Baustelle kritische Medienbildung in Wien

29.09.2023, Text: Stefanie Fridrik, Stefanie Mayer, Brigitte Temel, Viktoria Eberhardt, Forschungsteam im Projekt "3G gegen Verschwörungstheorien: gesehen, geprüft, gekontert", Redaktion: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Das Institut für Konfliktforschung und das Demokratiezentrum Wien erforschen kritisch-hinterfragende Medienbildung in der Erwachsenenbildung und suchen "good practices".
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Was macht Critical Media Literacy "kritisch"? Damit beschäftigt sich das Forschungsprojekt "3G gegen Verschwörungstheorien".
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Soziale Medien stellen hohe Anforderungen an die Medienkompetenz der User*innen – u.a. durch die Bevorzugung emotionalisierender Inhalte, durch Filterblasen und Echokammern. Während in der Arbeit mit Jugendlichen (kritische) Medienbildung sowohl an den Schulen wie auch in der offenen Jugendarbeit relativ breit verankert ist, gibt es für Erwachsene deutlich weniger. Dabei zeigte z.B. der an der Uni Wien erstellte Corona-Protest-Report ein anderes Bild: Zum einen waren die Proteste von Verschwörungsmythen dominiert – gut zwei Drittel der befragten Demonstrant:innen waren der Meinung, dass die Politik durch geheime Organisationen und Mächte beeinflusst werde; zum anderen wurden die Demonstrationen von Personen mittleren Alters getragen – mehr als die Hälfte waren älter als 46 Jahre, während Personen unter 26 Jahren kaum beteiligt waren. Für Personen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen stellen Soziale Medien zudem häufig besonders zentrale Informationskanäle dar, so dass kritische digitale Bildung und Medienbildung auch für die Basisbildung unverzichtbar sind. Für demokratische Gesellschaften ist Critical Media Literacy für alle daher eine zentrale Herausforderung.

Ziele des Projekts "3G gegen Verschwörungstheorien"

Seit November 2022 widmet sich das von der Stadt Wien Kultur (MA 7) geförderte Forschungsprojekt "3G gegen Verschwörungstheorien: gesehen, geprüft, gekontert. Critical (Social-)Media Literacy in der Erwachsenenbildung in Wien" – eine Kooperation zwischen dem Institut für Konfliktforschung (IKF) und dem Demokratiezentrum Wien – der kritischen Medienbildung in der Erwachsenenbildung in Wien.

 

Im ersten Schritt erhebt das Projektteam bestehende Angebote und fragt danach, welche (kritischen) Kompetenzen bislang zu wenig Berücksichtigung finden. Dafür befragen sie eine Vielzahl diverser Akteur*innen der Erwachsenenbildung und holen deren Erfahrungen aus Theorie und Praxis ein. Im zweiten Schritt werden nationale und internationale Beispiele guter Praxis identifiziert, wobei der Schwerpunkt auf niederschwelligen Angeboten liegt, die auch für Personen mit hohen Bildungsbarrieren attraktiv sind. Das 3G-Team ist immer auf der Suche nach diesbezüglichen Hinweisen! Wenn Sie derartige Projekte im Bereich Critical Media Literacy kennen oder gar selbst anbieten, nehmen Sie bitte Kontakt auf. Schließlich sollen im Frühjahr 2024 in einem partizipativen Prozess mit Stakeholdern aus der Erwachsenenbildung Transfer- und Adaptionspotenziale für den Wiener Kontext erhoben werden.

Was heißt hier "kritisch"?

In Debatten rund um Critical Media Literacy zeigt sich, dass die Frage, was Medienbildung "kritisch" macht, keineswegs eindeutig beantwortet ist. Neben einem divergierenden Begriffsverständnis in der Praxis der Medien- bzw. Erwachsenenbildung – z.B. hinsichtlich der Frage, ob Recherchekompetenzen, Wissen über Datenschutz oder Urheberrecht bereits als "kritisch" gelten können – gibt es auch im wissenschaftlichen Diskurs keine eindeutige Definition.

