Tagungsbericht: Berufliche Orientierung oder Career Guidance?
Im Fokus der gemeinsamen Tagung "Berufliche Orientierung oder Career Guidance?" - des Verbands für Bildungs- und Berufsberatung e.V., der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit und des Instituts für Ökonomische Bildung - standen die unterschiedlichen Perspektiven auf das komplexe Thema der Beruflichen Orientierung und die Klärung der vielfältigen, oft unterschiedlich verstandenen Begriffe. So werden in Deutschland unter "Berufsorientierung" vielfach die ausschließlich so benannten Angebote für Schüler*innen verstanden. Der lebenslange Aspekt der Beruflichen Orientierung dagegen, der eben nicht mit der ersten Berufswahl endet, ist noch nicht in allen Praxiskontexten verankert.
Für die Berufswahl Jugendlicher wesentlich: Image der Berufe und eine realistische Einschätzung des Berufswunsches
Verena Eberhard vom Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BIBB) stellte am ersten Tag in ihrer einführenden Keynote heraus, wie sehr die Berufswahl Jugendlicher von Werten und Erwartungen geprägt ist. Neben der kritischen Reflexion von Imageaspekten der Berufe sei auch das Wissen junger Menschen, wie realistisch ein Berufswunsch ist, hilfreich für den erfolgreichen Berufswahlprozess.
Im Mittelpunkt des interaktiven Austauschs: Digitale Instrumente, Kompetenzermittlung und -entwicklung
Anschließende Workshops, Vorträge und Posterpräsentationen boten neben bekannteren Ansätzen zur Beruflichen Orientierung, praktischen und anwendungsorientierten Erfahrungen auch neue Ideen, die vorgestellt, in Workshops ausprobiert und diskutiert werden konnten.
Dabei standen häufig digitale Instrumente und deren Anwendung im Mittelpunkt, natürlich die verschiedenen Gruppen von Ratsuchenden mit ihren Bedarfen und Kompetenzen, aber auch die Kompetenzentwicklung von Lehrpersonen. Unter anderem sprachen die Teilnehmer*innen in den Workshops über Netflix als Career Guide und Portfolioarbeit mit Apps. Die Zielgruppe "Menschen mit Behinderung" sowie intersektional Betroffene war ein weiteres Thema.
Besonders nachgefragt: Lebensbegleitende Perspektive von Beratung und Orientierung
Es war deutlich, dass die Teilnehmenden einen großen Bedarf an Input und Austausch zur Frage der Lebensbegleitenden Perspektive von Beratung und Orientierung hatten. Entsprechende Veranstaltungsteile, wie "Kompetenzerleben durch Resonanz" von Gabriele Witzenrath und "Fuzzy Goals – von unscharfen Zielen zur beruflichen Innovation" von Cornelia Eybisch-Klimpel (beide "Frau und Beruf", Berlin), waren besonders nachgefragt. Auch war die Vielfalt der Personen und Institutionen, die in den Prozess Beruflicher Orientierung involviert sind, vielen Beteiligten noch nicht bewusst und bekannt. Deutlich wurde, dass hier ein hoher Fortbildungsbedarf bei Lehrenden und Beratenden besteht, und es wurden Forschungsdesiderate formuliert.
Life Design als neues Paradigma der Bildungs- und Berufsberatung
Der Vortrag von Marc Schreiber von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) widmete sich am zweiten Tag den Beratungsparadigmen, unter anderem Life Design. Dieses Beratungsparadigma sieht berufliche Beratung als schöpferischen Prozess, der den gesamten Menschen und seine Geschichte(n) einbezieht. Berater*innen sind dabei Prozessgestaltende, die die Ratsuchenden anregen und begleiten.
Prototyping sorgt als Methode dafür, dass Ideen schnell und grundlegend entwickelt und getestet werden können. Schreibers Ausgangspunkt ist, dass sich Passung, Lebenslanges Lernen und Life Design nicht als Gegensätze in einer Laufbahnberatung ausschließen müssen, sondern alle diese Dimensionen darin eingehen können. Die Herausforderung bestehe dagegen in der Anwendung der konkreten Beratungsmethoden.
