Die Zukunft war früher auch besser

12.09.2022, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Krieg, Klima-, Energiekrise und Pandemie: Wer hat dabei noch positive Zukunftsbilder im Kopf? Dabei können gerade Utopien im Rahmen von Lernen und Bildung Transformationsprozesse anregen.
Positiv nach vorne schauen: Angesichts der Krisen ein schwieriges Unterfangen.
Foto: Unsplash Lizenz, Seb Mooze, https://unsplash.com/@mrcalvert
Zukunft macht keinen Spaß mehr, schrieb kürzlich der Journalist Joshua Beer in der Süddeutschen Zeitung: Der Ausblick auf Klimakatastrophe, Pandemien, Krieg und Energiekrise ist wenig rosig. Dabei hoffnungsvoll zu bleiben fällt schwer, oder wie der Komiker Karl Valentin sagen würde: "Die Zukunft war früher auch besser". Die gedachten Wünsche bleiben vorsichtig und nah am Status Quo: Niedrige Corona-Zahlen im Winter, halbwegs bewältigbare Energiekosten, Waffenstillstand.

Wie soll man dabei Lust auf die Zukunft haben? Und wieso sollte man sich für sie überhaupt noch engagieren?

 

Utopien einer besseren Welt könnten den dystopischen Zukunftsbildern entgegentreten. Die Erwachsenenbildung könnte dafür Denkräume aufmachen.

Angst ist eine schlechte Ratgeberin

Wir gelangen täglich an eine Vielzahl an Informationen, aber unsere Zukunft kennen wir nicht. Das verunsichert. Komplexe gesellschaftliche Systeme führen zudem dazu, dass wir weniger entscheidungsfähig und Folgen schwer abschätzbar sind, betonte der bereits verstorbene Bildungswissenschaftler Peter Faulstich in der Publikation "Utopien und Bildung (PDF)". So sei unsere Gesellschaft derzeit geprägt von einer "Chaos-Rhetorik", die schlechten Schlaf oder zumindest Gleichgültigkeit erzeugt.

 

Dass gegenwärtig v.a. dystopische Bilder gezeichnet werden, zeigt sich auch im Klima-Aktivismus: "Ich will, dass ihr in Panik geratet" sagte Greta Thunberg, als "die letzte Generation" bezeichnen sich nun Aktivist*innen der Umweltschutzbewegung.

 

Dabei ist Angst eine schlechte Ratgeberin. Wir sind durch sie nicht mehr in der Lage, Möglichkeiten adäquat zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu treffen. Und alle, die schon einmal versucht haben, etwas mit Sorgen und negativen Gedanken im Kopf zu lernen, wissen, dass Angst und Stress auch Lern- und Bildungsprozesse lähmt: "Angst ist ein Bildungskiller", titelte der Focus schon vor 15 Jahren.

 

Damit die Angst nicht Oberhand gewinnt, braucht es neben dystopischen Vorstellungen auch positive Zukunftsbilder und das Gefühl, für diese Zukunft handeln zu können. Es braucht Hoffnung - den "natürlichen Feind der Angst".

Der Journalist Philipp Bovermann brachte das kürzlich auf den Punkt: "Wer nur Dystopien, aber keine Utopien anzubieten hat, überlässt anderen die Initiative und beschränkt sich aufs Verhindern."

Das ist doch utopisch!

Der Begriff Utopie leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet soviel wie "Nicht-Ort" oder "guter Ort". Er wurde vom englischen Staatsmann Thomas Morus in seinem Werk "Utopia" geprägt. Darin teilt er seine Vorstellungen einer idealen Gesellschaft.

Heute betrachten wir die Utopie lächelnd als Hirngespinst, als etwas fernab jedweder Realität. Mit der Bezeichnung "utopisch" sind Ideen schnell abgetan und Diskussionen abgewürgt.


Dass Utopien sich aber durchaus auf die Realität beziehen, zeigen Utopie-Forschungen: Utopien entstehen immer aus der jeweiligen Gesellschaft und deren Verhältnissen heraus. Die Bildungsforscherin Daniela Holzer z.B. verweist in diesem Zusammenhang auf den Sozialwissenschaftler Rolf Schwendter. Dieser meinte bereits 1994: "Sag mir, welche Utopien in einem bestimmten Land zu einer bestimmten Zeit geschrieben worden sind, und ich sag Dir, wie, im Gegensatz dazu, die gesellschaftlichen Bedingungen damals dort gewesen sein müssen" (siehe "Erwachsenenbildung als kritische Utopie" – PDF).

