Spannungsfelder

Daniela Holzer (2017)

Sämtliche Wissenschaften sind von Spannungsfeldern durchzogen, in denen es neben wissenschaftsinternen Fragen auch um Ressourcenfragen und Fragen der Verantwortung von Wissenschaft geht. Spannungsfelder sind beispielsweise das Verhältnis von Theorie und Empirie, von Grundlagenforschung und angewandter Forschung und von Wissenschaft und Praxis.

 

Theorie und Empirie

Theorie und Empirie sind zwar kaum voneinander zu trennen, sondern stehen vielmehr in einer engen Wechselwirkung. Dennoch öffnet sich ein Spannungsfeld dahingehend, in welche Richtung sich Forschung orientiert, mit welchen Erklärungen Phänomene betrachtet werden und wie Erkenntnisse generiert werden.

 

Grundsätzlich ist weder Theorie ohne Empirie, noch Empirie ohne Theorie möglich. Theorien sind Zusammenstellungen von Erklärungssätzen, von Systematiken, von Einordnungen. Theorien suchen nach Begründungen für Phänomene, versuchen bereits vorhandene theoretische und empirische Erkenntnisse in neue Erklärungsmodelle zu gießen, aber auch über bisher Vorhandenes hinauszudenken. Theorien können auf der Basis empirischer Ergebnisse, auf der Grundlage anderer Theorien oder mittels spekulativen denkerischen Prozessen ausgearbeitet werden. Empirie ist jener Wissenschaftsbereich, der sich mit unterschiedlichsten Methoden der Erfassung untersuchter Phänomene widmet. Empirische Forschung reicht von historischen Quellenstudien über quantitative bis hin zu qualitativen Datenerhebungen und -auswertungen.

 

Theorie und Empirie sind aufeinander angewiesen. Empirische Forschungen verlangen nach theoretischer Einbettung und bringen selbst zuweilen Theorien hervor. Theorien sind auf empirische Daten angewiesen, um ihre Gültigkeit reflexiv zu prüfen und Theorien können Ausgangspunkte für empirische Fragestellungen sein.

 

Dennoch stehen Theorie und Empirie in einem nicht immer konfliktfreien Spannungsverhältnis. Nicht zuletzt geht es dabei um Fragen, welcher Bereich bedeutsamer sei oder um Lücken, die dem jeweils anderen Feld vorgeworfen werden. Aktuell sind in der Erwachsenenbildungsforschung empirische Ausrichtungen deutlich im Vordergrund. Dies zeigt sich z.B. daran, dass Forschungsprojekte ohne empirische Teile derzeit kaum finanziert werden, wodurch Theorieentwicklung zu einer Nebensächlichkeit wird bzw. primär in universitären Kontexten mit stabiler Grundfinanzierung stattfinden kann. Aber selbst dort ist das Bild wie insgesamt vorherrschend: Forschung wird mit empirischer Forschung gleichgesetzt.

Grundlagenforschung und anwendungsorientierte Forschung

Ein zweites Spannungsfeld ist jenes zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung. Diese Termini sind zwar eher aus naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen vertraut, spielen aber auch in der Erwachsenenbildungsforschung eine Rolle. Hier ist zwar selbst Grundlagenforschung in gewisser Weise anwendungsorientiert, ist doch das beforschte Feld selbst ein Handlungsfeld. Aber dennoch sind Forschungen in unterschiedlicher Ausprägung auf konkrete Umsetzung ausgerichtet. Grundlagenforschung beschäftigt sich beispielsweise mit Grundbegriffen oder mit philosophischen und gesellschaftstheoretischen Aspekten. Anwendungsorientierte Forschung ist hingegen enger in Praxiszusammenhänge eingebunden, beispielsweise in gemeinsamen Entwicklungsprojekten.

