6,2 Mio Deutsche zwischen 18 und 64 Jahren lesen und schreiben schlecht
Bereits 2010 hatte die Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg Daten zur Literalität, also zu Lese- und Schreibfähigkeiten im unteren Kompetenzbereich für Deutschland erhoben. In der kürzlich erschienenen zweiten Level-One (LEO)-Studie (PDF) stehen nun in einer weiteren Erfassung der Lese- und Schreibkompetenzen von Erwachsenen verstärkt Alltagspraktiken in Bezug auf z.B. digitale Technologien sowie Fragen der Teilhabe wie z.B. Teilnahme an Weiterbildung im Zentrum.
Die im selben Feld arbeitende österreichische Bildungsforscherin Monika Kastner von der Universität Klagenfurt erachtet die Ergebnisse von LEO unter anderem auch deshalb für Österreich interessant "weil im Gegensatz zu PIAAC auch Schreibfähigkeiten gemessen wurden". Im Rahmen der PIAAC-Testungen 2011/2012 waren bei insgesamt 17,1% - also etwas unter 1 Million ÖsterreicherInnen zwischen 15 und 64 Jahren - mangelnde oder niedrige Kompetenzen im Lesen festgestellt worden.
Mehr Männer als Frauen von geringer Literalität betroffen
Wie die aktuelle LEO-Untersuchung beschreibt, waren 2018 deutlich mehr Männer (58,4 %) als Frauen (41,7 %) von geringer Literalität betroffen. Unter den Jahrgängen zeigt sich, dass 46,9 % der Personengruppe zum Zeitpunkt der Erhebung über 45 Jahre alt waren und 52,6 % als Herkunftssprache Deutsch angegeben haben. In Bezug auf den Schulabschluss wiesen rund 41 % der Personen mit geringen Schreib- und Lesekompetenzen einen niedrigen Schulabschluss (z.B. Volks- oder Hauptschulabschluss) auf. Etwa 22 % hatten keinen Schulabschluss, ca. 19% einen mittleren Abschluss und 17% einen höheren. 62,3 % der gering literalisierten Erwachsenen zum Zeitpunkt der Studie erwerbstätig.
28% der Erwachsenen mit geringen Schreib- und Lesekompetenzen nehmen an Weiterbildung teil
Die LEO-Studie ermittelt, dass 28 % der gering literalisierten Personen im Jahr vor der Befragung an einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen haben. An Weiterbildungen zu Grundbildung und Alphabetisierung nahmen allerdings lediglich 0,7 % teil. Erwachsene mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen waren auch seltener bei beruflichen Weiterbildungen.
Dennoch stand mehr als die Hälfte der befragten Personen Empfehlungen für Weiterbildungen positiv gegenüber. Als wichtige Gründe dafür nannten sie eine Verbesserung der Chancen am Arbeitsmarkt, die Optimierung der beruflichen Tätigkeit sowie der Erwerb von Erkenntnissen für den Alltag.
Gering literalisierte Personen nutzen digitale Wege um zu kommunizieren
Häufig besteht die Annahme, geringe Literalität würde es Personen erschweren, an der Gesellschaft teilzuhaben. Dazu liefert die Studie differenzierte Ergebnisse: Obwohl Erwachsene mit geringen Schreib- und Lesekompetenzen in der Erhebung angaben, seltener E-Mails zu verfassen oder Computer zu verwenden, zeigt sich, dass sie durchaus andere digitale Praktiken nutzen. Zum Beispiel versenden sie oft Sprachnachrichten oder nutzen soziale Netzwerke sogar häufiger als Personen mit guten Lese- und Schreibkompetenzen.
Österreich: Lesekompetenzen liegen unter dem OECD-Durchschnitt
Vergleichbare aktuelle Ergebnisse für Österreich fehlen. Aus den PIAAC-Untersuchungen von 2011/12 wissen wir, dass die Lesekompetenzen österreichischer Erwachsener zum Erhebungszeitpunkt unter dem Durchschnitt der teilnehmenden OECD-Länder lag. Demnach belief sich die Gruppe jener, die nur mangelhaft oder niedrig lesekompetent sind, auf rund eine Million Erwachsene.
Dies erfordere Investition, meint die Bildungsforscherin Monika Kastner "zum einen in die schulische und ausbildnerische Präventionsarbeit, zum anderen in die kompensatorische Arbeit in der Erwachsenenbildung". Menschen mit geringen Schreib- und Lesekompetenzen können unterschiedlichen Personengruppen angehören. Es können z.B. Jugendliche sein, die mit entsprechenden Mängeln die Pflichtschule bzw. Ausbildung verlassen haben, Geflüchtete und Zugewanderte oder auch Ältere. Das müsse man berücksichtigen: „Die Angebote in der Erwachsenenbildung müssen sich an die Bedürfnisse der breiten Zielgruppe anpassen", so Kastner, die auch Autorin des Dossiers über Alphabetisierung und Basisbildung Erwachsener ist.
Angesichts der Tatsache, dass höher Gebildete häufiger an Weiterbildung teilnehmen, wie auch die LEO-Studie zeigt, plädiert Monika Kastner dafür, bereits in der Schule und Ausbildung gezielt in den Erwerb relevanter Kompetenzen zu investieren. Der Erwerb von Grundkompetenzen, aber auch z.B. digitaler Kompetenzen sei "ein lebenslanger Prozess und endet nicht mit der abgeschlossenen Schulbildung", so Kastner.
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