Gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen Kritischer Medienkompetenz

CC BY 4.0 Helmut Peissl, COMMIT 2022 | Redaktion: CONEDU
Umrisse dreier nach links zeigender Köpfe, mit je einem Fragezeichen, Zahnrädern und einer Glühbirne darin
Kritische Analyse und Beurteilung als wesentlicher Teil von Kritischer Medienkompetenz.
Grafik: CC BY, CONEDU, auf erwachsenenbildung.at

Der Erwerb Kritischer Medienkompetenz ist angesichts der Omnipräsenz digitaler Medien zu einer Basiskompetenz von Bürger*innen in demokratischen Gesellschaften geworden.

Diese Kompetenz zu fördern ist damit auch ein Bildungsauftrag, den bspw. die EU in verschiedenen politischen Papieren formuliert. Kritische Medienkompetenz geht dabei über das rein funktionale Verständnis, Medien nutzen zu können, hinaus und umfasst auch Aspekte kritischer Reflexion.

Digitale Medien durchdringen heute fast alle Bereiche unserer Lebenswelt. Oft erleichtern sie unseren Alltag, sie beeinflussen aber auch in zunehmendem Ausmaß die Wahrnehmung von Wirklichkeit und damit auch das Verständnis von Demokratie und Gesellschaft. Mitunter wirken sie sogar destruktiv und sozial diskriminierend. So erweisen sich vor allem die Manipulation durch Desinformation, "Fake News" oder "alternative Fakten" sowie die Häufung von Hasssprache als besorgniserregende Entwicklungen. Immer wieder gibt es Gesellschaftsbereiche, in denen diese Entwicklungen besonders sichtbar sind: Verschwörungserzählungen rund um die Entstehung oder Bekämpfung der COVID-19-Pandemie oder die Klimakrise sind Beispiele und zeigen den Bedarf nach einer faktenbasierten gesellschafts- und bildungspolitischen Auseinandersetzung. Die Gründe für die Verbreitung dieser Phänomene sind zwar vielschichtig, sie wären aber ohne digitale Medien und Plattformen kaum in diesem Ausmaß denkbar. Im Zeitalter der Digitalisierung ist kompetentes und kritisches Medienhandeln somit eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Das Bildungssystem und insbesondere auch die (politische) Erwachsenenbildung sind folglich stark gefordert: Es gilt durch den Erwerb von Kritischer Medienkompetenz Bewertungs-, Reflexions- und Handlungskompetenzen zu stärken, damit Demokratiebewusstsein und Teilhabe gesamtgesellschaftlich gefördert werden.

 

Dieser politische Auftrag, Kritische Medienkompetenz bei Bürger*innen aller Altersstufen zu fördern, wird bereits vom Europarat (2018) unterstrichen, wenn er seine Mitgliedsstaaten dazu auffordert, Media Literacy-Initiativen zu unterstützen: "Measures promoting media literacy should thus help to develop the teaching of media literacy … as part of lifelong learning cycles, including by providing suitable training for teachers and adequate resources for educational institutions to develop teaching programmes and project oriented learning schemes."

 

Auch der Rat der Europäischen Union erhebt die Forderung nach mehr Kritischer Medienkompetenz der Bürger*innen in seinen "Schlussfolgerungen zur Medienkompetenz in einer sich ständig wandelnden Welt (PDF)" vom Juni 2020: Medienkompetenz als Sammelbegriff für eine Reihe von "technischen, kognitiven, sozialen, zivilgesellschaftlichen, ethischen und kreativen Kompetenzen" sollte sich demnach "nicht darauf beschränken, Wissen über Tools und Technologien zu erwerben, sondern das Ziel verfolgen, Bürger*innen Fähigkeiten des kritischen Denkens zu vermitteln. Diese sind notwendig, um Bewertungen vorzunehmen, komplexe Realitäten zu analysieren und zwischen Meinungen und Tatsachen zu unterscheiden."

 

Wie in unterschiedlichen Bildungsbereichen gibt es auch in der Erwachsenenbildung Unterschiede beim Verständnis von Medienkompetenz im Kontext der Digitalisierung. Daher unterscheiden wir oftmals in "Medienkompetenz" und "Kritische Medienkompetenz". Dies zeigt sich nicht zuletzt im europäischen digitalen Kompetenzmodell DigComp 2.0 bzw. dessen österreichischer Variante DigComp 2.2 AT. Wie Christian Swertz (2019) in seinem Vergleich der DigComp-Modelle mit breiteren Medienkompetenz-Konzepten und dem österreichischen Lehrplan Digitale Grundbildung für die Sekundarstufe 1 aufzeigt, sind die digitalen Kompetenzmodelle DigComp stärker auf den arbeitsmarktbezogenen Anforderungen der beruflichen Bildung denn an allgemeiner Bildung ausgerichtet. Während der Lehrplan zur digitalen Grundbildung die Wichtigkeit von gesellschaftspolitischen Kompetenzen und kritischem Denken für digitale Kompetenz und Medienkompetenz anerkennt, wird die "kritische" Evaluation von digitalen Medieninhalten in den DigComp-Modellen im Wesentlichen auf die Bewertung von Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit reduziert, Formen der politischen Reflexionsfähigkeit sind nicht explizit.

 

Medienkompetenz sollte stets als Ziel von Medienbildung verstanden werden und die Handlungsfähigkeit und gesellschaftliche Teilhabe der Lernenden unterstützen. Diesen politischen Aspekt von Medienkompetenz unterstreicht bereits der britische Kommunikations- und Medienwissenschaftler Roger Silverstone (2008, S. 274), wenn er meint:

"Die mediale ‚Alphabetisierung‘ der Bürger ist eine Voraussetzung ihrer Partizipation an der Mediapolis, also der spätmodernen Gesellschaft überhaupt. Die Medien bilden den Rahmen unserer Alltagskultur, wer an dieser partizipieren, das heißt auch über sie mitentscheiden will, muss zur kritischen Analyse und Beurteilung der sozialen Dynamik und Bedeutung der Medien fähig sein. Er muss also vor allem über das wissen, was die Medien verschweigen, was in ihnen nicht transparent gemacht wird, was ihnen stillschweigend zugrunde liegt und welche Folgen diese Bedingungen in moralischer Hinsicht haben. Er muss also mediale Vermittlungsprozesse als soziale und politische Prozesse durchschauen können. Staatsbürgerliche Bildung setzt im Medienzeitalter Medienkompetenz voraus."

 

Mit dem Fortschreiten und Eindringen von Formen und Auswirkungen der Digitalisierung in immer mehr Lebensbereiche gewinnen die Überlegungen von Silverstone noch verstärkt an Bedeutung. Auch höchstpersönliche Lebensbereiche werden politisch, da sich mit der Nutzung von Social-Media-Plattformen, vielfältigen Apps oder vernetzten Geräten das Soziale zunehmend in Datenströmen abbildet und zur Grundlage des Überwachungskapitalismus wird, wie ihn die Ökonomin Shoshana Zuboff (2018, 2019) analysiert hat. Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung sind hierbei im größeren Kontext der Mediatisierung (Krotz 2015) zu sehen.

Weitere Informationen und Quellen