 

Die beiden Forschungsbereiche sind in gleicher Weise notwendig und bedeutsam. Kontroversen, Vorwürfe und Vorbehalte bleiben dennoch nicht aus und die Argumentationslinien entspannen sich wiederum häufig entlang von unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und wissenschaftstheoretischen Zugängen (siehe im Kapitel „Wissenschaftstheorien“). Der Grundlagenforschung wird wissenschaftsintern und von der Praxis zuweilen Irrelevanz und zu geringe Praxisorientierung vorgeworfen, mit einem Unterton der Nutzlosigkeit. Der anwendungsorientierten Forschung wird zuweilen vorgeworfen, zu empirisch orientiert und theoriefern zu sein oder auch zu verwertungsorientiert und systemreproduzierend.

 

Wissenschaft ist aber auf das Zusammenspiel beider Elemente angewiesen und zahlreichen Forschungen gelingen entsprechende Übergange. Problematisch ist allerdings, dass in geförderten Projekten anwendungsorientierte Forschung deutlich im Vordergrund steht, Grundlagenforschung hingegen stark ausschließlich in die Universitäten verdrängt wird und selbst dort aufgrund der stärkeren Drittmittelorientierung rückläufig ist.

Wissenschaft und Praxis

Das Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis eröffnet sich in Fragen des Zusammenspiels der beiden Felder. Erwachsenenbildungsforschung ist als Wissenschaft eines konkreten Handlungsfelds in hohem Maß an das Praxisfeld gebunden. Forschung richtet sich im weitesten Sinn auf Fragen des Praxisfeldes, wenn auch nicht ausschließlich in direkt angewandter Form (siehe oben). Erwachsenenbildungspraxis hingegen stellt Fragen an die Wissenschaft und greift neue Erkenntnisse aus der Forschung auf.

 

Dennoch stehen Wissenschaft und Praxis in einem nicht konfliktfreien Spannungsverhältnis. Auch hier sind wiederum gegenseitige Vorwürfe vorhanden, beispielsweise: Praxis sei zu theoriefern und greife neueste Erkenntnisse zu wenig auf. Forschung sei zu praxisfern und liefere nicht ausreichend umsetzbare, praxisrelevante Antworten.

 

Keiner der Vorwürfe ist gänzlich von der Hand zu weisen. Sie beruhen aber teilweise auf der Nichtakzeptanz der Unterschiede zwischen den beiden Feldern. So unterliegen Forschung und Praxis beispielsweise unterschiedlichen Zeitmustern: Bis Fragen aus der Praxis in der Forschung aufgegriffen werden können und bis neue Ergebnisse vorliegen, sind relativ lange Zeiträume erforderlich, während Praxis häufig kurzfristiger agieren muss. Zudem hat Forschung nicht nur die Aufgabe, konkrete Problemstellungen aus der Praxis aufzugreifen, sondern sich auch grundlegenderen Fragen zu widmen, die nicht direkt handlungsrelevant sind. Und Praxis wiederum hat häufig nicht ausreichende Ressourcen, um sich in wissenschaftliche Erkenntnisse ausführlich einzuarbeiten, um sie in die Arbeit einfließen zu lassen.

 

In Österreich ist dennoch eine enge Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis wahrzunehmen. Nicht zuletzt aufgrund der Überschaubarkeit des Forschungsfeldes ist es in Österreich – im Unterschied z.B. zu Deutschland – gar nicht möglich, ausschließlich wissenschaftlichen Austausch zu pflegen. Vielmehr ist die Zusammenarbeit mit der Praxis auf den Ebenen der Erwachsenenbildungseinrichtungen und der politischen EntscheidungsträgerInnen Alltag, ob in Forschungs- und Entwicklungsprojekten, Fachtagungen oder anderen Orten des Austauschs. Der Nachteil liegt darin, dass vertiefende wissenschaftliche Diskurse innerhalb Österreichs zuweilen kaum möglich sind, was aber durch internationale Anbindungen wettgemacht wird. Der Vorteil liegt allerdings im engen Austausch zwischen den beiden Bereichen und in der ständigen Konfrontation mit dem Spannungsfeld Wissenschaft und Praxis.

Weitere Informationen

Zitierhinweis: Dossier "Wissenschaft und Forschung in der Erwachsenenbildung", Text CC BY 4.0 Daniela Holzer, Karin Gugitscher und Christoph Straka (2017), auf www.erwachsenenbildung.at