Bildung zu gesellschaftlich kontroversen Themen – am Beispiel Klimaschutz

05.10.2023, Text: Eva Taxacher, "Ich tu's"-Bildungspartner*in und Andrea Widmann, "Ich tu's"-Initiative "Klimaschutz in der Erwachsenenbildung", Redaktion: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
"Ich tu's"-Bildungspartner*innen berichten vom Umgang mit Machtverhalten und Widerständen am Beispiel Klimaschutz.
Gelbe Bälle auf denen lächelnde, traurige und zornige Gesichter gemalt sind
Kontroverse Themen im Lehr-/Lernsetting zu bearbeiten ist herausfordernd: Teilnehmende werten Meinungen ab, protestieren, es kommt zu Rechthaberei oder auch Rückzug.
Grafik: Pixabay Lizenz, Gino Crescoli, https://pixabay.com
Im steirischen Ich tu's Netzwerk der Bildungspartner*innen zu Klimaschutz in der Erwachsenenbildung treffen sich Trainer*innen und Bildungsmanager*innen regelmäßig zum Erfahrungsaustausch und zur Entwicklung neuer Konzepte und Strategien, um Bewusstsein und Kompetenz zum Klimaschutz bei Teilnehmer*innen der allgemeinen und beruflichen Erwachsenenbildung zu stärken.

 

Ein Treffen im Jahr 2023 hat sich der Frage gewidmet, in welchen schwierigen Lehr- und Lernsituationen sich Erwachsenenbildner*innen beim Thema Klimaschutz wiederfinden und welche Lösungsansätze für die erlebten Herausforderungen zielführend sind. Neben den Erklärungen zu Abwehrphänomenen, die Nachhaltigkeitsberaterin Alexandra Müller aus dem Bereich Klimapsychologie präsentierte (siehe Beitrag Erwachsenenbildung und Klimaschutz: Mit Abwehrmechanismen umgehen), stellte Supervisor*in Eva Taxacher kommunikative und didaktische Strategien zur Diskussion, wie widersprüchlich diskutierte Themen in Bildungs- und Beratungsformaten mit Erwachsenen gehandhabt werden können.

Auslöser und Motive für Widerstand

Kontroverse Themen bringen mitunter herausfordernde Situationen für Erwachsenenbildner*innen mit sich: Teilnehmende formulieren unterschiedliche Meinungen und reagieren teilweise emotional auf die Beiträge anderer – sie werten Meinungen ab, protestieren, es kommt zu Rechthaberei oder auch Rückzug.

 

Emotionale Reaktionen lassen sich dabei meistens auf zwei Grundmotivationen zurückführen: Widerstand gegen eine Position kann einerseits aus Überlastung und Überforderung entstehen, oftmals gepaart mit Angst. Andererseits kann Widerstand auch bewusst eingesetzt werden, um gesellschaftliche Machtpositionen zu verteidigen und auszubauen. Diese zwei Ebenen gilt es in Bildungsformaten bewusst zu adressieren und bearbeitbar zu machen.

Gesellschaftsveränderung erzeugt Stress und Angst

Die Auseinandersetzung mit Klimaschutz erzeugt dahingehend Stress und Angst, dass vielen Teilnehmenden klar wird, dass sie eigene Verhaltensweisen und auch Einstellungen ändern müssen, um Teil einer nachhaltigen Zukunft zu sein. Das ist oftmals überfordernd und führt zu Gefühlen wie "Das geht nicht mehr" als Ausdruck von Überlastung. Insbesondere in Zeiten vielfältiger Veränderungen erleben viele Personen die Anforderungen, ihre Routinen in Richtung Nachhaltigkeit zu ändern, als nicht bewältigbar.

 

Der erlebte und von Expert*innen regelmäßig betonte Zeitdruck erhöht das entsprechende Stressempfinden und führt mitunter zu Perspektivlosigkeit und zu einem Gefühl von Hilflosigkeit. Das wiederum führt bei manchen Teilnehmenden zu einem Zustand der Resignation, was sich in Aussagen wie "Es ist ohnehin schon zu spät" deutlich zeigt.

Stress führt zu Aggression und Abwertung

Eine Reaktionsform auf die erlebte Überforderung zeigt sich als Angriff. Dabei wird das Thema Klimaschutz abgewertet und Sätze wie "Jetzt kommst du schon wieder mit diesem Thema (und willst uns ein schlechtes Gewissen machen)" formuliert. Oder es wird versucht, die eigene Betroffenheit durch Projektion auf eine andere Gruppe abzuwehren. "China verursacht die meisten Emissionen." Auch "Gegenvorwürfe" der Diskriminierung sind typische Kommunikationsmuster: "Bei der Debatte zum Klimawandel werden Autofahrer*innen (oder Einkommensschwächere) diskriminiert."

 

Dieses polarisierende eher "angriffige" Verhalten kann in Bildungsveranstaltungen dazu führen, dass andere Personen ihre Beteiligung zurücknehmen, weil sie Angst vor Abwertungen haben. Gleiches kann auch passieren, wenn starke sachliche Bewertungen ausgesprochen werden. Wenn also beispielsweise individuelle Maßnahmen wie "zweiseitiges Bedrucken von Papier" oder "doppelte Verwendung von Flipchartpapier" als "völlig unzureichend" beurteilt werden oder Ideen als "total sinnlos" betrachtet und verworfen werden. Diese "ganz oder gar nicht"-Haltung im Bereich Klimaschutz trägt nach Erfahrung der Ich tu's Bildungspartner*innen ebenso zu Kontroversen und Polarisierung bei, obwohl die Intention auf fachlicher Ebene meist zukunftsgerichtet ist.

