Sprachen lernen
Sprachenlernen findet innerhalb und außerhalb institutioneller Rahmenbedingungen statt und lässt sich nur zum Teil steuern. Man kann hinsichtlich der Aneignungsbedingungen zwischen Erst-, Zweit- und Fremdsprachen unterscheiden. Unter Erstsprachen versteht man, vereinfacht gesagt, jene Sprachen, mit denen ein Kind in seiner frühen sprachlichen Entwicklung aufwächst. Zweitsprachen sind jene Sprachen, die als Umgebungs- und Verkehrssprachen neben die Erstsprachen treten und regelmäßig benützt werden (wie z.B. das Deutsche für MigrantInnen in Österreich). Fremdsprachen sind Sprachen, die fern von einer zielsprachigen Umgebung angeeignet werden (wie z.B. das Französische in Österreich). Eine Sprache kann zwischen der Funktion als Zweit- oder Fremdsprache wechseln, je nachdem in welchem Kontext sich Sprechende befinden. Daher gibt es auch Forschungsstandpunkte, die diese Unterscheidung für obsolet halten (Oksaar 2003).
Institutionelles Sprachenlernen findet in und rund um Bildungseinrichtungen statt und ist durch die Regulierungsmechanismen der Sprachdidaktik und des Prüfens bzw. Zertifizierens gekennzeichnet. Parallel zum (oder statt dem) Sprachenlernen in Institutionen findet der Erwerb von Sprachen (z.B. bei MigrantInnen in Österreich) ungesteuert in der Umgebung statt, wo diese verwendet wird.
Sprach(en)didaktik
Methoden und Ansätze des Sprachunterrichts werden durch die Vorstellung, wie eine Fremdsprache in die Köpfe der Lernenden kommt, bestimmt. Extreme Positionen sind der behavioristische Ansatz und der nativistische Ansatz. Ersterer geht davon aus, dass die innere Sprache ein exaktes Abbild der äußeren Sprache, wie z.B. der Lehrbuchgrammatik, ist. Der nativistische Ansatz nimmt die Existenz eines Sprachorgans an, das in der Lage ist, durch genügend komplexen Input eigenständig die korrekten Strukturen zu erlernen.
Die aktuelle Methodendiskussion sieht das Lehren einer Sprache als "Konstruktion von Lernergebnissen" (Vielau 2003). Dahinter steht die Anerkennung der Tatsache, dass das Sprachenlernen ein komplexer und subjektiver Prozess ist. Er kann von außen nicht gesteuert, aber unterstützt werden. Kausale Zusammenhänge von Lernaktivität und Lernergebnis in LernerInnengruppen herzustellen ist nur schwer möglich.
Im Kontext von Mehrsprachigkeit wird zunehmend von einer "integrierten Sprachendidaktik" bzw. Mehrsprachigkeitsdidaktik gesprochen, die zur Herausbildung von Mehrsprachigkeitskompetenz führen soll. Damit werden bei Anerkennung von "sprachlicher Mehrfachzugehörigkeit" unterschiedliche (Einzelsprach-)Didaktiken für Erst-, Zweit- und Fremdsprachen aufgehoben. Es wird eine Didaktik gefordert, die die Mehrsprachigkeit der Lernenden einbezieht und fördert (z.B. Boeckmann 2009 und 2013). In diese Richtung argumentieren auch neuere Publikationen zur Aus- und Weiterbildung von PädagogInnen, die Mehrsprachigkeit von der Primarstufe bis zur Erwachsenenbildung fördern können sollten (Krumm/Reich 2011, 2013). Neben der Weiterentwicklung sprachlicher Kompetenzen stellt die Mehrsprachigkeitsdidaktik auch die Herausbildung des individuellen Sprach(lern)bewusstseins und die Auseinandersetzung mit der eigenen Mehrsprachigkeit in den Vordergrund.
Sprachenbiografie
Insbesondere bei der Beschäftigung mit Mehrsprachigkeit bzw. dem Sprachen Lernen von MigrantInnen spielt die Sprachenbiografie der Personen eine besondere Rolle. Zur Sprachenbiographie gehören jene Bereiche der Lebenserfahrung, die mit dem Erwerb und dem Lernen von Sprachen verbunden sind. Dazu gehören u.a. Sprachkontakte, Kursbesuche und Migrationserfahrungen. Als Quelle von Lernstrategien ist die Sprachenbiografie auch Ausgangspunkt von Sprachlernberatung. Im Kontext von Migration dienen sprachenbiografische Instrumente, wie z.B. "Sprachenportraits" (Krumm 2001) oder das Sprachen- und Qualifikationsportfolio für MigrantInnen und Flüchtlinge, auch zur Förderung des Mehrsprachigkeitsbewusstseins und des sprachlichen Selbstkonzepts.
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GERS)
Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen wurde entwickelt um u.a. durch einheitliche Sprachenkompetenzbeschreibungen einen Beitrag zur Mobilität und Grenzüberschreitung in einem zusammenwachsenden Europa zu leisten.
