (die „völlig präsent“ ist) oder zeichnet Personen mit starker Wirkung oder Ausstrahlung („starker Präsenz“) aus. Zusammenfassend kann Präsenz entweder das „im Hier und Jetzt-Sein“ oder eine bestimmte Außenwirkung bezeichnen (wobei auch diese Ausstrahlungskraft an einen räumlichen oder zeitlichen Aspekt gebunden ist).iv

Präsenz im Bildungsbereich: die vorherrschende Bedeutung

Im Bildungsbereich bezeichnet „Präsenzlehre“ oder „Präsenzveranstaltung“ in der Regel eine Veranstaltung, bei der die Teilnehmenden zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammenkommen.v vi vii In dieser Bedeutung wird „Präsenz“ im angloamerikanischen Bereich mit „(traditional) classroom teaching“ oder auch „face-to-face“ übersetzt.

Auch in aktuellen Online-Glossaren wird der Begriff nahezu einheitlich in diesem Sinne definiert, so zum Beispiel im deutschen Glossar des WebKollegNRW: „Präsenzseminare: Bei dieser Lernform befinden sich Lehrende und Lernende zur gleichen Zeit im selben Raum: diejenigen, die einen Kurs abhalten, begleiten oder unterstützend beraten, und diejenigen, die an einem Kurs teilnehmen“viii oder im Glossar des eCampus der technischen Universität Graz: „Präsenz (-einheit/-lehre): Lehre mit physischer Anwesenheit an der Hochschule (vor Ort im Hörsaal oder Seminarraum), Gegenpol zur Online-Lehre, die im virtuellen Raum (entweder synchron oder asynchron) stattfindet.“ix

Das Portal e-teaching.org spricht von traditioneller Präsenzlehre (Hervorhebung: Red.) und meint damit Folgendes: „Vorlesung, Seminar, Übung, Diskussion und Austausch finden im Hörsaal, Labor oder Seminarraum statt und eröffnen face-to-face-Interaktionen mit Lehrenden und Kommilitonen.“x

In klassischen Glossaren und Didaktik-Lehrbüchern ist eine explizite Definition von Präsenz(-lehre) übrigens kaum zu finden. Erklärbar ist dieser Umstand wohl mit der Tatsache, dass Präsenz im Sinne von physischer räumlicher Anwesenheit jahrhundertelang als selbstverständliche Normalität galt und damit nicht definitionsbedürftig war.

Kritik am traditionellen Präsenzbegriff

Der Begriff „Präsenz“ wurde besonders im Kontext der Pandemie in zahlreichen Publikationen mit einer positiven Wertung versehen und als Bezeichnung für eine vollwertige physische Anwesenheit der Online-Lehre gegenübergestellt.xi

Diese Gegenüberstellung des Begriffs „Präsenz“ als vermeintliches Gegenteil von „online“ wird in der Fachliteratur jedoch kritisiert. So schreiben z.B. die Online-Didaktikerinnen Gumm und Hobuß: „In der Hochschulpraxis und in der Literatur wird der Präsenzbegriff meist benutzt, um (…) Angebote vor Ort (´'in Präsenz') Online-Angeboten abzugrenzen. (…) Allerdings sind die online-Teilnehmenden zwar nicht leibhaftig physisch vor Ort, aber sie sind auch nicht abwesend, denn sie nehmen ja am Lerngeschehen teil. (…) Dabei ist die räumliche, physische Nähe gar nicht immer notwendig, um soziale Interaktionseffekte zu erzeugen (…)”xii

Räumliche Präsenz ist nicht gleichbedeutend mit geistiger Präsenz im Sinne von Gegenwärtigkeit oder gar Aufmerksamkeit. Umgekehrt kann auch im Rahmen von Online-Meetings die „soziale Präsenz“xiii sehr hoch sein bzw. eine hohe Präsenz gezielt gefördert werden.xiv Auch im digitalen bzw. virtuellen Raum kann man äußerst präsent sein“, meint auch der Philosoph und Sozialwissenschafter Alexander Klier und unterscheidet in der Folge zwischen physischer Präsenz, geistiger Präsenz und virtueller Präsenz.xv

Dazu Christoph Köck, Direktor des Hessischen Volkshochschulverbands, im Kontext der Erwachsenenbildung: „Es ist auf den ersten Blick erstaunlich, dass – obwohl es die Möglichkeit zum ´´ Internetlernen´  nun seit mehr als 20 Jahren in den unterschiedlichsten Ausprägungen gibt – die Präsenzdiskussion kaum vom offiziellen physischen Ort des Lernens abstrahieren konnte. Denn Lernpräsenz gibt es ja unter Einbeziehung des Internetlernens vielerorten. (…). Im Rahmen einer Kultur der Digitalität wird demzufolge „multipräsentes Lernen“ zu einem neuen Standard in der Erwachsenenbildung.xvi Den Begriff „multipräsentes Lernen“ verwendet Köck für Lernprozesse, die sowohl vor Ort als auch im digitalen Raum stattfinden, also für viele Varianten von (Online-)Begegnungen, in denen die physische Präsenz in einem bestimmten Raum mit der mentalen und sozialen Präsenz an einem anderen (Online-)Raum kombiniert wird.xvii

