Zeit und Resonanz: Strategien für die digitale Erwachsenenbildung

08.11.2022, Text: Gunter Schüßler, Redaktion/CONEDU
Welche Rolle spielt Zeit im digitalen Bildungsbereich? Erwachsenenbildner*innen können über Strategien qualitative Beziehungen schaffen.
Eine Person mit ausgestreckten Armen hält Sand in ihren Händen, der durch die Finger fließt.
Sich bewusst Zeit zu nehmen kann Erwachsenenbildner*innen dabei helfen mit der Umgebung in Resonanz zu treten.
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Wie verändern Beschleunigung und Digitalisierung das Zeitempfinden und wie gehen Erwachsenenbildner*innen in ihrer Praxis damit um?

 

In ihrem Habilitationsprojekt untersuchte Jana Wienberg, inwiefern Teilnehmende von Weiterbildungsveranstaltungen Resonanz und Entfremdung erfahren und wie sie damit umgehen. Das Ergebnis waren Resonanzstrategien, die in einem eigenen Forschungsprojekt auf Lehrende in der Erwachsenenbildung übertragen wurden. Ein aktueller Beitrag des Magazin erwachsenenbildung.at stellt sie vor.

Zeit in der Erwachsenenbildung

In der Erwachsenenbildung erweist sich Zeit oftmals als knappes Gut. Während in der Schulzeit der zeitliche Rahmen für Bildung vorgegeben und somit gesichert ist, muss er in der Erwachsenen- und Weiterbildung autonom geschaffen werden. Vielen Erwachsenen fehlt es an Zeit für Bildung.

 

Ein Forschungsschwerpunkt von Sabine Schmidt-Lauff, Professorin an der Helmut Schmidt Universität, sind temporale Herausforderungen für das Lernen im Erwachsenenalter. Sie empfiehlt in der Erwachsenenbildung vermehrt für das Thema Zeit zu sensibilisieren. Zeiträume sollten bewusst wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Hilfreich wäre zudem sich in Bildungsbereichen aktiv über das Thema Zeit auszutauschen, Reflexions-Möglichkeiten zu etablieren und eine eigene Zeitkultur zu entwickeln. Arbeitnehmer*innen und -geber*innen könnten etwaige (Weiter-)Bildungsinteressen und die damit verbundenen zeitlichen Ressourcen vorbehaltlos kommunizieren. Auf diese Weisen kann Zeit aktiv gestaltet und das eigene Zeiterleben verändert werden.

 

Auch der EBmooc focus ist Teil ihrer Forschung: Über teilnehmende Kursbeobachtungen und Teilnehmer*innen-Interviews erfasst die Wissenschaftlerin die individuellen wie kollektiven Zeiterfahrungen der MOOC-Teilnehmer*innen.

Resonanz: In-Beziehung-treten mit der Welt

Mit dem Begriff „Resonanz“ beschreibt der Soziologe Hartmut Rosa einen Beziehungsmodus zwischen einem Individuum und der Welt. Durch sie erfährt eine Person einen lebendigen Austausch mit anderen Menschen, Tieren, der Natur oder der eigenen Umgebung. Die resonante Weltbeziehung unterscheidet sich somit von einer gleichgültigen oder gar feindlich-bedrohlichen.

 

Jana Wienberg, Jeska Beißner und Alina Redmer beschreiben vier unterschiedliche Strategien, die Trainer*innen im Umgang mit Beschleunigung und Digitalisierung anwenden. Sie ermöglichen es mit den Inhalten von Bildungsangeboten in Resonanz zu treten und die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden zu fördern. Erwachsenenbildner*innen können die Strategien bewusst anwenden und zwischen ihnen variieren.

Vorlaufen: „Road Runner“ sind schneller

Die Strategie des Vorlaufens ist mit einer Effizienzsteigerung und Optimierung im digitalen Alltag verbunden. Vorausschauendes an Stelle eines reaktiven Handelns ist gefragt. Erwachsenenbildner*innen nutzen soziale Medien, Blogs und Co-Working-Spaces zur Informations- und Wissenserweiterung sowie als Resonanzräume.

 

Digitale Angebote in Anspruch zu nehmen – Termine etwa in Form von Videokonferenzen abzuhalten – kann Zeit und auch Kosten sparen. MOOCs, mobiles und selbstständiges Lernen oder der Einsatz von Lernhäppchen ermöglichen eine flexible Gestaltung der Lernangebote sowie ein Pausen- und Lückenlernen.

Mitlaufen: Immer up-to-date

Durch das Mitlaufen mit den aktuellen digitalen Gepflogenheiten bleiben Akteur*innen in der Erwachsenenbildung up-to-date und kümmern sich um einen beständigen Erfahrungsaustausch mit Kolleg*innen. (Mini-)Online-Barcamps, wie etwa die DigiCamp-Reihe zur Digitalisierung in der Erwachsenenbildung, bieten eine Gelegenheit dafür. Diese Resonanzstrategie stillt zudem das Bedürfnis nach Sicherheit – die eigenen digitalen Möglichkeiten können erkannt und realisiert werden.

Innehalten: Gegenwartsbezogene Konzentration

Sich in Bildungsangeboten auf das Wesentliche zu konzentrieren, Lernzeiten und Pausen bewusst zu planen und auf eine ausgewogene Work-Life-Balance zu achten, sind Merkmale der Strategie des Innehaltens. Erwachsenenbildner*innen können auf diese Weisen Resonanz erfahren. Auch die Schaffung von Routinen im digitalen Bildungsalltag kann dazu beitragen – so etwa die regelmäßige Nutzung von Breakout-Rooms oder Formen der Online-Kommunikation.

Gegenlaufen: Analogie bewahren

Ist eine synchrone ortsgebundene Raumwahrnehmung oder eine synchrone sinnliche (olfaktorische oder haptische) Wahrnehmung der Lerninhalte erforderlich, kann es sinnvoll und sogar nötig sein, Bildungsangebote in Präsenz anzubieten. Analoge Hilfsmittel können Interaktionen unter den Teilnehmenden einer Bildungsveranstaltung fördern. So lassen sich etwa Flipcharts oder andere haptische Gegenstände auch in eine Online-Veranstaltung sinnvoll integrieren. Solche Strategien, die der Digitalisierung gegenlaufen stellen ebenso eine Möglichkeit dar, Resonanz in einem Bildungs-Setting zu erfahren. Hierzu kann auch die bewusste Trennung von Arbeit und Freizeit zählen.

 

Wienberg, Jana/Beißner, Jeska/Redmer, Alina (2022): Resonanzerleben aus TrainerInnensicht in digitalisierten Lehrsituationen zu Zeiten von COVID-19. In: Magazin erwachsenenbildung.at. Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs. Ausgabe 44-45.

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