Sein Ziel ist u.a.,
- die Kooperation zwischen den Bildungseinrichtungen in den verschiedenen Ländern zu fördern und zu erleichtern,
- die gegenseitige Anerkennung der sprachlichen Qualifikationen auf eine solide Basis zu stellen,
- Lernende und Lehrende, Autoren von Sprachkursen, Prüfungsanbieter und die Bildungsverwaltung dabei zu unterstützen, ihre Bemühungen in diesen Rahmen einzubetten und sie zu koordinieren.
Neben einer Auseinandersetzung mit dem Sprachenlernen und der Förderung von Mehrsprachigkeit bildet die differenzierte Beschreibung von Niveaustufen fremdsprachlicher Kompetenzen das Kernstück des GERS. Diese Stufen sind gegliedert in fünf Fertigkeiten (dialogisches Sprechen, monologisches Sprechen, Hören, Lesen, Schreiben) und auf sechs Niveaustufen (mit den Bezeichnungen "A1" bis "C2") definiert. Durch die Beschreibung von Teilbereichen in den einzelnen Fertigkeiten ist es erstmals möglich geworden Mehrsprachigkeit abzubilden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass mehrsprachig sein nicht bedeutet, alle Sprachen in allen Bereichen gleich gut zu beherrschen.
Die Verwendung der Kompetenzstufen des Europarates für die Beschreibung erst- bzw. zweitsprachlicher Kompetenzen ist nicht vorgesehen und wird ebenso kritisch betrachtet wie deren Gebrauch (u.a. in Gesetzestexten) zur undifferenzierten Darstellung von "Anforderungsniveaus" in verschiedenen Kontexten.
Sprachprüfungen und Sprachzertifikate
Sprachprüfungen dienen in der Erwachsenbildung dem Nachweis von Sprachkompetenzen, meist für berufliche Zwecke oder für die Zulassung zu Fortbildungen (z.B. Aufnahme an Universitäten). Sprachprüfungen sind meist die Grundlage für Sprachenzertifikate. Zumeist sind diese inzwischen orientiert an den Sprachniveaubeschreibungen des GERS und sollen somit Transparenz und (internationale) Vergleichbarkeit in die nachgewiesenen Leistungen bringen. Durch die Einführung der Integrationsvereinbarung wird ein Teil der MigrantInnen in Österreich inzwischen gezwungen, Sprachprüfungen abzulegen.
Weitere Informationen
Weiterführende Links
- Sprachen- und Qualifikationsportoflio für MigrantInnen und Flüchtlinge
- Österreichisches Sprachdiplom
- Association of Language Testers in Europe, ALTE
- Das Europäische Sprachenportfolio
- Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (Goethe-Institut)
- Sprachlehr- und Sprachlernforschung an der Universität Wien
- Curriculum Mehrsprachigkeit (Krumm/Reich 2011) (pdf)
- Sprachenpolitische Rahmenbedingungen
- Österreichischer Integrationsfonds: Integrationsvereinbarung
Literatur
- Bausch, Karl-Richard/Christ, Herbert/Königs, Frank G.(Hg.) (2003): Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. Tübingen: Narr.
- Boeckmann, Klaus-Börge (2009): "Sprachen der Bildung" statt "Deutsch als Zweitsprache". In: ÖDaF-Mitteilungen. Sonderheft zur IDT 2009: Visionen. Gegenwart und Zukunft von DaF/DaZ in Österreich, S. 16-28.
- Boeckmann, Klaus-Börge (2013): Mehrsprachigkeit im Mehrheitsprachenunterricht Deutsch - vom Deutschunterricht zum Sprachenunterricht. In: ÖDaF-Mitteilungen: Horizonte. Sonderheft zur IDT 2013, S. 16-33.
- Europarat (Hg.) (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. München: Langenscheidt.
- Europarat (2013): Integration tests: helping or hindering integration. Report. Provisional version. »Link
- Kerschhofer-Puhalo, Nadja/Plutzar, Verena (Hg.) (2011): Nachhaltige Sprachförderung. Zur veränderten Aufgabe des Bildungswesens in einer Zuwanderergesellschaft. Bestandsaufnahmen und Perspektiven. Innsbruck: StudienVerlag.
- Krumm, Hans-Jürgen (2001): Kinder und ihre Sprachen - Lebendige Mehrsprachigkeit. Wien: eviva.
- Krumm, Hans-Jürgen/Reich, Hans (2013): Sprachbildung und Mehrsprachigkeit. Ein Curriculum zur Wahrnehmung und Bewältigung sprachlicher Vielfalt im Unterricht. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann.
- Oksaar, Els (2003): Zweitspracherwerb. Wege zur Mehrsprachigkeit und zur Interkulturellen Verständigung. Stuttgart: Kohlhammer.
- Plutzar, Verena (2008): Sprachliche Bildung erwachsener MigrantInnen als Aufgabe der Erwachsenenbildung. In: Magazin erwachsenenbildung.at 5/2008: Mehr als Deutschkurse. Migration und Interkulturalität in der Erwachsenenbildung. »Link
- Vielau, Axel (2003): Die aktuelle Methodendiskussion. In: Bausch, Karl-Richard/Christ, Hubert/Krumm, Hans-Jürgen (Hg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. Tübingen und Basel: Francke UTB, S. 238-241.