 

Dabei ist die Klärung dieser Auslegung nicht bloß eine akademische Angelegenheit. Sie erweist sich auch als unmittelbar relevant, wenn sich Verschwörungsmythen als Medienkritik gerieren bzw. wenn sich "Querdenker:innen" als kritisch hinterfragende Medienkonsument:innen verstehen. Auch neue Technologien wie KI verschieben zunehmend die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Ist es derzeit noch möglich KI-generierte Bilder mit freiem Auge zu erkennen, so wird diese Unterscheidung sehr bald nicht mehr möglich sein. Des Weiteren ist die Frage nach dem "kritischen" Potenzial von Bildungsinhalten auch ein grundlegendes Problem von Ansätzen, die sich auf die faktische Korrektheit von Medieninhalten beschränken. Zweifellos ist und bleibt Fact-Checking wichtig, es reicht aber nicht aus, um eine kritische Auseinandersetzung zu ermöglichen und zu fördern.

 

Im Rahmen des Forschungsprojekts wird "kritisch" in einem umfassenden Sinn verstanden, dementsprechend müssen Bildungsansätze (auch) fragen: "Was machen die Medien mit uns?" (Simanowski 2021, 12). Beispielhaft lässt sich dies am Umgang mit Texten, aber auch mit audio-visuellen Medien veranschaulichen. Wenn nicht mehr (nur) nach der faktischen Korrektheit von Inhalten gefragt wird, kann der Blick darauf gelenkt werden, wie uns Nachrichten ansprechen und emotionalisieren, wie sie Dringlichkeit erzeugen und mit welchen rhetorischen Strategien sie uns von ihrem Wahrheitsgehalt überzeugen. Kritik in diesem Sinne ist nicht möglich, ohne über aktuelle Medieninfrastrukturen und damit zusammenhängende Geschäftsmodelle in Grundzügen Bescheid zu wissen. Wer versteht, dass das unternehmerische Konzept von Social Media darauf basiert, User:innen so lange wie möglich in Interaktion zu halten und daher Algorithmen die gebotenen Inhalte genau nach dieser Logik kuratieren, kann den Aufmerksamkeitsmaschinen etwas gelassener begegnen. Wer darüber hinaus erkennt, wie Echokammern das eigene Informations- und Kommunikationsfeld einschränken, kann vielleicht beginnen, dieses Umfeld bewusst mitzugestalten.

Die Verbindung zum "Tun"

Für Paul Mihailidis (2018) macht die Verbindung zum "Tun" ("agency") den Kern dessen aus, was er "civic media literacies" nennt. Um die Schwächen bisheriger, auf das Hinterfragen fokussierter Ansätze kritischer Medienbildung zu überwinden, will Mihailidis Medienbildung neu ausrichten: Getragen von einem handlungs- und emanzipationsorientierten kritischen Bewusstsein, einer Ethik von "Care" (des Sorgetragens füreinander) verpflichtet, soll den schnelllebigen Aufregungszyklen die hartnäckige Arbeit daran entgegengesetzt werden, Menschen im Sinne des allgemeinen Wohls ("common good") zusammenzubringen.

 

So überzeugend diese Grundsätze auf abstrakter Ebene sind, so offen ist bislang wie sie unter den Bedingungen der realen Erwachsenenbildungspraxis zu implementieren wären. Das Projektteam möchte – ausgehend von den bereits identifizierten Ansätzen, die kritische Medienbildung im hier zusammengefassten Sinn in der Praxis bieten – weitere Diskussionen anregen.

 

Das Forschungsprojekt "3G gegen Verschwörungstheorien: gesehen, geprüft, gekontert" ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Institut für Konfliktforschung und dem Demokratiezentrum Wien. Das Projekt wird von der Kulturabteilung der Stadt Wien (Wissenschafts- und Forschungsförderung) gefördert und läuft von November 2022 bis April 2024. Personen aus der Erwachsenenbildung (und darüber hinaus), die Feedback zum Projekt geben oder auf andere Weise in einen Austausch treten möchten, können die Projektverantwortlichen kontaktieren.

 

Über die Autorinnen: Viktoria Eberhardt, Stefanie Mayer und Brigitte Temel arbeiten am Institut für Konfliktforschung (IKF) aus feministisch-intersektionaler Perspektive an sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Stefanie Fridrik forscht am Demokratiezentrum Wien v.a. in den Bereichen Politische und Kulturelle Bildung, Kulturpolitik und kritische Kunstvermittlung.

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