Zahlenportrait

Wolfgang Brückner, John Evers, Christian Nowak, Peter Schlögl, Judith Veichtlbauer (2017)

Bevor die damit aufgeworfenen Fragen gebündelt und Schlussfolgerungen für künftige Diskussionen gezogen werden, soll hier noch auf die quantitative Bedeutung des 2. Bildungswegs eingegangen werden, da lückenhafte Daten zur systemischen und bildungspolitischen Vernachlässigung des 2. Bildungswegs beigetragen haben und beitragen.


Die Datenlage in der Erwachsenenbildung zeichnet sich, wenngleich hier in den vergangenen Jahren eine klare Verbesserung zu erkennen ist, wesentlich durch Lücken und fragmentierte Datenbestände aus. Dies resultiert aus unterschiedlichen Zuständigkeiten und verschiedensten Formen der Datengenerierung, die neben seltenen amtlichen Statistiken wesentlich im Rahmen von Programmförderungen oder durch empirische Erhebungen erfolgt. Entsprechend schwierig gestaltet sich eine Gegenüberstellung von den einzelnen Elementen des hier interessierenden Zweiten Bildungswegs. Die Schwierigkeiten beziehen sich insbesondere auf Aktualität, Kontinuität und besonders Vollständigkeit der Daten. Einzelne Anläufe einer Darstellung liefern für bestimmte Teilbereiche (für den schulischen Teil etwa siehe Lassnigg, 2014) oder im Überblick (Statistik Austria, 2012) Ansätze, werden aber nicht kontinuierlich geleistet oder weiterentwickelt.


Im Folgenden wird eine synoptische Darstellung gewählt, die aus unterschiedlichsten Quellen Daten zusammenführt. Damit soll vorrangig das Ziel verfolgt werden, die Größenordnung der Abschlüsse des Zweiten Bildungswegs zu ermitteln, und weiters deren Relation zur Anzahl der Abschlüsse im Regelschulwesen aufzuzeigen. Die Gliederung orientiert sich an der Komplexität der Lernergebnisse bzw. der Hierarchie im Bildungssystem.

 

Lerninhalte der Basisbildung bis zum Pflichtschulabschluss

Die folgende Tabelle zeigt die Teilnahmen (Neueintritte 2015) in der Länder-Bund-Initiative zur Förderung grundlegender Bildungsabschlüsse für Erwachsene (Initiative Erwachsenenbildung)

 

Tab.1: Teilnahmen (Neueintritte 2015) in der Länder-Bund-Initiative zur Förderung grundlegender Bildungsabschlüsse für Erwachsene

 

 

Weitere entsprechende Angebote, die nicht über das Förderprogramm Initiative Erwachsenenbildung gefördert werden (etwa durch das AMS oder Länder) und beispielsweise spezifisch auf junge Flüchtlinge zugeschnittene Pflichtschulvorbereitungslehrgänge umfassen, können hier nicht berücksichtigt werden. Für die Bewertung der folgenden Zahlenrelationen ist aber wesentlich, dass die über die Initiative Erwachsenenbildung erfassten Zahlen keineswegs die Gesamtheit entsprechender Angebote in der Erwachsenenbildung abbilden.


Ein quantitativer Vergleich mit dem Regelschulwesen ist für die Bildungsangebote nur bedingt zu leisten. Dies liegt daran, dass nur entsprechende Zahlen für den Pflichtschulbesuch vorlegen und es keine Entsprechung zur Basisbildung im Regelschulwesen gibt. Als Referenzzahl könnte man jedoch die Anzahl der Schülerinnen und Schüler in der achten Schulstufe heranziehen. Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass ein entsprechender Schulbesuch keinen Garanten für die Erreichung der Standards darstellt. Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass die Teilnahmen in der Initiative nicht mit TeilnehmerInnen gleichzusetzen sind, da Mehrfachbesuche von Maßnahmen oder in beiden Programmbereichen nicht ausgeschlossen sind.


Im Schuljahr 2014/15 waren 84.315 Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Schulen der achten Schulstufe gemeldet. Unter diesen Einschränkungen zeigt sich eine Relation von 11% der Teilnahmen in der Initiative Erwachsenenbildung zum Schuljahrgang.

Lerninhalte der mittleren Qualifikationsebene in der oberen Sekundarstufe

Betrachtet man die berufsqualifizierenden Wege im Anschluss an die Schulpflicht, die nicht auch zusätzlich eine Reifeprüfung vergeben, nämlich die berufsbildenden mittleren Schulen (ohne Sonderformen) sowie die Lehrausbildung, die zusammen im Erstausbildungssegment zusammen mehr als die Hälfte aller Jugendlichen aufnehmen) zeigt sich ein differenziertes Bild.

 

Tab.2: BMS für Berufstätige und Lehre

 

 

Im Jahr 2015 wurden gemäß der WKÖ-Statistik 46.111 erfolgreiche Lehrabschlussprüfungen abgelegt, jene im zweiten Bildungsweg machen davon bundesweit rd. 17% aus. In Wien ist die Verschiebung der Lehrabschlüsse in den Zweiten Bildungsweg noch markanter, der Anteil liegt 2015 bereits bei 29,5% (Lehrlingsstatistik 2015, S.18).


