Buchvorstellung: Grundbildung in der Lebenswelt verankern
Nach einer thematischen Einführung, in der unter anderem die Ergebnisse der LEO-Studie 2018 thematisiert werden, widmen sich die Autor*innen im ersten Kapitel Kooperationen und Netzwerken. Die Beiträge im zweiten Kapitel beleuchten, wie man Erwachsene, die nicht gut lesen und schreiben können, lebensnah ansprechen und informieren, und die Personen in ihrem Umfeld sensibilisieren kann. In den darauffolgenden Kapiteln geht es um Lernorte und Lernsettings sowie themenbezogene Basisbildung. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich abschließend mit der Qualifizierung und Professionalisierung von Akteur*innen im Bereich der Basisbildung.
Ein Einblick in drei Beiträge:
Lebensnahe Ansprache in der Erwachsenenbildung mit Bierdeckeln, Basteln und Social Media
Barbara Nienkemper von der Hamburger Volkshochschule zeigt mit innovativen Beispielen aus der Praxis auf, dass es neben klassischen Werbemaßnahmen wie Flyern oder Zeitungsanzeigen verschiedene kreative Möglichkeiten gibt, um spezifische Teilzielgruppen zu erreichen.
Das Team vom Projekt "Neu Start St. Pauli" entwickelte beispielsweise Bierdeckel für die informelle Ansprache in Lokalen. Um die Gäste dazu anzuspornen die Bierdeckel in die Hand zu nehmen, wurde eine Seite mit Suchwort- bzw. Labyrinth-Rätseln bedruckt. Auf der anderen Seite befanden sich Informationen zum Literalisierungsangebot für Betroffene in leichter Sprache. Das Projekt "ELB-Brücken" nahm den Schulanfang zum Anlass, um Menschen beim Basteln von Kinderschultüten darüber zu informieren, dass auch Erwachsene noch Lesen und Schreiben lernen können. Interessierte mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen konnten außerdem direkt einen Beratungstermin ausmachen. Im Projekt "Alpha-Kooperativ" wurden animierte Erklärvideos und Social-Media-Intros produziert, die auch bei Informationsabenden und Einzelgesprächen gezeigt werden konnten. Nienkemper gibt unter anderem auch einen Überblick über die benötigten Ressourcen, Vorteile, Reichweite und Perspektiven der Kampagnen.
Das Fußballstadion als innovativer Bildungsort für Erwachsene
Fußballstadien eignen sich als niederschwellig zugängliche Bildungsorte für die Erwachsenenbildung, meinen Annett Lungershausen und Felix Koch von der Volkshochschule Dresden. Sie stellen in ihrem Beitrag das Projekt "mittendrin" vor, innerhalb dessen das Rudolf-Harbig-Stadion in Dresden als außergewöhnlicher Lernort erschlossen wurde. Dabei wurde die hohe Anziehungskraft von Fußballstadien genutzt, in denen sich bei Vereinsspielen, Konzerten und Großveranstaltungen Menschen aller Altersgruppen, Herkünfte, Schichten und Bildungsniveaus begegnen.
Fußballstadien wurden in der Vergangenheit bereits erfolgreich als Bildungsorte für Kinder und Jugendliche genutzt, stehen aber in der Erwachsenenbildung noch nicht lange im Fokus, so die Autor*innen. Der Kerngedanke dahinter ist, die Leidenschaft der Fans für Fußball in Zusammenhang mit Bildung zu bringen, erklären Lungershausen und Koch.
Das Projekt "mittendrin" vermittelte Lerninhalte für Erwachsene mit Begriffen aus der Welt des Fußballs und eigens für den Fußballkontext entwickelten Lernmaterialien. Um das Teamgefühl der Gruppe zu stärken, haben nach dem Lernen alle außerdem gemeinsam Fußball gespielt. Lungershausen und Koch sehen aufgrund der positiven Projekterfahrungen das Potenzial, Literalisierungs- und andere Basisbildungsangebote auch in weiteren Stadien und Ligen zur Anwendung zu bringen. Besonders spannend: Im Beitrag kommen neben Expert*innen auch Fußballfans zu Wort.
Kollegiale Fallberatung von Lehrenden – Gegenseitige Hilfe online
Im Beitrag von Britta Marschke von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit geht es um das Modell der Subjektiven Relevanz, kurz SuRe. Dieses kann in der pädagogischen Arbeit für die Kollegiale Fallberatung genutzt werden. Dabei handelt es sich um systematische Beratungsgespräche zwischen Kolleg*innen, bei denen konkrete Problemstellungen besprochen werden können. Das SuRe-Modell nach Seyfried nutzt einen Reflexionsprozess und kann nach einer Registrierung anonym online über die Plattform SuRe-Online oder mittels einer App durchgeführt werden.
Im ersten von vier Schritten teilen Lehrende für sie relevante pädagogisch anfordernde Situationen aus dem Unterricht auf der Plattform mit allen teilnehmenden Kolleg*innen. Danach können die Mitglieder Handlungsempfehlungen abgeben. Der*die Lehrende bewertet danach selbst die kurz- und langfristigen Folgen, Aufwand-Nutzen sowie Stimmigkeit der einzelnen Empfehlungen und kann sich abschließend aufgrund dieser Werte für eine Handlungsempfehlung entscheiden und sie in die Praxis umsetzen.
Zwischen Ende 2015 und April 2021 wurden 1074 Situationen und 3291 Handlungsempfehlungen eingereicht. Marschke berichtet von positiven Rückmeldungen der Lehrenden. Sie würden sich unter anderem besser auf den Unterricht vorbereitet fühlen und das zeit- und ortsunabhängige Online-Angebot schätzen. Laut der Autorin habe SuRe sich als niederschwellige Möglichkeit für die Professionalisierung in der Basisbildung bewährt.
Johannsen, U./Peuker, B./Langemack, S./Bieberstein, A. (2022): Grundbildung in der Lebenswelt verankern. Praxisbeispiele, Gelingensbedingungen und Perspektiven. Bielefeld: wbv Publikation, EUR 49,90 (E-Book: kostenlos), ISBN: 9783763971503, E-Book ISBN: 9783763971510.
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