Begriffsklärung Gender Mainstreaming

Heinz Baumann (2006); aktualisiert und ergänzt: Surur Abdul-Hussain (2014)

Der gemeinsame Bezugspunkt für den Begriff Gender Mainstreaming ist die Definition des Europarates. Entsprechend den vielfältigen Ansätzen von Gender Mainstreaming haben sich auch unterschiedliche Interpretationen und damit differenzierte Definitionen von Gender Mainstreaming entwickelt. Die meisten Ansätze bewegen sich einerseits im Spannungsfeld von Antidiskriminierung, Gleichstellung und Nutzenorientierung. Andererseits positionieren sich die Ansätze unterschiedlich zu Frauenförderung und Diversitätsmanagement. Die EU-Linie ist in diesem Zusammenhang klar: Frauenförderung soll nicht durch Gender Mainstreaming abgelöst werden und Gender Mainstreaming nicht durch Diversitätsmanagement. Vielmehr geht es darum, diese Strategien in einem mehrgleisigen Konzept kooperativ einzusetzen. Im Folgenden finden Sie eine für die Erwachsenenbildung hilfreiche Auswahl.

 

Definition des Europarates

"Gender Mainstreaming ist die (Re)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung politischer Prozesse mit dem Ziel, eine geschlechterbezogene (gleichstellungsorientierte) Sichtweise in alle politischen Konzepte, auf allen Ebenen und in allen Phasen, durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure und Akteurinnen einzubeziehen." (Europarat 1998)

 

Die Gleichstellung der Geschlechter ist ein Grundprinzip des Gemeinschaftsrechts. Ziel der Europäischen Union (EU) im Bereich der Gleichstellung von Frauen und Männern ist es zum einen, Chancengleichheit und Gleichbehandlung zu gewährleisten. Zum Zweiten zielt die EU darauf ab, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu unterbinden. Bei Gender Mainstreaming geht es darum, sämtliche politischen Konzepte und Maßnahmen so zu gestalten, dass die etwaigen Auswirkungen auf die Situation von Frauen und Männern bereits in der Konzeptionsphase aktiv und erkennbar integriert werden ("gender perspective"). Die zentralen Gleichstellungsziele der EU sind:

 

  • Gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit
  • Gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit
  • Gleichstellung in Entscheidungsprozessen
  • Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt

 

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal von Gender Mainstreaming gegenüber anderen Gleichstellungsstrategien ist der Fokus. Im Unterschied zur Frauenförderung, bei welcher der Fokus auf allen Frauen liegt, definiert Gender Mainstreaming Frauen und Männer als Akteur_innen und als Zielgruppe. Die EU verfolgt einen mehrgleisigen Ansatz, bei dem spezifische Maßnahmen und Gender Mainstreaming kooperativ eingesetzt werden. Kooperativ eingesetzte Mehrfachstrategien wie zum Beispiel Frauenförderung, Gender Mainstreaming und Diversity Management sollen dabei zum Erfolg führen.

Geschlechterdemokratie (Heinrich-Böll-Stiftung)

Ein umfassendes Verständnis von Gender Mainstreaming hat die Heinrich-Böll-Stiftung unter dem Begriff Geschlechterdemokratie definiert. Sie versteht Geschlechterdemokratie als gesellschaftliche Vision, als Organisationsprinzip und als Gemeinschaftsaufgabe. Geschlechterdemokratie ist in dieser Definition ein normativer Begriff, der gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiche Zugänge von Männern und Frauen zu wirtschaftlichen Ressourcen und politischer Macht postuliert. Geschlechterdemokratie impliziert die gleiche Partizipation von Frauen und Männern in Politik, Öffentlichkeit und Ökonomie. Geschlechterdemokratie zielt auch darauf ab, die gesellschaftliche Arbeit zwischen Frauen und Männern neu und gerecht zu verteilen und zu bewerten. Schließlich beinhaltet die Vision Geschlechterdemokratie den Abbau und die Verhinderung autoritärer und gewalttätiger Strukturen zwischen den Geschlechtern.


Geschlechterdemokratie bedeutet, dass

 

  • eine Vielzahl von Leitbildern und Lebensentwürfen anerkannt und als gleichwertig betrachtet wird;
  • die Zuweisung von sozialen Positionen, Arbeit, Einkommen und Macht nicht über das Geschlecht vermittelt erfolgt;
  • patriarchalische Strukturen und Machtverhältnisse im privaten wie im öffentlichen Raum überwunden sind;
  • die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten, geschlechtlichen Ausdrucksformen und sexueller Orientierung rechtlich und gesellschaftlich anerkannt wird.