Bei den berufsbildenden Schulen ist eine unmittelbare Darstellung der Zahlen der Schülerinnen und Schüler, die Formen für Berufstätige absolvieren, nicht gut möglich. Die Daten zu den Abendformen für berufsbildende mittlere Schulen (Handelsschulen für Berufstätige, technische Fachschulen für Berufstätige) sind nicht im Detail darstellbar. Dies liegt einerseits an der schulrechtlichen Situation, dass die Werkmeister- und Bauhandwerkerschulen als Sonderformen der BMS mitgezählt werden, obwohl sie postsekundäre Einrichtungen (sie haben einen einschlägigen Berufsabschluss als Zugangsvoraussetzung) sind, und andererseits das größte Segment, die Handelsschulen für Berufstätige, mittlerweile in verschränkter Form mit den Handelsakademien für Berufstätige geführt werden (der Zwischenabschluss der Handelsschule ist nach der halben Schulzeit von vier Semestern und einer Abschlussprüfung möglich). Im humanberuflichen Schulwesen (wirtschaftliche Berufe, Tourismus, Mode und Bekleidungstechnik) werden bisher keine Formen für Berufstätige geführt. (vgl. Dorninger, 2014)

Hochschulzugangsniveau und Reife- und Diplomprüfungen

Bei den Bildungsgängen, die zu Reifeprüfungen bzw. den Hochschulzugang hinführen, zeigen sich sehr traditionsreiche und vergleichsweise junge Angebote: Die Schulen für Berufstätige (BT) und die mehrheitlich in der freien Erwachsenenbildung angebotenen Vorbereitungslehrgänge auf die Studienberechtigungs- und Berufsreifeprüfung.

 

Tab.3: Hochschulzugang

 

 

Berücksichtigt man Zweit- und Folgeabschlüsse nicht (Kollegs u.a.), die eine Reifeprüfung als Zugangsvoraussetzung haben, wurden im Jahr 2015 41.658 Reife- und Diplomprüfungen als Erstabschlüsse abgelegt, 522 davon in AHSen für Berufstätige, 663 in HTLs und 323 in HAKs für Berufstätige.


Demnach werden rund 89% der Reifeprüfungen im Regel- bzw. Tagesschulweg abgelegt, 3,6% in Abendschulen und 8,5% in Form der Berufsreifeprüfung. Insofern werden mittlerweile doppelt so viele Reifeprüfungen in Form der BRP abgelegt wie in den Abendschulen.


Hinsichtlich der Studienberechtigungsprüfung ist die Datenlage besonders komplex und unvollständig. Dies liegt daran, dass Absolventinnen in manchen Darstellungen erst durch die Realisierung einer Hochschulzulassung mit dieser Zugangsberechtigung in den Statistiken aufscheinen, aber dann auch oft mit anderen Formen des Zugangs vermengt werden, des Weiteren sind bei den schulischen Kollegs Datenlücken festzustellen.


So weisen die TeilnehmerInnendaten in SBP-Lehrgängen an den großen Erwachsenenbildungseinrichtungen höhere Zahlen aus, als in der Hochschulstatistik (ohne Kollegs, Privatuniversitäten und Pädagogische Hochschulen). Die Diskussionen im ExpertInnengremium des ESF-Projekts VIV und kritische Sichtung kolportierter Zahlen kamen auf eine realitätsnähere Schätzung von ca. 3000 AbsolventInnen pro Jahr (vgl. dazu Situationsbericht 2014, S. 9-14)

Resümee

Inwiefern diese Werte (sofern tatsächlich belastbar) als groß oder gering (Lassnigg, 2014, S. 13) einzuschätzen sind, soll an dieser Stelle nicht abschließend bewertet werden und bedarf auch der Berücksichtigung weiterer Aspekte wie erwachsengerechter Lehr- und Lernarrangements, Zugänglichkeit und Relevanz von Lernerträgen für Erwachsene.


Generell liegen seitens der aufnehmenden Einrichtungen für zentrale Instrumente des 2. Bildungswegs wie BRP und SBP nur eingeschränkte bis keine Daten vor, ein verlässlicher Rückschluss auf die Zahl der AbsolventInnen ist auf dieser Basis kaum möglich.


Dennoch kann von der einer Größenordnung von rund 25.000 Menschen ausgegangen werden, die jährlich Abschlüsse auf diesem Weg ablegen. Dabei sind die weiterführenden Formen für Berufstätige (Meistervorbereitungen, Werkmeisterschulen, berufsbegleitende FH-Studiengänge u.a.), noch gar nicht berücksichtigt.


Die anschwellende Diskussion um die Validierung von früheren Lernleistungen oder Kompetenzen wird hier die Transparenz von Teilnahmen und AbsolventInnen perspektivisch auch nicht erleichtern. Insbesondere die stark individualisierten Verfahren der Anerkennung und Anrechnung von früheren Lernleistungen sind, wenn dies dezentral an den Schulen oder Erwachsenenbildungseinrichtungen erfolgt, für die Menschen unbestritten begrüßenswert, aber für die Unübersichtlichkeit im Zweiten Bildungsweg wohl eher erschwerend.


Aus „statistischen Gründen" wäre zunehmende Verantwortungsübernahme für Prüfungen in abschlussorientierten Lehrgängen im 2. Bildungsweg wie BRP, SBP und ePSA doppelt begrüßenswert, wenn damit eine einheitliche Dokumentation und Statistik einhergehen könnte. Dort werden bisher nur Teilzeugnisse, aber keine abschließenden Gesamtzeugnisse ausgestellt, wenn das in einer Hand wäre, würde auch die Zahl der AbsolventInnen gesicherter abrufbar – unabhängig davon, ob in weiterer Folge der Weg zu Kollegs, Universitäten oder Fachhochschulen führt.