Strategien im Umgang mit Überforderung und Angst

Wenn Abwehr aus Überlastung und Überforderung entsteht, hilft es, Teilnehmende zu begleiten, ihr Ohnmachtsgefühl zu reflektieren und bestenfalls zu überwinden, Selbstwirksamkeit zu erleben und Handlungsoptionen zu erarbeiten.

 

Um mit negativen Gefühlen, die sich in Widerstand zeigen, konstruktiv umzugehen, hilft es, Fragen zu stellen und Interesse an den Meinungen und Emotionen der Teilnehmenden zu zeigen, und einen Interaktionsraum zu öffnen, in dem ruhig und freundlich zugehört und gelassene Kommunikation befördert wird.

 

Das können Trainer*innen beispielsweise erreichen, indem sie bewertende Sprache umformulieren und Aussagen in sachlicher und ruhiger Form wiederholen - aus "völlig unzureichend" wird dann: "Sie haben zu diesem Punkt eine andere Einschätzung. Wie ist Ihre Erfahrung dazu?". Das Ansprechen der persönlichen Erfahrung zeigt Interesse und stellt eine persönliche Beziehung her. Die Teilnehmenden fühlen sich wertgeschätzt und gehört. Damit nimmt die Trainer*in eine deeskalierende Vermittlungsposition ein. Das Ziel der Intervention ist, wieder gegenseitiges Zuhören durch Wahrnehmung, Umformulierung und Entschleunigung zu ermöglichen.

Strategien im Umgang mit Macht und Dominanzverhalten

Wenn Abwehr allerdings bewusst eingesetzt wird, ist es weniger zielführend, Teilnehmende verständnisvoll in einem Lernprozess zu begleiten. Dann ist vielmehr angezeigt, machtpolitische und gruppendynamische Prozesse im Rahmen der Bildungsveranstaltung zu unterbrechen und dahinterliegende Motive zu erkunden.

 

Wenn also die Widerstände in Bildungsformaten eher darauf hinweisen, dass einzelne Personen bzw. Gruppen ihre Privilegien erhalten und Machtunterschiede reproduzieren wollen, ist es zielführend,

  • bei Verallgemeinerungen nach Konkretisierung zu fragen,
  • von Teilnehmenden einzufordern, beim Thema zu bleiben und als Trainer*in selbst nicht von einem zum nächsten Thema zu springen,
  • eigene - auch abweichende und neue, irritierende - Standpunkte einzubringen und damit Normen infrage zu stellen und diskutierbar zu machen,
  • immer wieder übergeordnete Ziele einzubringen und Statements darauf zu beziehen ("Wenn wir Ihrem Vorschlag nachgehen und soziale Nachhaltigkeit erreichen wollen, wie könnten wir das gestalten?"),
  • zwar alle Meinungen anzuhören, aber nicht alle Teilnehmenden gleich zu behandeln, sondern für gruppendynamischen Ausgleich zu sorgen, indem Personen mit dominantem Verhalten (laut, hoher Redeanteil, bewertende Sprache) in ihren Wortmeldungen begrenzt werden und Personen mit zurückhaltendem Verhalten bestärkt werden, sich einzubringen.

 

Das Einschränken dominanter Personen einerseits und das Ermutigen zurückhaltender Personen andererseits gelingt durch direkte Ansprache, z.B.: "Darf ich Sie bitten, sich kurz zu fassen, damit hier alle noch gut zu Wort kommen" bzw. "Wie ist Ihre Einschätzung, Person X, dazu?". Weiters sind differenzierte didaktische Settings nützlich – also das Auflösen der Diskussion im Plenum oder die bewusst homogene oder heterogene Zusammensetzung von Kleingruppen. Das Anbieten von unterschiedlichen Ausdrucksformen kann ebenfalls zum Ausgleich in der Gruppendynamik führen. Ausdruckformen können z.B. sein: Schreiben, Sprechen, Modellieren, Malen, Basteln, analoge oder digitale Ausdrucksformen, szenische Darstellungen sowie Arbeiten mit Bildern, Gegenständen und Symbolen.

 

Über die Autor*innen

Eva Taxacher ist tätig im Bereich Supervision, Coaching und Prozessbegleitung (u.a. als Coach for future) sowie als Lehrgangsleitung der GenderWerkstätte im Verein Frauenservice Graz. Eva Taxachers Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Durch die Teilnahme im Projekt Klimaschutz in Training und Beratung wird Eva Taxacher bei der Klimaschutzgala 2023 des Landes Steiermark als Ich tu's Bildungspartner*in ausgezeichnet.

Andrea Widmann arbeitet im Projekt Klimaschutz in Training und Beratung im Auftrag von Ecoversum. Das Projekt wurde 2021 mit einem nationalen Bildungsaward ausgezeichnet.

 

Serie und Dossier zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit

Hochwasser, Waldbrände, Hungersnot – Expert*innen der Klimaforschung warnen vor den Folgen extremer Wettereignisse durch den Klimawandel. Verschiedene politische Strategien wie etwa der UN-Aktionsplan Agenda 2030 versuchen, dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei sehen sie auch Bildungsinstitutionen gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten, Diskurse zu ermöglichen und "grüne" Kompetenzen zu fördern. Wo setzt hier die Erwachsenenbildung an? In der Serie "Klima- und Umweltschutzbildung" versammeln wir Beiträge, die sich dieser Frage widmen und Antworten geben. 

Was können wir in der Erwachsenenbildung in unserem eigenen Wirkungsbereich noch für den Klimaschutz tun? Tipps und Hintergründe rund um Klimaschutz in der Erwachsenenbildung – unter dem Dach der Nachhaltigkeitsperspektive – finden Sie in unserem Dossier "Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Erwachsenenbildung"!

Weitere Informationen:
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