Kongressbericht: Bildung im Zeitalter alternativer Wahrheiten
Medienmündige Gesellschaft braucht Medienbildung
In einem Vortrag über die Macht von Desinformation widmete sich Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen der laut ihm aktuell vorherrschenden "Wahrheits- und Wissenskrise". Diese sei eingetreten, da sich Menschen heute auch im privaten Umgang mit modernen Technologien journalistische Fähigkeiten aneignen: z.B. recherchieren sie eigenständig und teilen Inhalte über Soziale Medien. Die Verbreitung von ungeprüften und daher auch häufig falschen Meldungen sei zum Alltag geworden. Pörksen plädierte dafür, Medienbildung als eigenen Bereich in die Allgemeinbildung einzubringen und die digitale Gesellschaft zu einer "redaktionellen Gesellschaft" zu führen, d.h. einen professionelleren Umgang mit Informationen zu vermitteln. Die Menschen müssen, so der Medienwissenschaftler, "medienmündig werden, weil sie medienmächtig geworden sind."
Neue Medien stellen Demokratie vor eine große Herausforderung
Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle thematisierte den Einfluss neuer Medien auf die Zunahme von Populismus und damit zusammenhängenden Risiken für die Demokratie. Eine Präsentation zusammengefasster Studienergebnisse zeigte, dass populistische Aussagen vor allem bei formal wenig Gebildeten positiv ankommen, da Informationen weniger häufig hinterfragt werden. Um der Verbreitung falscher Wahrheiten entgegenzuwirken, schlug die Politikwissenschaftlerin vor, gezielt in mehr Bildung zu investieren. "Populismusresistenz braucht Medienkompetenz" lautete ihr Credo. Dazu gehören u.a. Quellenkritik, Recherchierfähigkeit und Faktenwissen.
Kritische Reflexion ist wesentliches Element von Bildung
Bildungswissenschaftlerin Elke Gruber thematisierte in ihrem Vortrag Menschenbilder in der Erwachsenenbildung. Im Laufe der Geschichte entwickelten sich unterschiedliche Sichtweisen auf das Menschsein und die damit zusammenhängenden Ansprüche, die sich an Bildung richten. Bekannt ist vor allem das von Kant inspirierte Menschenbild der Aufklärung und des Humanismus, welches den Aspekt der Selbstbildung in den Fokus rückt. Dies bedeute, dass sich Menschen bewusst mit der Welt auseinandersetzen und dabei ihre Potenziale entfalten können.
Aktuell werde vor allem das Menschenbild des homo oeconomicus diskutiert, welches sich auf eine wirtschaftlich sinnvolle Lebensgestaltung bezieht. In Hinblick auf das Lebenslange Lernen betonte Gruber, dass Lernen allerdings nicht mit Bildung gleichzusetzen sei. Vor allem in Zeiten, in denen die gesellschaftspolitische Bedeutung von Bildung in den Hintergrund rückt und Marktorientierung an Bedeutung gewinnt, sei es notwendig, Gelerntes auch kritisch zu reflektieren, um Bildung zu ermöglichen.
Mehr auf Beziehungsarbeit setzen
In der abschließenden Diskussion wurden die unterschiedlichen Beiträge des Tages reflektiert und potenzielle Handlungsansätze abgeleitet. Gemäß den Leitprinzipien der Urania, die auf Aufklärung und Humanismus basieren, erinnerte Elke Gruber daran, dass Erwachsenenbildung angesichts der vielfältigen Anforderungen, die sich an sie richten, ihre gesellschaftliche Rolle nicht vergessen sollte. Vor allem auf Beziehungsarbeit komme es an, um Demokratie auch im Zeitalter alternativer Fakten aufrecht erhalten zu können.
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