Virtuell – was bedeutet das?

CC BY 4.0 CONEDU Birgit Aschemann und Chiara Russ-Baumann (2023)

Empfehlung zur Verwendung des Begriffs in der österreichischen Erwachsenenbildung

Stand: 06.02.2023

Virtuell bedeutete ursprünglich „unecht“ oder „künstlich“ und wurde in den letzten Jahrzehnten recht undifferenziert für alles, was online und mithilfe von IKT stattfindet, verwendet. So verwenden mehrere Anbieter in der (österreichischen) Erwachsenenbildung das Adjektiv „virtuell“ synonym für „online“ oder „live online“ oder bezeichnen damit ihre Videokonferenzräume für Live-Online-Veranstaltungen.

Für die Erwachsenenbildung wird jedoch empfohlen, den Begriff „online“ (mit einer Spezifikation als „live online“ oder „a-/synchron online“) dem Begriff „virtuell“ vorzuziehen. Das hat gleich mehrere Gründe. Zum einen enthält „online“ eine Positivdefinition (der Begriff impliziert eine aufrechte Internet- bzw. Netzwerkverbindung) und nicht eine Negativdefinition (wie „virtuell“ im Sinne von „nicht echt“). Zum anderen hebt sich der Begriff „online“ stärker von der spezifischen Technik der „virtual reality“ (VR) ab. Wenn sich (wie anzunehmen) VR-Trainings in der Weiterbildung künftig stärker verbreiten, verliert der Begriff des „virtuellen Trainings“ oder des „virtuellen Raumes“ noch weiter an Eindeutigkeit, und die Bezeichnung „online“ bzw. „live online“ bietet mehr Präzision.

Virtuell in seiner allgemeinen Bedeutung

In seiner allgemeinsten Bedeutung ist „virtuell“ gleichzusetzen mit „scheinbar, nicht echt“: „Virtualität ist die Eigenschaft einer Sache, nicht in der Form zu existieren, in der sie zu existieren scheint, aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung einer in dieser Form existierenden Sache zu gleichen.“i

Im Detail ist der Begriff der Virtualität unklar definiert und wird in unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Zumindest vier Grundbedeutungen lassen sich unterschieden, wobei die Verwendungsformen 2-4 einen Bezug zur digitalen Welt aufweisen:

  1. virtuell im Sinne von „als Möglichkeit vorhanden“ii oder „als gedankliche Möglichkeit gegeben“iii, aber auch im Sinne von „nicht echt, nicht in Wirklichkeit vorhandeniv „nur theoretisch existent“v
  2. virtuell im Sinne einer Organisationsform, die ohne organisatorische oder räumliche Einheit auskommtvi und ihre Geschäftsprozesse teilweise oder ganz internetbasiert abwickeltvii („virtuelles Unternehmen“, „virtuelle Universität“viii ix, „virtuelle Schule“x)
  3. virtuell im Sinne von „durch Computer vermittelt, nicht in der analogen Weltxi „(nur) im Internet vorhanden“.xii Bei dieser Auffassung von virtuell ist das haupt­sächliche Charakteristikum, „dass etwas auf einer elektronischen Basis stattfindet. In diesem Sinne stellen Informations- und Kommunikationstechnologien und Informa­tionssysteme – vom einfachen Chat bis hin zu komplexen 3D-Welten – virtuelle Räume bereit.“xiii Nach dieser Auffassung ist es korrekt, von der virtuellen Welt des Internets oder von einem virtuellen Laufwerk zu sprechen.xiv
  4. virtuell im Sinne eines Abbilds der Realität wie im Falle der „virtuellen Realität“ (englisch „virtual reality“, VR).xv Hier ist die virtuelle Realität eine „vom Computer simulierte Wirklichkeit, künstliche Welt, in die sich jemand mithilfe der entsprechenden technischen Ausrüstung scheinbar hineinversetzen kann.“xvi Nach dieser Auffassung bezeichnet das Adjektiv virtuell einen „dreidimensionalen Raum, der vom Computer simuliert wird, aber echt wirktxvii - wobei diese Simulation in Echtzeit erfolgt und Interaktionsmöglichkeiten bietet.xviii xix

Virtuell im Bildungsbereich

Im Bildungsbereich kommt „virtuell“ häufig in Form von Komposita vor. Am häufigsten ist vom virtuellen Klassenzimmer (virtual classroom) die Rede – allerdings in unterschiedlichen Bedeutungen, was die zeitliche Komponente der Zusammenarbeit betrifft.

Der Begriff wird nämlich zum einen für „eine räumlich verteilte Lern-Gruppe, die sich online auf einer Lernplattform zum Lernen trifft“xx verwendet. Lehrende und Lernende sind räumlich getrennt, finden aber „anhand einer Lernplattform über ein Netzwerk zusammen“xxi Charakteristika sind nach dieser Auffassung das kollaborative Lernen und gleichzeitig das Lernen am jeweils eigenen Ort und zur eigenen Zeit.xxii

Im Gegensatz dazu wird der Begriff „virtuelles Klassenzimmer“ auch herangezogen, um Videokonferenzräume zu bezeichnen, die Live-Online-Treffen ermöglichen.xxiii Eine entsprechende Definition lautet: „Lernplattformen, die ein 'virtuelles Klassenzimmer' (virtual Classroom) im Cyberspace abbilden, unterstützen synchrone Lernprozesse. Die Lerninhalte werden hierbei in Form von Live-Online-Kursen vermittelt.“xxiv Dabei müssen Live-Online-Treffen nicht immer die Form einer Videokonferenz annehmen: „Virtuelle Klassenzimmer ermöglichen es Lehrenden durch moderne Kommunikationstechniken, Lernende an vielen verschiedenen Orten zu erreichen. Über Chat-, Video- und Audiokonferenzen können sich alle in einem virtuellen Zimmer zum Lernen ‚treffen‘.“xxv

