Die nächste disruptive Innovation? Hier ist sie!
Was ist ChatGPT?
Ende November 2022 wurde vom US-amerikanischen F&E-Anbieter OpenAI der Chatbot ChatGPT veröffentlicht. Seitdem ist die Sprach-KI als Programm frei zugänglich und kann kostenlos verwendet werden.
Der Chatbot liefert in Sekundenschnelle zusammenhängende, glaubhafte Textergebnisse. Das ist an sich nichts Neues, aber die Qualität des Outputs und die ansprechende Darbietung im Dialogformat sind bestechend. Die wenigen Einschränkungen kommen durch einzelne Übersetzungsfehler zustande oder durch den verarbeiteten Informationsstand, der mit 2021 endet - man darf sich von Chat-GPT also keine News erwarten.
Der Bot wurde mit massenhaft verfügbaren unterschiedlichen Texten und Textsorten (Büchern, Blogs, Websites, Social Media etc.) trainiert und beantwortet User-Fragen dementsprechend in hoher Differenziertheit. Mit dieser Qualität sorgt der Chatbot für Staunen, Aufregung und betriebsames Sinnieren über die Konsequenzen. Eine Zeitenwende in der Bildung wird vermutet – wie es Doris Weßels, Leiterin des Virtuellen Kompetenzzentrums Schreiben lehren und lernen mit Künstlicher Intelligenz, stellvertretend für viele weitere Kolleg*innen formuliert.
Was kann ChatGPT?
Der Chatbot stellt sich bescheiden vor („ich bin lediglich ein Computerprogramm“), und seine Nutzung ist denkbar einfach: Sobald man sich auf openai.com registriert hat, steht ChatGPT zur Verfügung und nimmt Anfragen auch auf Deutsch entgegen. Auch die Ausgabe geht auf Sprachwünsche ein – man kann Ergebnisse auch auf Urdu oder in html anfordern (also auch Code schreiben lassen).
Generell sind den Fragen und Aufträgen an den Chatbot kaum Grenzen gesetzt. Das Schreiben von Konzepten, Aufsätzen, Bewerbungen oder Briefen dürfte zu den meistgenutzten Funktionen gehören. Ein Beispiel für einen kurzen Essay samt seiner KI-gestützten Bewertung wurde von Doris Weßels publiziert. Ähnliche Prozessschritte der KI-gestützten Textgenerierung und anschließenden KI-gestützten Bewertung könnten sich künftig auch in der wissenschaftlichen Publikationspraxis oder in der Antragspraxis und Mittelvergabe abspielen, so Gabi Reinmann - zumal menschliche Gutachter*innen nur begrenzt verfügbar sind. Diese Beispiele verweisen unmittelbar auf die Herausforderung, die Produkte angemessen zu bewerten, die in einer derartigen Kooperation von Mensch und Software entstehen.
Besonders reizvoll im Umgang mit ChatGPT sind die Vorgaben zur Tonalität, die ganz unterschiedliche Ergebnisse bewirken. Ein optimaler Output der KI erfordert also einen intelligenten menschlichen Input. Folgende Tipps dazu stammen von Stefan Mey und ChatGPT (lt. Standard vom 5.1.2023): Der Bot braucht möglichst konkrete Anfragen mit reichlich Kontextinformation und kann auch Experten*innen simulieren, um besonders fundiert zu argumentieren. Zudem kann man ungewöhnliche Ideen zuerst anfordern, ironische Kommentare verfassen lassen oder um Imitationen von konkreten (bekannten) Autor*innen bitten.
Daneben kann ChatGPT auch als „intelligenter“ Schreibassistent genutzt werden und Vorschläge zur stilistischen oder grammatikalischen Verbesserung eigener Texte liefern, wenn man sie anfordert. Ohne nähere Spezifikation kommen auf diese Weise klare und simple Texte ohne Zwischentöne zustande.
Soweit ein paar erste Ideen, und mit Sicherheit kann eine leistungsfähige Sprach-KI noch mehr. Wir überblicken die Folgen noch nicht einmal annähernd. Verschiebungen von Kräfteverhältnissen sind da oder dort zu erwarten. So taucht seit Anfang Jänner immer wieder die Frage auf, wieso man denn weiterhin „googeln“ sollte, wenn Bots wie ChatGPT umfassende Erklärungen zusammenstellen und für Nachfragen unmittelbar verfügbar sind (für Chrome gibt es bereits eine entsprechende Erweiterung).
Reaktionen aus dem Bildungsbereich
Die Hochschule als textlastiger Bildungssektor reagiert naturgemäß rasch auf das neue Angebot, denn akademische Schreibprozesse sind direkt betroffen, und grundsätzliche Änderungen beim wissenschaftlichen Arbeiten sind zu erwarten.
Erste Reaktionen betreffen die zu erwartende studentische Nutzung des Chatbots für Qualifizierungsarbeiten. Für die Bewertung schriftlicher Arbeiten wird es neben Ergebniskriterien zunehmend auch Prozesskriterien brauchen. Außerdem werden wohl reine Texterstellungsaufgaben für Studierende weniger bedeutsam werden, während mündliche Formate, Portfolios, Diskursformate oder Präsentationen an Bedeutung zunehmen werden.
