Gendersensible Sprache

Surur Abdul-Hussain (2014)

Gendersensible Sprache ist ein sehr umstrittenes Feld genderkompetenten Handelns. Häufig sind jedoch weder die Zielsetzung noch die Hintergründe für gendersensible Sprache bekannt: Sprache erzeugt Bilder, die durch die persönliche und gesellschaftliche Sozialisation geprägt sind. Über ein bewusstes Sichtbarmachen der realen Vielfalt von Geschlechtsidentitäten kann jede Person in ihrer Geschlechtsidentität anerkannt und es können gesellschaftliche Diskurse über Gender beeinflusst werden. Die Forschung zur gendersensiblen Sprache gibt uns Hinweise für einen bewussten Einsatz der Vielfalt von Möglichkeiten, die uns über Leitfäden und Anleitungen vermittelt werden.

 

Sprache erzeugt Bilder im Kopf

Es ist allgemein bekannt, dass wir Sprache nicht nur hören oder sehen, sondern dass unser Gehirn die wahrgenommene Vermittlung über Sprache in Bilder, Szenen und Gefühle übersetzt.


Ein Beispiel:

"Anfangs störten sich weder Johannes noch Elisabeth daran, dass er wegen der Verletzung seinem Beruf als Schnitzer nicht nachgehen konnte, und auch Johannes' Kunden hatten Verständnis, dass sich ihre bestellten Statuen, Ornamente oder Weihnachtskrippen etwas verzögern würden. Johannes und Elisabeth hatten erst im April geheiratet, alle 420 Bewohner hatten drei Tage lang gefeiert. Die Blasmusik hatte gespielt, im alten Feuerwehrwagen hatte man das Brautpaar von der Kirche ins Wirtshaus gebracht, ein Aufmarsch wie bei den Prozessionen zu Hochfesten. Dreizehn Jahre hatten die Dorfbewohner auf diese Hochzeit gewartet, da die beiden seit der Volksschule so gut wie verlobt waren. Schon lange bevor Johannes bei Elisabeth fensterln gewesen war, hatten die alten Frauen auf der Kirchenstiege überlegt, wie schön die Kinder der beiden sein würden." (Aus Vea Kaiser: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam. Roman 2012)


Welche Bilder entstehen vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie diesen Text lesen? Welches Szenario und welche Atmosphären können Sie wahrnehmen?


Ein weiteres Beispiel:

"Im Nachhinein ist dem Intensiv-Pfleger immer vorgekommen, dass er am Morgen gleich gespürt hat, etwas ist in der Luft. Wie er am Neujahrstag in die Klinik gekommen ist, hat er schon am Eingang so eine eigenartige Stimmung gespürt. Schon wie er vom Parkplatz herein gekommen ist, eine rein atmosphärische Angelegenheit. Aber gut, der Intensiv-Pfleger war ein bisschen ein Schwätzer. Mehr gibt mir da schon zu denken, dass sogar die Schwester Vanessa behauptet hat, sie hat es gespürt, aber erst oben, auf der Station, wie sie aus dem Lift gekommen ist, unten noch nicht." (Aus Wolf Haas: Das ewige Leben. Roman 2003)


Welche Bilder entstehen vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie diesen Text lesen? Welches Szenario und welche Atmosphären können Sie wahrnehmen?

Ziele gendersensibler Sprache

Gendersensible Sprache beruht auf folgenden Grundprinzipien:

 

  • Angemessene Darstellung bzw. Beschreibung von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, transidenten und intersexuellen Personen in ihrer Vielfalt von Geschlechtsidentitäten
  • Symmetrie, das heißt gleichwertige und symmetrische Darstellung von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, transidenten und intersexuellen Personen in ihrer Vielfalt von Geschlechtsidentitäten
  • Wahrung der Genderintegrität aller Menschen im Unterschied zu diskriminierenden oder stereotypisierenden Darstellungen und Beschreibungen

Forschung zu gendersensibler Sprache

Die Forschungen zur gendersensiblen Sprache sind ein weites Feld und umfassen unter anderem die Wirkung von verschiedenen Sprachformen, das Sprachverhalten aus Genderperspektive und die Rolle von Sprache in gesellschaftlichen Diskursen. Sigrid Metz-Göckel und Marion Kamphans (2002) haben die Ergebnisse mehrerer Studien zusammengefasst, die sich mit der Wirkung von Sprachformen beschäftigen. In diesen Studien wurde erforscht, welche Bilder im Kopf bei Testpersonen entstehen, wenn sie Texte in einer bestimmten Sprachform zu lesen bekommen. Hier die Ergebnisse:

 

  • Generisches Maskulinum/verallgemeinernde männliche Form, wie z.B. Wissenschaftler, Trainer: Mit der verallgemeinernd männlichen Sprachform verbinden wir vorwiegend männliche Personen.
  • Doppelnennungen, wie z.B. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen und Lehrer: Bei Doppelnennungen denken wir häufiger an beide Geschlechter als bei der männlichen Sprachform.
  • Binnen-I, wie z.B. ForscherInnen, AntragstellerInnen: Wenn wir ein Binnen-I lesen, denken wir mehr an Frauen als bei den anderen Sprachformen.
  • Neutrale Begriffe, wie z.B. Führungskräfte, Lehrende: Je nachdem, in welchem Zusammenhang wir neutrale Begriffe lesen, stellen wir uns meist das übliche Stereotyp vor.