Unabhängig davon verweist Michael Kerres, Professor für Mediendidaktik und Wissensmanagement an der Universität Duisburg-Essen, auf eine Bedeutungserweiterung des Präsenz-Begriffs, die mit der intensivierten Onlinepraxis seit der Pandemie zusammenhängt: Während der Corona-Pandemie hat sich die Bedeutung des Begriffs Präsenztermin gewandelt. Meinte er früher ein gemeinsames Treffen in einem Gebäude vor Ort, so wird der Begriff nun auch häufiger für die zeitgleiche Anwesenheit der Teilnehmenden in einer Videokonferenz über Distanzen verwendet."xviii 

Präsenz in der Praxis der (österreichischen) Erwachsenenbildung

In der aktuellen (Erwachsenen-)Bildungspraxis wird der Begriff „Präsenz“ derzeit meist (noch) traditionell für gemeinsame physische Anwesenheit und auch für die Gegenüberstellung zu Online-Formaten verwendet.

Beispiele bieten das WIFI Wien mit folgender Definition für einen Präsenzkurs: „Ihr Kurs findet vor Ort statt (am WIFI Wien oder an Partnerstandorten). Die Einheiten finden zu festgelegten Terminen statt. Für die Kommunikation steht Ihnen die WIFI-Lernplattform zur Verfügung. Sie erarbeiten die Lerninhalte gemeinsam mit Ihren TrainerInnen und anderen TeilnehmerInnen“xix oder das Forum Katholischer Erwachsenenbildung in Österreich mit folgender Beschreibung: „Traditionelle Präsenzlehre: Vorlesung, Seminar, Übung, Diskussion und Austausch finden im Seminarraum statt und eröffnen face-to-face-Interaktionen mit Lehrenden und Kolleginnen“xx (betont wird auch hier die traditionelle Präsenz).

Online-Präsenz als begriffliche Erweiterung

Besonders seit der Pandemie taucht in der Ausschreibungspraxis auch zunehmend der Begriff der „Online-Präsenz“ auf und trägt damit der o.a. Kritik Rechnung. So schreibt z.B. die Donau Universität Krems im Kontext der Pandemie: „Präsenzlehre (COVID-19-Info): Bei einem Studium in Präsenzlehre ist eine Anwesenheit der Studierenden vor Ort notwendig. (…). Sollten bestimmte Personengruppen, insbesondere Risikogruppen oder internationale Studierende, aufgrund der geltenden COVID-19-Maßnahmen nicht anwesend sein können, wird das Studium nach Möglichkeit zusätzlich über Online-Präsenz durchgeführt.“xxi

Der Begriff der Online-Präsenz (oder: Onlinepräsenz) findet auch unabhängig von der Pandemie-Situation Verwendung. Genauer definiert die PH OÖ in ihrem Glossar wie folgt: „Online-Präsenz: Dabei handelt es sich um eine digitale Echtzeit-Präsenz, z. B. in einem Lernmanagementsystem oder in einem virtuellen Lernraum. Diese Form ermöglicht einen synchronen und direkten Austausch in der Lehre“.xxii

Ein aktuelles Verwendungsbeispiel aus der Erwachsenenbildung findet sich z.B. in einer Lehrgangsbeschreibung des abif, wo ein Lehrgangsmodul den Titel „Technik und Tools in Onlinepräsenzveranstaltungen“ trägt.xxiii

Entsprechend ihrer Tradition der Online-Lehre spricht auch die Fernuni Hagen von einer „Online-Präsenzveranstaltung“ und meint damit die synchrone Anwesenheit zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Online-Raum.xxiv

Präsenz im Bedeutungswandel: Konkretisierungsempfehlung

Ein eindeutiges Verständnis von Präsenz als gemeinsamer physischer Anwesenheit scheint derzeit (noch) gegeben. Zugleich wird die Kritik am traditionellen Präsenzbegriff lauter, und der Begriff „Online-Präsenz“ taucht zunehmend auf. Auch erste Lehrbücher benennen bereits die Bedeutungserweiterung auf Online-Präsenz.xxv Dessen sollten sich auch Bildungsanbieter bewusst sein, wenn sie eine Veranstaltung ausschreiben. Daher wird empfohlen, die Angabe „Präsenz“ in Ausschreibungen unmittelbar mit einer Ortsangabe zu verknüpfen und entweder von „Präsenz im Bildungshaus X in Y“ oder von „Online-Präsenz“ zu sprechen (sofern dafür nicht die Bezeichnung „live online“ verwendet wird).