Zum Entdecken bzw. Aufdecken von KI-generierten Texten gibt es schon seit der Vorläufer-Version des aktuellen Chatbots eine Reihe von Tools, die z.B. in einer offen lizenzierten Sammlung der Schreibpädagogin Anna Mills aufgelistet sind. Aber mehr oder bessere Kontrollmechanismen im Prüfungsgeschehen sind nicht die Lösung, so Gabi Reinmann in ihrem Beitrag „ChatGTP – Wettrüsten oder Wertewandel?“. Im Gegenteil, es braucht eine neue Haltung, vielleicht sogar eine neues Wertesystem im Bildungswesen für eine Gesellschaft, „die kluge Menschen mit Urteilskraft braucht und nicht solche, die einfach nur geschickt durch alle Gates und an allen Gatekeepern vorbeikommen.“
Wichtiger als die Frage der Leistungsüberprüfung ist daher die Frage der Didaktik. Wie lernen Studierende künftig das Recherchieren, Bewerten, Auswählen und vor allem das argumentative Verwenden von Informationen, wenn nicht - wie bisher – durch eigene Such- und Schreibprozesse? Einen „Taschenrechner-Effekt“ kann sich das Bildungssystem nur leisten, wo es um das potenzielle Verlernen der Quadratwurzel geht - nicht dort, wo die Fähigkeiten zur Informationsbewertung und logischen Argumentation auf dem Spiel stehen.
Vorschläge für angepasste Methoden stammen zum Beispiel vom Mathematiker Christian Spannagel, der auch dafür auf verstärkte mündliche Formate setzt und für eine proaktive Einbindung der KI in die Lehre plädiert. Lernende müssen dann die Ergebnisse des Chatbots verstehen, bewerten, überarbeiten und weiterentwickeln - und das trainiert ihre Fach- und Methodenkompetenz. Im besten Fall könnten KI-Chatbot-Systeme zu persönlichen Lernbegleiter*innen werden.
Nutzungsvorschläge der KI für den Schulunterricht betreffen nicht nur die Schreibdidaktik, sondern auch die Unterrichtsvor- und Nachbereitung. ChatGPT kann ein Quiz oder einen Test, einen Lückentext oder eine Rechtschreibübung erstellen, Texte vereinfachen (bzw. in unterschiedliche sprachliche Komplexitätsniveaus bringen), Videos transkribieren etc. Ganze Lehrpläne lassen sich von ChatGPT erstellen. Das wird nicht nur für den unmittelbaren Unterricht, sondern auch für den Lehrer*innen-Alltag ein Gamechanger – mit vorläufig unklaren Folgen. Eine Zusammenschau erster Reaktionen bietet Elke Höfler in ihrem Blogbeitrag im Abschnitt „ChatGPT und die Schule”.
ChatGPT und Erwachsenenbildung? Ein erstes Zwischenfazit
In den meisten Bereichen der Erwachsenenbildung ist eigenständiges Schreiben keine so zentrale Lernmethode wie im Schul- oder Hochschulbereich. Insofern müsste ChatGPT das reine Lerngeschehen in der Erwachsenenbildung nicht so unmittelbar erschüttern wie im formalen Bereich. Allerdings kann der Chatbot auch für die Unterrichtsvorbereitung, im Antrags- oder Berichtswesen, für die Konzepterstellung und für Planungsprozesse viel leisten. Er liefert Informationspakete, Berechnungen, Programmierungen und vieles mehr – und das auch für Lehre, Beratung und Bildungsmanagement – und revolutioniert natürlich auch das Lernen selbst. Einen interessanten Einblick dazu bietet ein Interview von Katja Ratheiser mit ChatGPT, in dem sich der Chatbot über seine Potenziale in der Erwachsenenbildung äußert.
KI-Sprachsysteme hoher Qualität sind ab jetzt in der gesamten Wissensarbeit ein Fakt, und wegzuschauen ist keine Option, denn „ChatGPT ist erst der Anfang“. Ganz egal, ob man den Chatbot selber nutzt oder nicht: andere im eigenen Arbeitsumfeld werden es tun, und der Output der KI wird damit in der eigenen Arbeitsumgebung präsenter. Eigenständiges, logisches und kritisches Denken und Kommunizieren wird daher noch wichtiger als bisher.
Dass der unmittelbare Handlungsdruck in der Erwachsenenbildung geringer ist als im formalen Bereich, gibt uns die Zeit, Erfahrungen mit der neuen Technologie zu sammeln, bevor wir damit und dazu eigene Lernangebote gestalten. Das ist nun auch in der Erwachsenenbildung unsere Aufgabe: zu lernen, wie wir die Software nutzen können und wollen, oder (um dem dialogischen Stil des Chatbots Rechnung zu tragen) wie wir mit der KI zusammenarbeiten möchten. Knowhow aufzubauen, welche Anweisungen zu welchen Ergebnissen führen, ist dabei ein guter Anfang. Hier wird neues Knowhow entstehen, das im Sinne der Chancengerechtigkeit auch an alle Menschen weitergegeben werden muss.
Gleichzeitig sollten wir unsere Erfahrungen dabei in einer offen geführten und (selbst-)kritischen Reflexion teilen. Denn machen wir uns nichts vor: Viele Arbeitsplätze sind so stressbelastet, dass Unterstützung bei zahlreichen Denkleistungen und in vielen Textsorten willkommen ist. Wenn der Output vernünftig erscheint, wird es bequem sein, ihn zu akzeptieren – auch wenn wir uns das Denken nicht abnehmen lassen wollen und dürfen. Wach zu bleiben in der (Selbst-)Beobachtung und offen zu bleiben im Dialog, ist also auch in diesem Fall gefragt.
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