 

Außerdem geht es bei utopischem Denken nicht in erster Linie um sofortige Umsetzung, betonen etwa die Bildungswissenschaftler*innen Helmut Bremer und Michaela Kuhnhenne im Beitrag "Utopien alternativer Zukunftsentwürfe im Kontext politischer Bildung, Arbeiten und Lernen" (PDF). Vielmehr gehe es darum, den Horizont für die Gestaltung von Bildungsprozessen zu erweitern. Die Autor*innen verweisen dabei auf die politische Bildung, in der Utopie eng mit dem emanzipativen Gedanken verbunden ist, bestehende Herrschaftsverhältnisse zu überwinden und alternative Vorstellungen von Gesellschaft zu entwickeln.

Erwachsenenbildung und Utopie

"Kein pädagogisches Denken kommt ohne Zukunftsentwürfe aus", heißt es in den einleitenden Worten von "Erwachsenenbildung als kritische Utopie" (PDF). Nach einem Lern- oder Bildungsprozess haben wir auf bestimmte Dinge in der Welt einen anderen Blick, können neue Handlungsmuster einüben oder haben – um den Verwertungaspekt von Lernen nicht zu vergessen – eine neue Berechtigung, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben, wie z.B. einen bestimmten Beruf.

 

Den Blick auf das Zukünftige haben Bildungsprozesse und Utopien gemeinsam. Utopien im Rahmen von Lern- und Bildungsprozessen können damit auch Impulse und Anregungen geben, über das Bestehende hinauszudenken. Was aktuell unsichtbar ist oder als unwichtig abgetan wird, gelangt in den Blick und kann neu gedacht werden. Bedeutungszuschreibungen und soziale Verhältnisse erscheinen dann veränderbar (siehe Melanie Benz-Gydat, Antje Pabs – PDF).

 

Diesen emanzipatorischen Charakter haben Utopien jedoch nicht per se. Sie können auch repressiv und affirmativ sein; gerade wenn es mehr um das Verbessern persönlicher Befindlichkeit als um Sozialkritik geht (siehe Holzer 2013 in „The dark side of LLL, Vol. 5 - PDF; Saage 2007 in "Renaissance der Utopie" – PDF).

 

Dennoch haben Utopien das emanzipatorische Potential, das auch die Erwachsenenbildung stärken kann. Das wissen Trainer*innen in der Erwachsenenbildung schon lange: Bereits vor Jahrzehnten haben die Zukunftsforscher Robert Jungk, Rüdiger Lutz und Norbert Müller die Zukunftswerkstatt entwickelt, um neue Ideen für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln. Wenn man Utopien in Bildungsprozesse hinein nimmt, ist der offene Charakter zentral: Was und wie gelernt wird, lässt sich im Kontext des Utopischen nicht gleich festlegen. Im Artikel "Utopien und Lernen im Alltag" (PDF) formuliert Bildungswissenschaftlerin Jana Truman das so "Es gilt also offen für Ideen und Kooperationen zu sein und die dafür notwendigen Denkräume zu schaffen, wo jedem Einzelnen der Mut vermittelt werden kann, seine "Wut", seine Perspektive auf [die] Welt, öffentlich zu diskutieren".

Die frohe Botschaft

"Wo bleibt die Gruppe, die den Menschen die frohe Botschaft der ökologischen Befreiung von den Fesseln des fossilen Zeitalters bringt?", fragte provokant Philipp Bovermann, Journalist der Süddeutschen Zeitung.

 

Vielleicht werden sie noch kommen – die Bilder einer guten Zukunft. Erwachsenenbildung kann dabei zumindest jener "gute Ort" sein, an dem Denkräume dafür offenstehen und ein Lernen für die Zukunft wieder erstrebenswert wird.

 

Serie zu Klima- und Umweltschutzbildung auf erwachsenenbildung.at

Hochwasser, Waldbrände, Hungersnot – Expert*innen der Klimaforschung warnen vor den Folgen extremer Wettereignisse durch den Klimawandel. Verschiedene politische Strategien wie etwa der UN-Aktionsplan Agenda 2030 versuchen, dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei sehen sie auch Bildungsinstitutionen gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten, Diskurse zu ermöglichen und "grüne" Kompetenzen zu fördern. Wo setzt hier die Erwachsenenbildung an? In der Serie "Klima- und Umweltschutzbildung" versammeln wir Beiträge, die sich dieser Frage widmen und Antworten geben.

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