Studierende im Übergang vom Studium in den Beruf begleiten
Im Rahmen der Veranstaltung wurde zudem die Preisträgerin des Josephine-Levy-Rathenau-Nachwuchspreises für hervorragende praxisrelevante Masterarbeiten der Beratungsforschung bekannt gegeben. Der Preis wurde von dvb und wbv Media in 2021 zum ersten Mal verliehen und geht an eine Absolventin der Universität Mainz, Marie Dietrich, die in ihrer Arbeit ein Workshopkonzept, basierend auf Methoden des Life Design zur Unterstützung von Studierenden im Übergang ins Berufsleben betrachtet und vorstellt.
Resümee: Fachlicher Austausch gelingt auch im Online-Format
Der fachliche Austausch auf der Tagung ist auch im Online-Format gut gelungen, wie u.a. die Teilnahmen zeigen: Mit mehr als 200 Teilnehmenden aus Forschung und Praxis war die Veranstaltung vollständig ausgebucht. Wissenschaft und Praxis, Vortragende wie Teilnehmende hatten ein Forum für ihre Anliegen. Die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden haben die Veranstalter*innen in ihrem Anliegen bestärkt, das Thema Berufliche Orientierung auch für eine weitere Tagung in den Blick zu nehmen. Im Herbst 2022 ist eine Fortsetzung geplant, diesmal in Präsenz an der Universität Oldenburg. Ab Januar 2022 finden sich hierzu Informationen auf der dvb-Website.
Die Beiträge und Ergebnisse der Tagung werden 2022 in einem Tagungsband veröffentlicht, den InteressentInnen als Print und als Ebook über den Springer Verlag beziehen können.
Über die Autorinnen: Barbara Knickrehm ist Geschäftsführerin, Simone Jawor-Jussen Stellvertretende Vorsitzende des Bundesvorstandes des Deutschen Verbands für Bildungs- und Berufsberatung e.V.
- Tagungsdokumentation
- Josephine-Levy-Rathenau-Preis
- Burnett/Evans 2018: Designing Your Life
- Savickas et al. 2009: Life designing
Erstellung des Beitrags gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und des Europäischen Sozialfonds.
Verwandte Artikel
10 Jahre "Bildungsberatung im Fokus": Erfolge, Geschichten, neue Chancen
Das Fachmedium feiert sein zehnjähriges Bestehen mit einer Jubiläumsausgabe und greift die wichtigsten Themen der Bildungsberatung des letzten Jahrzehnts auf.Working Poor im Fokus: Aufgaben für die Bildungsberatung
Am 21. und 22. Oktober 2021 fanden sich Bildungsberater*innen und Interessierte aus ganz Österreich in Salzburg zur 19. Überregionalen Vernetzungstagung der Bildungsberatung zusammen. Ein Nachbericht gewährt Einblicke.Vernetzungstagung der Bildungsberatung Österreich: Unterlagen zum Download
Präsentatiosfolien und Fotos der Tagung "Armut trotz Arbeit – Working Poor im Fokus. Aufgaben und Ansätze für die Bildungsberatung" gibt es jetzt zum freien Download.Bildungsberatung im Umbruch – Was bleibt? Was wird?
Wird Covid-19 zum "Game-Changer" in der Bildungsberatung? Die aktuelle Ausgabe von Bildungsberatung im Fokus stellt ausgewählte Antworten der Bildungsberatung vor und zeigt Möglichkeitsräume auf.Bedarfe in der Bildungsberatung von Menschen mit Lernschwierigkeiten
Eine Studie zeigt: BeraterInnen sehen gesellschaftliche und arbeitsmarktpolitische Hürden und plädieren für den Ausbau einer niederschwelligen Angebotslandschaft und die Öffnung des Arbeitsmarktes.Vulnerable Arbeitswelten – Die neue Ausgabe "Bildungsberatung im Fokus"
Eine sich konstant und rasant verändernde Arbeitswelt stellt die Bildungsberatung vor neue Herausforderungen. Perspektiven im Umgang insbesondere mit vulnerablen Zielgruppen stellt die aktuelle Ausgabe vor.