Wissenschaftstheorien

Wissenschaftsverständnisse sind grundlegend bestimmend für die jeweilige Themen- und Methodenwahl, aber auch für die Einbettung der jeweiligen Forschung in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge, in politische und praktische Kontexte. An Wissenschaftsverständnisse und damit einhergehende Erkenntnisinteressen schließen jeweils unterschiedliche wissenschaftstheoretische Vorstellungen an, wie Erkenntnis gewonnen werden kann, wie untersuchte Phänomene beleuchtet und begründet werden oder welche Schlüsse aus Forschungen gezogen werden.

 

Im Folgenden werden einige ausgewählte erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Aspekte kurz beleuchtet:

 

Erkenntnisinteressen

Als Erkenntnisinteressen werden – in Anschluss an Jürgen Habermas – grundlegend unterschiedliche Wissenschaftsverständnisse bezeichnet. Solche Erkenntnisinteressen sind deswegen von großer Bedeutung, weil sie relevant dafür sind, mit welcher Grundhaltung und welchem Fokus Themen und Fragestellungen in den Blick genommen werden.

 

Ein für die Sozialwissenschaften zentraler, bis heute relevanter Diskurs zu Erkenntnisinteressen wurde im deutschsprachigen Raum durch Vertreter der sogenannten „Frankfurter Schule“ unter anderem im sogenannten Positivismusstreit in den 1960er-Jahren angestoßen. Dort wurde zwischen Vertretern des kritischen Rationalismus und jenen der Kritischen Theorie eine Kontroverse um die Ziele und Erkenntniswege von Wissenschaft geführt. Ein grundlegender Unterschied zwischen den Zugängen „traditioneller“ und „kritischer“ Wissenschaft (eine von Max Horkheimer geprägte Unterscheidung) liegt in deren Zielen. Während „traditionelle“ Wissenschaft nach Problemlösungen innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnissen sucht, stellt sich kritische Wissenschaft die Aufgabe, die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst mit in den Blick zu nehmen und zu verändern. Weitere Streitpunkte waren und sind z.B. Wege und Herrschaftsdimensionen der Erkenntnisgewinnung.

 

Jürgen Habermas, ein Vertreter der Kritischen Theorie, prägte Ende der 1960er-Jahre den Begriff der Erkenntnisinteressen. Er unterschied drei Richtungen: erstens das technische Erkenntnisinteresse empirisch-analytischer Wissenschaften, das auf instrumentelle Anwendung ausgerichtet ist, zweitens das praktische Erkenntnisinteresse historisch-hermeneutischer Wissenschaften, das an Handlungen und Kommunikation orientiert ist und drittens das emanzipatorische Erkenntnisinteresse kritischer Wissenschaften, das freiheitsorientiert radikale Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse anstrebt.

 

Mit den jeweiligen Erkenntnisinteressen sind demnach unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft, von Menschen, aber auch von Forschungsmethoden und politischen Bewertungen verbunden, auch wenn sich zahlreiche Überschneidungen finden. Grundfragen unterschiedlicher Interessen beziehen sich aber beispielsweise auf Fragen von Wertfreiheit oder Beurteilung, von Deskription oder Normativität oder von Optimierung oder Überwindung gesellschaftlicher Bedingungen.

 

Wissenschaft und Forschung sind demnach nicht von grundlegenden Haltungen zu trennen und vor diesem Hintergrund einzuschätzen, auch wenn diese nicht explizit formuliert und offengelegt sind.

Wissenschaftstheorien

Während Erkenntnisinteressen zunächst nur grobe Unterschiede verdeutlichen, zeigen sich weitere Differenzierungen von wissenschaftlichen Zugängen in der Ausformulierung von Wissenschaftstheorien. Die jeweiligen wissenschaftstheoretischen Ausrichtungen prägen bereits Fragestellung, Themenwahl und Methoden, sind aber vor allem dahingehend relevant, dass die jeweils untersuchten Phänomene anders erklärt werden.

 

Wissenschaftstheorien sind in den seltensten Fällen auf einen spezifischen Fachbereich beschränkt. Vielmehr bilden Wissenschaftstheorien eine Art Grundsystematik vieler Wissenschaften, die dann je nach Fachgebiet spezifische Forschungsthemen aufgreifen. Es gibt daher keine spezifisch auf Erwachsenenbildungsforschung bezogene Wissenschaftstheorien, aber es lassen sich einige Richtungen ausmachen, die im Feld derzeit stärker präsent sind.

 

Faulstich und Zeuner (2009) benennen fünf Grundrichtungen theoretischer Begründungen: geisteswissenschaftliche Pädagogik, analytisch-empirische Erziehungswissenschaft, Kritische Theorie, konstruktivistische Ansätze und pragmatische Zugänge. Diese sind weitgehend historisch in dieser Reihenfolge nach und nach nebeneinandergetreten. Unter jeder Richtung versammeln sich allerdings weitere theoretische Ausdifferenzierungen, z.B. poststrukturalistische, bildungstheoretische oder subjektwissenschaftliche Zugänge bei den kritischen Theorien.

 

Dominant sind in der Erwachsenenbildungsforschung derzeit analytisch-empirische Ansätze mit einem instrumentellen Erkenntnisinteresse. Andere Zugänge sind aber weiterhin vorzufinden und in den letzten Jahren haben beispielsweise kritische Zugänge wieder etwas stärkere Wirkmächtigkeit.

Nachbardisziplinen

Erwachsenenbildungswissenschaft ist eng mit einigen Nachbardisziplinen verknüpft. Dies ergibt sich einerseits aus gemeinsamen Theoriebezügen und andererseits daraus, dass Themen in verschiedenen Disziplinen aufgegriffen werden und sich gegenseitig ergänzen. Besonders häufige und relevante Nachbardisziplinen sind beispielsweise: Soziologie, Psychologie, Philosophie, Teilbereiche der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Ethnologie oder Geschichte.

Literatur

  • Zeuner, Christine / Faulstich, Peter (2009): Erwachsenenbildung – Resultate der Forschung: Entwicklung, Situation und Perspektiven. Weinheim: Beltz.
  • MAGAZIN erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs: Theorie und Forschung. Facettenreich, traditionsbewusst und innovativ. Ausgabe 7/8, 2009. Wien.
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Zitierhinweis: Dossier "Wissenschaft und Forschung in der Erwachsenenbildung", Text CC BY 4.0 Daniela Holzer, Karin Gugitscher und Christoph Straka (2017), auf www.erwachsenenbildung.at