 

Die Heinrich-Böll-Stiftung definiert hier explizit ihre gesellschaftliche Vision als Zielsetzung, die mit Hilfe von Gender Mainstreaming erreicht werden kann. In dieser Vision werden die historischen und politischen Entwicklungsdimensionen deutlich. Der Begriff Geschlechterdemokratie erweist sich als sehr anschlussfähig in der Erwachsenenbildung. Darüber hinaus ist die im Begriff Geschlechterdemokratie enthaltene Betonung der Vielfalt der Geschlechter und der Geschlechtsidentitäten besonders hilfreich, weil sie ermöglicht, (mitunter verletzenden) Stereotypisierungen entgegenzuwirken.

Die Definition des GenderKompetenzZentrums

Das GenderKompetenzZentrum fokussiert auf Gender Mainstreaming als Prozess in Organisationen. Gender Mainstreaming ist hier ein auf Gleichstellung ausgerichtetes Denken und Handeln in der täglichen Arbeit einer Organisation. Das Ziel von Gender Mainstreaming ist die Erreichung von tatsächlicher Gleichstellung von Frauen und von Männern. Gender Mainstreaming ist eine rechtlich verankerte Strategie, mit der dieses Ziel durchgängig umgesetzt werden kann. Die Umsetzung von Gender Mainstreaming stellt in allen Handlungsfeldern und Sachgebieten sicher, dass politische Programme, Maßnahmen oder Dienstleistungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und von Männern untersucht und bewertet werden. Zudem müssen entsprechende Maßnahmen zur Gleichstellung ergriffen werden.


Dabei wird zunächst z.B. im Rahmen einer Genderanalyse geprüft, ob und inwiefern Frauen und Männer in ihrer Vielfalt von der entsprechenden Maßnahme betroffen sind. Eine solche Genderanalyse kann dazu führen, Maßnahmen zur Frauenförderung zu ergreifen, die gerade dort wichtig sind, wo Benachteiligungen von Frauen abzubauen sind. Es kann auch sachgerecht sein, Maßnahmen zur Förderung von Männern zu ergreifen, wenn dies dem Ziel Gleichstellung dienlich ist, wie z.B. Väter direkt mit einer Kampagne zur Elternzeit zu adressieren. Im Rahmen von Gender Mainstreaming wird Gleichstellung als Querschnittsaufgabe für die gesamte Organisation verstanden und richtet sich an alle Mitglieder einer Organisation, also an Frauen und an Männer gleichermaßen. Besondere Verantwortung bei der Umsetzung von Gender Mainstreaming kommt der Leitungs- und Führungsebene zu.


Die Implementierung von Gender Mainstreaming in einer Organisation dient der gleichstellungsorientierten Optimierung von Arbeitsroutinen und Handlungsweisen der Organisation. Durch die Integration von Genderaspekten können zielgruppendifferenzierte "Produkte" erarbeitet werden. Gleichstellungsorientiertes Arbeiten führt so - neben dem Abbau von Benachteiligung - zu passgenauen und fachlich effizienten Lösungen. Aus diesem Grund führt die Umsetzung von Gender Mainstreaming auch zu einer Verbesserung der bisherigen Arbeitsabläufe und modernisiert die Arbeitsweise einer Organisation. Die Verankerung von Gleichstellung als Querschnittsaufgabe bedarf einer systematischen Implementierung im Rahmen eines Organisationsentwicklungsprozesses.


Auch die Begriffsbestimmung des GenderKompetenzZentrums fokussiert auf die Organisation und die Zielsetzung der Gleichstellung. Darüber hinaus wird hier Gender Mainstreaming als Prozess thematisiert (Analyse - Maßnahmenentwicklung - Umsetzung). Das GenderKompetenzZentrum betont, dass Frauen und Männer in diesem Prozess Beteiligte und Zielgruppe sind, und macht auf die Vielfalt von Frauen und Männern aufmerksam. Neben dem gesellschaftlichen Anspruch wird hier auch der Nutzen für die Organisation angesprochen.

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Weitere Informationen

Links

 

Quellen

  • Europäische Union (o.J.): Gleichstellung von Frauen und Männern. »Link
  • GenderKompetenzZentrum (2010): Gender Mainstreaming. »Link
  • Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) (2003): Geschlechterdemokratie wagen. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag.
  • Heinrich-Böll-Stiftung e.V. (2013): Das geschlechterdemokratische Leitbild der Heinrich-Böll-Stiftung. »Link

 

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