Wollen wir also alle Geschlechtsidentitäten sprachlich respektieren, können wir das generische Maskulinum nicht einsetzen. Hinweise zu Beginn eines Textes oder Seminars, dass mit der verallgemeinernden männlichen Form auch Frauen mitgemeint seien, sind angesichts der Forschungsergebnisse hinfällig. Denn unser Gehirn kann die wahrgenommene Sprache nicht "mitmeinend" übersetzen. Wichtig ist, sich wie bei allen Reden oder Texten klare Ziele zu setzen. Für die Erreichung dieser Ziele kann Sprache in ihrer gendersensiblen Vielfalt kreativ eingesetzt werden.

Bausteine gendersensibler Sprache

Um die Ziele gendersensibler Sprache zu erreichen (Adäquanz, Symmetrie, Wahrung der Genderintegrität), können alle folgenden Sprachformen eingesetzt werden. Zu empfehlen ist eine Mischung der Sprachformen, um den Text oder die Rede lebendig zu gestalten.

 

  • Doppelnennung: Beispiel: Trainerinnen und Trainer agieren genderkompetent.
  • Binnen-I: Beispiel: Die TeilnehmerInnen des Seminars diskutieren angeregt über die Bildungsstatistik.
  • Neutrale Begriffe: Beispiel: Die Lehrenden treffen sich, um ihr Verständnis von gendersensibler Sprache auszutauschen.
  • Gender Gap/Underline: Mit dem Unterstrich zwischen weiblicher und männlicher Sprachform wird einerseits das Kontinuum von Geschlechtsidentitäten zwischen weiblich, männlich und darüber hinaus symbolisiert. Zum Zweiten wird damit ein intersektionales Geschlechtsverständnis angezeigt, das heißt, Geschlecht wird nicht isoliert, sondern in Wechselwirkung mit weiteren Strukturkategorien wie Alter, ethnischer Herkunft oder Religion und Weltanschauung wahrgenommen. Beispiel: Die Teilnehmer_innen experimentieren lustvoll mit genderkreativer Sprache.


Es sei noch darauf hingewiesen, dass gendersensible Sprachformen alleine einen Text oder eine Rede noch nicht gendersensibel im Sinne der Zielsetzung machen. Es gilt darüber hinaus, stereotypisierende und diskriminierende Darstellungen und Beschreibungen zu unterlassen. Vielmehr geht es darum, Frauen und Männer, Mädchen und Jungen, transidente und intersexuelle Personen in ihrer realen Vielfalt sichtbar zu machen.

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Weitere Informationen

Quellen

  • Metz-Göckel, Sigrid/Kamphans, Marion (2002): Info-Papier No 3. Zum geschlechterbewussten Sprachgebrauch. Dortmund.

Ausgewählte Leitfäden und weiterführende Informationen (deutsch)

  • Baumgartinger, Persson Perry: Geschlechtergerechte Sprache? Über queere widerständige Strategien gegen diskriminierenden Sprachalltag. »Link
  • Eichhoff-Cyrus, Karin M. (2004): Adam, Eva und die Sprache. Beiträge zur Geschlechterforschung. Duden Thema Deutsch 5. Mannheim: Dudenverlag.
  • Friesenbichler, Bianca (2008): Geschlechtergerechter Sprachgebrauch als Teil und Motor des Gender Mainstreaming. In: Magazin Erwachsenenbildung.at: Gender und Erwachsenenbildung - Zugänge, Analysen und Maßnahmen, 3. S. 10-1-10-08. »Link
  • ÖGB, Referat Für Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Marketing (2006): "Ich Tarzan - Du Jane?" Frauenbilder - Männerbilder. Weg mit den Klischees! Anleitung für eine geschlechtergerechte Mediengestaltung. 
  • Voglmayr, Irmtraud (2010): Leitfaden für diskriminierungsfreie Sprache, Handlungen und Bilddarstellungen, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Wien. »Link
  • Wikipedia (2014): Gender Gap (Linguistik). 
  • Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen (2001): Geschlechtergerechter Sprachgebrauch. Vortrag an den Ministerrat. »Link
  • Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.) (2000): Macht und Sprache. Wien.
  • Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (2012): Geschlechtergerechtes Formulieren. Wien. 
  • Stadt Wien (o.J.): Leitfaden für geschlechtergerechtes Formulieren und eine diskriminierungsfreie Bildsprache »Link

 

Darüber hinaus stellen fast alle österreichischen Universitäten Leitfäden zum gendersensiblen Sprachgebrauch zur Verfügung.

Weiterführende Informationen auf Englisch

  • Council of Europe (1990): Recommendation No. R (90) 4 of the Committee of Ministers to Member States on the Elimination of Sexism from Language. Adopted on 21. February 1990. »Link
  • Marie Curie Initial Training Network - Language, Cognition, and Gender (ITN LCG). »Link
  • UNESCO (1999): Guidelines on gender-neutral language. 3. Auflage. Paris. »Link