KI kritisch reflektieren: Wie geht das in Lernangeboten?
Die Pädagogin Nele Hirsch verrät in einem aktuellen Blogbeitrag, was Lehrende tun können, um für ausreichend kritische Reflexion in KI-Lernangeboten zu sorgen. Um KI-Tools nicht nur zu nutzen, sondern auch als Lerngegenstand zu betrachten, sollte kritisches Denken von Anfang an Teil des Lernprozesses sein.
Kritische Reflexion am Anfang
Es empfiehlt sich, Bildungsveranstaltungen zum Thema Künstliche Intelligenz mit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zu beginnen. Sonst kann es laut Nele Hirsch passieren, dass die kritische Reflexion gegenüber der praktischen Erprobung der KI-Tools zu kurz kommt. Doch wie kann so ein Einstieg konkret aussehen? Der Pädagogin zufolge bietet die sogenannte W³-Methode der Liberating Structures eine gute Möglichkeit, mit der Reflexion zu starten.
Die W3-Methode: optimiert für KI-Themen
Die drei W der Methode stehen für die Fragen „Was?“, „Also Was?“ und „Was Nun?“. Teilnehmende sammeln zuerst ihre Beobachtungen zum Thema der Veranstaltung („Was?“), interpretieren diese dann („Also Was?“) und leiten schließlich mögliche Handlungsschritte für die Praxis daraus ab („Was Nun?“).
Der erste Schritt der Methode – also das Sammeln der Beobachtungen der Teilnehmer*innen – auch durch einen theoretischen Input über die Funktionsweise von generativer KI oder Large Language Models (LLM) ersetzt werden.
Pädagogisch besonders wertvoll ist in diesem Fall ein Zwischenschritt, bei dem Teilnehmende Fragen stellen oder etwas ergänzen können. Das kann auch online in Gruppen erfolgen und sorgt im Anschluss an den Wissensinput für interaktive Abwechslung.
Im zweiten Schritt beginnen die Teilnehmenden mit der Interpretation, indem sie sich die Frage stellen, was die präsentierten Aspekte zum Thema Künstliche Intelligenz für ihr Arbeitsumfeld oder ihre Praxis bedeuten („Also Was?“). Hier kann es hilfreich sein, digitale Whiteboards, Etherpads oder andere Tools zum kollaborativen Arbeiten zu verwenden, um die eigenen Ideen festzuhalten und mit den anderen in der Gruppe zu teilen.
Letztlich fragen sich die Teilnehmenden in Schritt drei, welche der gesammelten Ideen sie selbst in ihren Arbeitsalltag mitnehmen und praktisch umsetzen möchte. Im besten Fall leiten sie bereits Überlegungen für konkrete Handlungsschritte ab und beantworten damit für sich die Frage „Was Nun?“. Essenziell ist aber weniger, einen praktischen Handlungsschritt auszumachen, als viel mehr, durch diese Methode der kritischen Reflexion über Künstliche Intelligenz ausreichend Raum zu geben.
„Kritisches Denken“: was heißt das konkret?
Die UNESCO hebt in ihren Ethikrichtlinien für KI die Bedeutung des kritischen Denkens hervor, das neben Medien- und Informationskompetenz für den Umgang mit KI notwendig ist.
Aber was ist unter darunter konkret zu verstehen? Nele Hirsch ist auch dieser Frage nachgegangen und meint: Kritisches Denken kennzeichnet die Bereitschaft und Fähigkeit, durch eigenständiges Denken nach Wahrheit zu streben – also ganz im Sinne Kants: "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"
Nützlich ist dabei das Bewusstsein für typische Denkfehler. Beispielsweise besagt der „Confirmation Bias“, dass Menschen dazu neigen, an einer einmal entwickelten Überzeugung festzuhalten. Das eigene Denken führt uns also immer wieder auf Irrwege.
Ein weiterer Denkfehler heißt „Rahmungseffekt“ und besagt, dass sich Menschen eher für ein Angebot entscheiden, wenn es mit seinen positiven Konsequenzen präsentiert wird als mit seinen negativen – das Framing ist für menschliche Entscheidungen wichtig.
Weitere Denkfehler sind spezifisch KI-bezogen wie etwa der „Automation Bias“ (etwa: Maschinengläubigkeit). Das ist die Tendenz, von einer Maschine besondere Objektivität zu erwarten und die Ergebnisse maschineller Verarbeitung unkritisch zu akzeptieren. Der Hang zum Anthropomorphismus wiederum bringt Menschen dazu, nicht-menschlichen Agenten (wie etwa einer KI) menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
Wer kritisches Denken üben möchte, bleibt aufmerksam für diese und weitere Denkfehler. „Glaub nicht (gleich) alles, was du denkst“ ist hier eine gute Devise.
Reflexionen über KI: fragen, hinterfragen und infrage stellen
Mit KI erzeugte Deepfakes, ein Bias in den Trainingsdaten einer KI oder gezieltes Framing: Das sind nur drei Beispiele für die Vielzahl an Herausforderungen, die es mit kritischem Denken zu bewältigen gilt.
Wer etwas kritisch reflektiert, stellt sich selbst und anderen Fragen, hinterfragt oder stellt etwas infrage. Das ist nützlich und wesentlich, denn bei komplexen und unbekannten Themen neigen Menschen zur einseitigen Betrachtungsweise oder Vereinfachung.
Gerade wenn etwas (z.B. eine Technologie) als alternativlos präsentiert wird, eignen sich „warum“-Fragen gut. Bei „Wie“-Fragen zahlt es sich aus, sie bewusst in verschiedenen Richtungen zu formulieren und zu variieren. Generell ist es auch ratsam, sich bewusst mit Fragen zu einem Thema (wie KI) zu befassen, die man bisher noch nicht gestellt hat. „Was?“, „Also Was?“ und „Was Nun?“ – also die drei W aus der W3-Methode – gehören dazu.
- W3-Methode zur Reflexion von KI als Lerngegenstand
- Die Kompetenz des kritischen Denkens – analysiert vor dem Hintergrund der KI-Debatte in der Bildung
- Rechnen oder leben? Warum es nicht genügt, KI-Texte nachzubessern
- Kritische Datenbildung fördern: ein Online-Leitfaden
- Künstliche Intelligenz kurz erklärt (Podcast-Folge)
- W³-Methode der Liberating Structures
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