Erwachsenenbildung im Wandel: Ö-Cert Enquete hält Qualitätsfragen im Blick
Veränderte Lebens- und Lerngewohnheiten nach der Pandemie, neue Technologien und eine latente Demokratiezersetzung stellen die Erwachsenenbildung vor neue Herausforderungen. Auch das Kriegsgeschehen und die Klimakrise fordern Aufmerksamkeit. Das Team von Ö-Cert, dem österreichischen Qualitätsrahmen für Erwachsenenbildungsorganisationen, holte mit Künstlicher Intelligenz (KI) und neuen Bildungsformaten zwei besonders aktuelle Themen vor den Vorhang und stellte einen Bezug zur Qualitätsdebatte her.
Künstliche Intelligenz fordert heraus
Schon zum Einstieg wurden die Erfahrungen der rund 170 Anwesenden mit KI erfragt. Ein Großteil deklarierte sich als berufliche KI-Nutzer*innen oder gab an, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Um im Umgang mit generativer KI noch mehr Sicherheit zu entwickeln, wären jedoch mehr Weiterbildung, Wissen und Zeit nötig, so die Antworten. Auch Datenschutz, Erfahrungswerte und Qualitätskriterien wurden als Desiderate genannt.
Grotlüschen: Ausgeliefert durch Selbstüberschätzung
Anke Grotlüschen, Professorin für Lebenslanges Lernen an der Universität Hamburg, problematisierte den aktuellen Umgang mit generativer KI in der Erwachsenenbildung. Sie lieferte empirische Belege für die verbreitete Überschätzung der eigenen kritischen Medienkompetenz. Darüber hinaus konnte sie zeigen, wie geringes Lesevermögen das kritische Hinterfragen von Informationen erschwert. Gerade bildungsbenachteiligte Personen sind daher politischen Manipulationen besonders stark ausgeliefert.
Wir sollten uns aber nicht täuschen: Auch erfahrene KI-Nutzer*innen erwarten von Modellen wie ChatGPT viel zu oft ein korrektes Ergebnis. Die Praxis des lateralen Lesens, also des parallelen Überprüfens von Informationen, sei viel zu wenig verbreitet.
Als die drei größten Gefahren in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz bezeichnete Grotlüschen Desinformation, Datenkapitalismus und den sogenannten Algorithmic Bias: KI kann Fake News befördern, KI-Sprachmodelle können halluzinieren, KI-basierte Geschäftsmodelle leben von Daten, und KI reproduziert Stereotype – das alles gilt es, sich im Bewusstsein zu halten.
Aschemann: Flexible Formate verlangen nach kompetenten Erwachsenenbildner*innen
Birgit Aschemann, Leiterin des Kompetenzzentrums für Digitale Professionalisierung auf erwachsenenbildung.at stellte in ihrem Vortrag über Bildungsformate in Frage, ob es ausreicht, auf geänderte Bedürfnisse mit laufend neuen, flexiblen Formaten zu reagieren.
Nach der Lockdown-Erfahrung fordern Lernende und Auftraggeber von Bildungsmaßnahmen mehr denn je kurzfristige oder unverbindliche Buchungsoptionen, zeitliche und örtliche Flexibilität, einen hohen Praxisbezug und das Eingehen auf individuelle Inhaltswünsche – das berichten Bildungsanbieter durchgängig.
Aschemann stellt dazu verschiedene Optionen vor, Formate flexibler zu gestalten – zum Beispiel durch das Einplanen inhaltlicher „Wunschkonzert-Module“, das Ermöglichen von individuellen Startterminen durch Onlineressourcen oder das Anbieten des gleichen Inhalts als Video- und als Webinar-Serie.
Die Realisierung solcher Formate wird mitunter zur Kompetenzfrage und ist auch durch den zunehmenden Personalmangel in der Erwachsenenbildung limitiert. Die Verfügbarkeit kompetenten Personals ist zugleich einer der Treiber für das Lehren mit Avataren - eine derzeit noch irritierende Vorstellung, die aber bald Realität werden könnte, wie erste Beispiele zeigen. Zwar erhöhen Avatare die Möglichkeiten der Formatgestaltung weiter, erfordern aber einen starken Fokus auf die Qualität von Lehr-Lern-Prozessen.
Gruber: Ö-Cert bereit für Anbieter digitaler Formate
Als Vorsitzende der Ö-Cert Akkreditierungsgruppe spannte schließlich Elke Gruber, Professorin für Erwachsenen- und Weiterbildung an der Universität Graz, den Bogen zu den Organisations-bezogenen Qualitätskriterien von Ö-Cert. In einer explorativen Forschung mit Beteiligung von Thomas Szammer konnte sie bereits 2022 die Qualitätssicherungs-Systeme erfassen, die Anbieter digitaler Formate im Einsatz haben.
Daraus wurden Anbieter-Cluster und eine Checkliste für Ö-Cert erarbeitet. Anhand der Ergebnisse schließt Gruber, dass Ö-Cert auch für Organisationen mit digitalen Bildungsformaten einen geeigneten Qualitätsrahmen darstellt. Angesichts der rasanten Entwicklung in Zusammenhang mit generativer KI sei die Checkliste jedoch bald wieder zu überdenken, so Gruber.
Ihr Schlussplädoyer angesichts der raschen Veränderungen galt einer Haltung der Gelassenheit und wurde als solche von vielen Anwesenden sichtlich dankbar aufgenommen.
Über Ö-Cert
Ö-Cert verschafft einen Überblick über qualitätssichernde Maßnahmen der Erwachsenenbildungsorganisationen und sichert die gegenseitige überregionale Anerkennung zwischen den einzelnen Ländern sowie mit dem Bund. Ziel von Ö-Cert ist es, qualitätssichernde Maßnahmen in der Erwachsenenbildung weiter zu fördern und Transparenz und vereinfachte Verwaltung zu schaffen.
Die Veranstaltung im Wissensturm Linz wurde von Johanna Weismann als Leiterin der Ö-Cert-Geschäftsstelle gerahmt und von Trude Hausegger von Prospect GmbH moderiert.
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