Auch den anderen Komposita mit „virtuell“ liegt ein Bild von Online-Lehre zugrunde. So stammt z.B. folgende sehr allgemeine Definition für „virtuelle Lernformen“ aus einem nieder­sächsischen Glossar: „Qualifizierungsangebote können auch onlinebasiert gestaltet sein. Zu den virtuellen Lernformen gehören u.a. virtuelle Klassenzimmer (…), onlinegestützte Lernplatt­formen oder E-Learning-Angebote.“xxvi

Ob die virtuelle Lehre eher asynchron (z.B. mithilfe eines Lernmanagementsystems) oder synchron (z.B. in Form von Live-Online-Veranstaltungen) stattfindet, wird je nach Autor*in unterschiedlich gesehen:

Einzelne deutschexxvii oder europäischexxviii Quellen meinen mit „virtuellen Räumen“ vorrangig Lernmanagementsysteme (LMS). Andere wiederum bezeichnen synchrone Online-Konferenzen als „virtuelle Konferenzen“xxix oder meinen mit einem „virtuellen Event“ ganz allgemein jede organisierte Zusammenkunft, die nicht physisch, sondern online stattfindetxxx - und zwar mit einem „virtuellen Publikum“.xxxi

„Virtuelle Realität“ (virtual reality) dagegen arbeitet mit 3D-Bild und vielfach auch Ton, wobei die simulierte Wirklichkeit über Großbildleinwände, in speziellen Räumen oder über ein Head-Mounted-Display übertragen wird. „Meist gibt es in VR Formen der Interaktion, und sei es nur im Sinne der körperlichen Bewegung durch die virtuelle Welt. Zur Interaktion mit Objekten werden neben der Video- oder VR-Brille spezielle Eingabegeräte gebraucht, etwa 3D-Maus und Datenhandschuh.“xxxii Weiterbildungsangebote, die in dieser Form ausgebracht werden, benötigen eine eindeutige Bezeichnung.

Exemplarische Praxis in der (österreichischen) Erwachsenenbildung

In den aktuellen Ausschreibungen unterschiedlicher Anbieter wird der Begriff „virtuell“ am häufigsten verwendet, um den jeweiligen Videokonferenzraum für ein Live-Online-Training zu bezeichnen, nämlich als „virtuellen Kursraum“xxxiii xxxiv xxxv, „virtuellen Raum“xxxvi xxxvii oder „virtuellen Veranstaltungsort“xxxviii - wobei hier keine VR-Räume gemeint sind.

Daneben lässt sich den aktuellen Veranstaltungs-Ausschreibungen die gemeinsame Tendenz entnehmen, den Begriff „virtuell“ für die Bezeichnung von Live-Online-Veranstaltungen zu verwenden. Dazu ein Beispiel des bfi Wien: „Ab sofort finden neben unserem klassischen E-Learning- und digited-Learning-Angebot auch viele Präsenzlehrgänge virtuell und damit ortsunabhängig statt. Verschaffen Sie sich einen tagesaktuellen Überblick über alle Kurse im digitalen Lernformat, d.h. E-Learning- und Blended Learning-Kurse sowie Präsenzlehrgänge, die virtuell stattfinden.“xxxix Dementsprechend werden auch in Ausschreibungen des bfi Wien Live-Online-Trainings als „virtuelle Trainings“ bezeichnet.xl In einem ähnlichen Sinn schreibt das WIFI Österreich: „Der Kurs ist als Live-Online-Kurs konzipiert: Sie lernen online in der Gruppe. Ihre Trainer:innen unterstützen Sie virtuell.“xli xlii

„Virtuell“ wird also in der Erwachsenenbildung aktuell für „online“ oder „live online“ statt­findende Formate verwendet oder zur Bezeichnung von (temporären) Online-Räumen für Live-Online-Veranstaltungen.

Da VR-Trainings bisher (noch) nicht oft angeboten werden, bezeichnet der Begriff „virtuelles Training“ bisher erst in Einzelfällen das Training mithilfe einer VR-Technologie. Ein Beispiel dafür ist das „DigiLernSicher“-Training des WIFI Steiermarkxliii. Mit dem Zunehmen solcher Angebote ist zu erwarten, dass der Begriff des „virtuellen Trainings“ oder des „virtuellen Raumes“ noch weiter an Eindeutigkeit verliert.

Wir empfehlen daher, in Ausschreibungen der Erwachsenenbildung statt des Begriffs „virtuell“ besser den Begriff „online“ zu verwenden. Zum einen enthält „online“ (ggf. spezifiziert als live online“ oder a-/synchron online“) eine Positivdefinition (der Begriff impliziert eine aufrechte Internet- bzw. Netzwerkverbindung) und nicht eine Negativdefinition wie „virtuell“ (im Sinne von „nicht echt“). Zum anderen hebt sich der Begriff „online“ stärker von der spezifischen Technik der „virtual reality“ (VR) ab, die sich künftig gerade in der Aus- und Weiterbildung stärker verbreiten dürfte (sodass die begriffliche Verwechslungsgefahr steigt).

Referenzen

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