Working Poor im Fokus: Aufgaben für die Bildungsberatung
In diesem Jahr stand die Zielgruppe der Working Poor im Fokus der Tagung.
Working Poor gibt es nicht nur in den USA. Auch in Europa kommen vermehrt Kund*innen zur Beratung, die trotz Erwerb nicht über die Runden kommen.
BeraterInnen und ExpertInnen gingen in Austausch, um eigene Ansätze und Vorgehensweisen zu reflektieren und neue Anregungen zu gewinnen.
Begrüßt wurden die Tagungsgäste per Live-Zuschaltung von Doris Wyskitensky, der neuen Leiterin der Abteilung Erwachsenenbildung (BMBWF), Richard Breschar vom Verein Salzburger Erwachsenenbildung und Elisabeth Weitgasser vom Land Salzburg. Rudolf Götz, vom Organisations- und Veranstaltungsteam der ÖSB Studien & Beratung, eröffnete die Veranstaltung.
Working Poor, Prekarisierung und die Rolle der Bildung
Der Soziologe Alban Knecht stellte am ersten Veranstaltungstag in seiner Keynote "Working Poor und Prekarisierung als neue Armutsphänomene – Rettet uns die Bildung?" aktuelle Zahlen zur Erwerbsarmut in Österreich vor. 289.000 der ÖsterreicherInnen gelten trotz Erwerbsarbeit als armutsgefährdet. Besonders hoch ist das Risiko für Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, Frauen und Familien mit Kindern. Die Ursache verortet Knecht in der Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen und der beständig hohen Rate an Niedriglohnbeschäftigten. Der Schritt vom Keynesianismus zum Neoliberalismus habe die Verantwortung für Arbeitslosigkeit und Armut auf das Individuum selbst gelenkt und so für weitere und verstärkte Prekarisierung gesorgt.
Bildung wird vielfach als Ausweg aus der Armut gesehen und diskutiert. Knecht merkte hier allerdings an, dass Armut Personen daran hindern kann, Bildungschancen zu ergreifen. Investition in Bildung allein greift darum in der Armutsbekämpfung zu kurz. Abschließend gab Knecht den Teilnehmenden mit, dass ein ressourcenorientierter Fokus in der Beratung eine andere Perspektive in der Betrachtung und im Umgang mit dem Working Poor Phänomen bieten kann.
Mit Resonanz, Resilienz und Rebellion zu einem gutem Leben
In der zweiten Keynote des Tages beschäftigte sich Philosophin Michaela Moser mit den Voraussetzungen und Fragen für ein gutes Leben. Ein gutes Leben hat viele Facetten, darunter soziale, finanzielle und gesundheitliche. Wer resilient ist, kann trotz widrigen Umständen ein gutes Leben führen. Laut Moser bieten die Konzepte von Resonanz, Resilienz und Rebellion Ansatzpunte für die Beantwortung der Fragen, die zu einem gutem Leben führen.
Resilienz ist abhängig von Persönlichkeit, Beziehungen und Umfeld und wird auch von Schamgefühl und Anerkennung von außen beeinflusst. Resonanz leistet durch die Qualität der Beziehungen zur Welt einen Beitrag zum guten Leben und ist als Antithese zum Mythos der Autonomie zu sehen - schließlich ist niemand eine Insel, so Moser. Rebellion ist zuletzt das Aufbegehren gegen den Status Quo, den Armutszustand und der Schritt zu Dissidenz.
Ziel soll sein, dass jede/jeder für das gute Leben lernen kann. Ein Umdenken vom Mangel (beispielsweise an sozialen Beziehungen) zur Fülle sei realisierbar, so Moser - schließlich sei genug für alle da.
Zum guten Leben brauche es zwar die nötigen finanziellen und sozialen Rahmenbedingungen, aber auch die Bereitschaft und das Einlassen zu träumen und darauf, Utopien zu verfolgen.
Austausch, Vernetzung und Reflexion
Im Anschluss an die Inputs blieb den TeilnehmerInnen genügend Zeit für die gegegenseitige Verarbeitung der Inhalte und dafür, sich untereinander auszutauschen und zu vernetzen. Auch das Abendprogramm – ein Forumtheater geleitet von Corinna Lenneis – trug zum Austausch bei und bot Gelegenheit, sich in die Situation eines Ratsuchenden zu versetzen.
Ein Streifzug durch die Innovationen der Bildungsberatungslandschaft
Am zweiten Tag stellten die Projektpartnerschaften der Inititaive Kärnten und Oberösterreich regionale Neuigkeiten vor. Tanja Bogner-Brandstetter und Victor Reininger vom Netzwerk "Bildungsberatung Oberösterreich" präsentierten ein bildbasiertes Onlinetool, das Ratsuchende bei der Jobwahl unterstützen sollte. Nach der erfolgreichen Einführung von Jopsy (www.jopsy.at) für Jugendliche wurde das Konzept weiterentwickelt. Jopsy+ hilft nun auch erwachsenen Kund*innen dabei, trotz Sprachbarrieren wissenschaftlich fundierte Berufsempfehlungen zu erhalten.
Im Netzwerk "Bildungsberatung Kärnten" wurden währenddessen Konzepte zur Kompetenzerfassung weiterentwickelt. Marlene Aichholzer-Pahr berichtete, dass bei ihnen während der Lockdowns einige bewährte Offlinemethoden online erprobt wurden. Außerdem hat das Netzwerk ein Programm zur nachträglichen Erlangung des Pflichtschulabschlusses entwickelt, das Teilnehmenden neben dem Abschluss auch zu einem fundierten Kompetenzprofil verhilft.
Von Schuldenberatung bis Frauenerwerbsarmut – Workshops gehen in die Tiefe
Am zweiten Veranstaltungstag fanden fünf verschiedenen Workshops statt. Clemens Mitterlehner von ABS Schuldnerberatungen legte in seinem Workshop dar, dass man trotz Erwerbsarbeit von der Schuldenproblematik nicht immer verschont bleibt und von Überschuldung betroffen sein kann. So waren 2020 rund 40% der KlientInnen in der Schuldenberatung erwerbstätig. Ein weiterer Workshop zu einem konkreten Beratungsprojekt für Working Poor – inbus von innovia – wurde von Daniela Agu und Birgit Sief gehalten. Daniela Scholl (ÖSB Consulting) und Elisabeth Reiter (AMS Schwechat) berichteten von ihren Erfahrungen mit MAGMA, einem Beschäftigungsprojekt für Langzeitarbeitslose. Zusammen mit Britta Feigl (Projekt #we_do, ÖSB Consulting) und Ljiljana Zlatojevic (Frauentreffpunkt Frauenberatung Salzburg) konnten sich die TeilnehmerInnen über Frauen in Erwerbsarmutssituationen austauschen und im Workshop vom Diakoniewerk Salzburg stellte Antje Kindler-Koch Sozialraumkonzepte in der Stadtteil- und Quartiersarbeit vor.
Weiterführende Präsentationen, Unterlagen und Fotos stehen als umfassende "Tagungsdokumentation" auf erwachsenenbildung.at zur Verfügung.
Veranstaltet wird die Überregionale Vernetzungstagung jährlich von der ÖSB Studien und Beratung gemeinnützige GmbH im Auftrag des BMBWF.
Erstellung des Beitrags gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und des Europäischen Sozialfonds.
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