Referenzen

i  European Commission (o.D.). Europäischer Referenzrahmen für digitale Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger. Electronic Platform for Adult Learning in Europe (EPALE). Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://epale.ec.europa.eu/en/node/153942.

ii Dudenredaktion (o.D.). Präsenz. Duden online. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://www.duden.de/rechtschreibung/Praesenz.

iii Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (2022). Präsenz. DWDS. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://www.dwds.de/wb/Pr%C3%A4senz.

iv Werte-Lexikon Values Academy (o.D.). Präsenz. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://www.values-academy.de/praesenz/.

v Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (2022). Präsenzveranstaltung. DWDS. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://www.dwds.de/wb/Pr%C3%A4senzveranstaltung.

vi Das Wissensportal im deutschsprachigen Raum (o.D.). Präsenzlehre. fremdwort.de. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://www.fremdwort.de/suchen/bedeutung/pr%C3%A4senzlehre#.

vii Unionpedia die Concept-Map (o.D.). Präsenzlehre. de.unionpedia.org. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von https://de.unionpedia.org/Pr%C3%A4senzlehre.

viii WebKollegNRW – das Portal für Online-Lernen (o.D.). Glossar. webkolleg.de. Zugriff am 23.06.2022. Abgerufen von http://www.webkolleg.de/teilnehmer-info/glossar.html.

ix eCampus. Globaler Glossar (o.D.). Präsenz. e-campus.st. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://e-campus.st/moodle/mod/glossary/view.php?id=23&mode=letter&hook=ALL&sortkey&sortorder=asc&fullsearch=0&page=2.

x Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) (o.D.). Blended Learning. e-teaching.org. Zugriff am 27.04.2022. Abgerufen von https://www.e-teaching.org/lehrszenarien/blended_learning.

xi Gumm D. & Hobuß S. (2021).  Hybride Lehre – eine Taxonomie zur Verständigung. In Impact free. Journal für freie Bildungswissenschaftler. Nr. 38/2021. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2021/07/Impact_Free_38.pdf.

xii Gumm D. & Hobuß S. (2021).  Hybride Lehre – eine Taxonomie zur Verständigung. In Impact free. Journal für freie Bildungswissenschaftler. Nr. 38/2021. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2021/07/Impact_Free_38.pdf.

xiii Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM) (o.D.). Soziale Präsenz. e-teaching.org. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://www.e-teaching.org/materialien/glossar/soziale-praesenz.

xiv Hirsch, N. (2021). Mehr soziale Präsenz bei Online-Meetings. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung - Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://wb-web.de/aktuelles/mehr-soziale-praesenz-bei-online-meetings.html.

xv Klier, A. (2016). Digitales Präsenz Lernen! Dr. Alexander Klier. alexander-klier.net. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://www.alexander-klier.net/digitales-praesenz-lernen/.

xvi Köck, C. (2021). Irgendwo, irgendwie, irgendwann? Überlegungen zur Präsenz (in) der Volkshochschule. Die Österreichische Volkshochschule. Magazin für Erwachsenenbildung. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://magazin.vhs.or.at/magazin/2021-2/274-herbst-2021/bildungsthemen/irgendwo-irgendwie-irgendwann/.

xvii Kogler, B. (2021). Präsenz neu denken: Volkshochschulen in einer digitalisierten Welt. erwachsenenbildung.at. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://erwachsenenbildung.at/aktuell/nachrichten/16627-digitalisierung-an-den-vhs.php.

xviii Kerres, M. (2021). Didaktik. Lernangebote gestalten. Waxmann Verlag GmbH.

xix WIFI Wien (o.D.). Flexibel online lernen. WIFI Wien Kursbuch. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://www.wifiwien.at/kategorie/o-distance-learning-flexibel-online-lernen.

xx Lackner, B. (2021). Begriffe aus der digitalen Welt 3. Digitale Erwachsenenbildung. Zugriff am 22.04.2022. Abgerufen von https://www.digitale-erwachsenenbildung.at/2021/11/03/begriffe-aus-der-digitalen-welt-3/.

xxi Donau Universität Krems (o.D.). Glossar. Blended Learning (BL). donau-uni.ac.at. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://www.donau-uni.ac.at/de/glossar.html?uuid=9fc7272c-0174-4932-9d3e-53cdffac345b.

xxii Pädagogische Hochschule Oberösterreich (o.D.). Glossar Lehr/Lern-formate. ph-ooe.at. Zugriff am 27.06.2022. Abgerufen von https://ph-ooe.at/fileadmin/Daten_PHOOE/Covid-19/Glossar_Lehr_Lernformate.pdf.

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xxv Kerres, M. (2021). Didaktik. Lernangebote getalten. Waxmann Verlag GmbH.

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