Menschen brauchen Anerkennung, Kompetenz braucht Anerkennung

16.02.2024, Text: Gudrun Breyer, Weiterbildungsakademie Österreich (wba)
Der Kompetenz-Begriff ist allgegenwärtig, die Validierung von Kompetenzen dennoch nur ein Nischen-Thema. Ein Plädoyer für einen breiten Einsatz von Validierungsverfahren.
Buntes Papier von links nach rechts: Papierknäul, Papierboot, Papierschwan, fliegender Papier-Vogel
Kompetenzanerkennung trägt zu Selbstermächtigung bei
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Bis zum 8. Mai befinden wir uns im von der EU ausgerufenen „Europäischen Jahr der Kompetenzen“. Das animiert dazu, Lernangebote und die Anerkennung von Kompetenzen und Mobilität stärker in das Bewusstsein der Allgemeinheit zu bringen. Nach dem Bolognaprozess, der Lissabon-Strategie, dem Kopenhagen-Prozess und der Etablierung des Europäischen Qualifikationsrahmens zum Vergleichbarmachen beruflicher Qualifikationen findet sich das Denken in Kompetenzstufen mittlerweile im gesamten Bildungsprozess, von der Planung bis zur Evaluation. Dies drückt sich unter anderem in der verstärkten Modularisierung von Weiterbildungen aus. Das dabei entstehende Bild von Kompetenzen als Bausteine ist allgegenwärtig.

Dennoch ist die Validierung von Kompetenzen noch nicht in der Breite des Bildungssystems angekommen, sondern v.a. in der Erwachsenenbildung etabliert. Die wba zeigt Gelingensbedingungen von Validierung auf und plädiert für einen breiteren Einsatz von Validierungs- und Anerkennungsverfahren.

Die vertrauensbildende Wirkung von Papier 

Betrachtet man den Prozess der Kompetenzanerkennung, so drängt sich das klassische Blatt Papier oder moderner die digitale Datei als Sinnbild für den Prozess der Kompetenzanerkennung auf. Der Nachweis von Kompetenzen erfolgt nämlich nach wie vor überwiegend über Zeugnisse, Teilnahmebestätigungen und Referenzen. Zwar treten in der europäischen Bildungspolitik Bildungsabschlüsse zugunsten eines zunehmenden Fokus auf Handlungsorientierung etwas in den Hintergrund und mittels Nationalen und Europäischem Qualifikationsrahmen wird eine internationale Vergleichbarkeit von Qualifikationen angestrebt. Dennoch werden – vor allem im deutschsprachigen Raum – Bildungs- und Berufsabschlüsse nach wie vor gerne als Richtschnur dafür herangezogen, was eine Person zu leisten vermag. Dies hat mit einer langen Tradition auf dem Arbeitsmarkt und dem Vertrauen in (staatliche) Zertifikate zu tun, aber auch mit der Komplexität der Anerkennung von Kompetenzen. 

Kompetenzen als schwer fassbare Elemente des Lebenslaufs

Kompetenzen im Kontext der europäischen Bildungspolitik sind eng fokussiert auf am Arbeitsmarkt verwertbare Handlungskompetenzen, auf spezifische Fähigkeiten, mit denen versucht wird, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Dabei ist der Kompetenzbegriff aber weit und vielschichtig. Kompetenzen sind ein komplexes Zusammenspiel aus Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten auf der persönlichen als auch der (praktischen wie theoretischen) fachlichen Ebene. Sie werden erst im konkreten Handeln sichtbar. Daher ist es für die Feststellung von Kompetenzen notwendig, den Grad der Übernahme von Verantwortung und Selbstständigkeit zu bestimmen und sichtbar zu machen. 
Validierung ist dafür ein wirkungsvolles Instrument: einerseits zur Feststellung, andererseits zur Anerkennung bereits erworbener Lern- und Berufserfahrungen, um diese, gegebenenfalls ergänzt durch zusätzliche Weiterbildungen, zu einem Abschluss, einer Qualifikation, zu bündeln. 

Erwachsenenbildung federführend in der Validierung 

Validierungsverfahren bewerten Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen einer Person unabhängig von Lerndauer, -ort und -form. So kann aus den vorgelegten Nachweisen durch entsprechende Bewertung, Bezugnahme auf vorgegebene Standards und Untermauerung durch weitere Dokumente und Anwendungsbeispiele ein großes Ganzes werden. Gerade in der Erwachsenenbildung mit ihren mitunter bunten und komplexen Bildungsbiografien der Lernenden entfaltet sich das Potenzial von Validierung.

Kompetenzanerkennung braucht definierte Standards

Seit 2007 setzt die Weiterbildungsakademie (wba) Kompetenzanerkennung für die Zielgruppe der Erwachsenenbildner:innen um. Diese gelangen oft als Quereinsteiger:innen ins Feld, meist mit vielfältigen Berufserfahrungen und Ausbildungen, aber ohne einschlägigen Qualifikationsnachweis. Mit einem wba-Abschluss erwerben sie einen erwachsenenbildnerischen Nachweis. Die wba-Qualifikationsprofile dienen als Standard, an dem sich das Verfahren orientiert. Sie legen fest, in welcher Form bereits erworbene Lern- und Berufserfahrungen nachzuweisen sind.  

Vertrauen als Grundlage für Entwicklung

Wie in Validierungsverfahren üblich, gilt auch bei der wba der Vertrauensgrundsatz, stichprobenartig werden Nachweise auf ihre Gültigkeit überprüft. Die Kandidat:innen reichen umfassende Belege zum Nachweis ihrer formal, non-formal oder informell erworbenen Kompetenzen ein. Informell erworbene Kompetenzen können zum Beispiel durch Selbstbeschreibungen eingebracht werden. In einem Assessment zeigen die Kandidat:innen schließlich live was sie können.

Kompetenzanerkennung als persönlicher Wachstumsprozess

Durch das Sammeln und Zusammentragen von Gelerntem und Geleistetem, durch das Ergänzen und Beschreiben von informell erworbenen Kompetenzen und die Performance beim Assessment werden Reflexions- und Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt, wird (berufliche) Weiterentwicklung angestoßen. Denn Validierung ist mehr als das Einbringen und Bearbeiten von Nachweisen. Sie stärkt das berufliche Selbstverständnis und trägt damit zur Professionalisierung bei. Sie arbeitet dabei zwar mit klaren Vorgaben, nimmt aber die Menschen in ihrer Individualität wahr und begleitet sie dabei, an Bestehendes anzuknüpfen und neue Ziele zu erreichen. 

Validierung und Nachhaltigkeit

Die „Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich – LLL 2020“ zielte darauf ab, einen „Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung von Wissens- und Kompetenzressourcen in Österreich und in der EU zu leisten“ und widmete mit Aktionslinie 10 ein Kapitel den „Verfahren zur Anerkennung non-formal und informell erworbener Kenntnisse und Kompetenzen in allen Bildungsbereichen“. In den aktuellen Cedefop-Leitlinien wird Validierung als „Multiplikator für individuelles und lebenslanges Lernen in allen Lebensbereichen“ bezeichnet. Wenn von Ressourcenschonung in der (beruflichen) Bildung die Rede ist, sollte daher auch an die Validierung von Kompetenzen gedacht werden. Denn gerade im Rahmen des EU-Jahres der Kompetenzen ist Validierung aktueller denn je: Wertschätzen, was da ist, damit weiterarbeiten und Neues auf den Weg bringen – ein Gedanke, der über die Erwachsenenbildung hinaus in vielen anderen Bereichen Platz finden sollte.

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