Die Praxis der Anerkennung am Beispiel von ÄrztInnen

Antrag zur Nostrifizierung passiert durchschnittlich nach 27 Monaten Aufenthalt in Österreich
Nostrifizierungsverfahren gliedern sich in mehrere Schritte, die nur nacheinander vollzogen werden können. In der Befragung wurde erhoben, wann Anträge gestellt, Prüfungen abgelegt und Bescheide erstellt wurden. Dadurch konnten die Studien-AutorInnen die Verfahrensdauer genauer beleuchten.
Alle Befragten, die je einen Nostrifizierungsantrag gestellt haben, taten es nach durchschnittlich 27 Monaten Aufenthalt in Österreich. Nimmt man die Zeiten für Migration und Flucht dazu, beträgt die Berufspause oft mehrere Jahre. Das lange Fernbleiben von Berufspraxis, keine Teilnahme an einschlägigen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, ausbleibende Mitwirkung im professionellen Netzwerk wirkt sich nicht positiv auf die spätere Arbeitsmarktintegration der ÄrztInnen und ZahnärztInnen aus.
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass die durchschnittliche Dauer von der Antragstellung (oft ohne oder mit geringen Deutschkenntnissen) bis zum Antrag auf Eintragung in die Ärzteliste als Ärztin/Arzt, Fachärztin/Facharzt, Zahnärztin/Zahnarzt zwischen 11 und 25 Monaten beträgt. Anzumerken ist hier allerdings, dass nur 16 von 172 Befragten all diese Schritte zum Befragungszeitpunkt bereits erfüllt hatten. Das bedeutet, dass 156 Personen den Antrag noch nicht gestellt oder sich mitten im Verfahren befunden hatten.
ZahnärztInnen müssen durchschnittlich mehr Prüfungen ablegen als andere ÄrztInnen
Im Durchschnitt wurden jeder/jedem NostrifikantIn 4,5 Prüfungen vorgeschrieben, allerdings mit deutlichem Unterschied zwischen Human- und Zahnmedizin: den AllgemeinmedizinerInnen wurde durchschnittlich 3,4, den FachärztInnen 2,7 und den ZahnärztInnen 6,5 Prüfungen vorgeschrieben.
Auch die wahrgenommene Fairness im Nostrifizierungsverfahren wurde in der Befragung genauer beleuchtet: die durchschnittliche Einstufung der Fairness des Verfahrens betrug 5,05 und lag damit fast haargenau in der Mitte (0 bedeutet gar nicht fair, 10 bedeutet sehr fair) – wobei ZahnärztInnen dies mit nur 3,4 bewertet hatten.
Befragte wünschen sich vorläufige Beschäftigung
Im qualitativen Teil zeichnete sich der Wunsch der NostrifikantInnen nach einer vorläufigen Beschäftigung während des Anerkennungsverfahrens ganz klar ab. Dadurch wäre die rasche praktische Einführung in das österreichische Gesundheitswesen und die Auffrischung des medizinischen Fachwissens gewährleistet, so die Befragten. Für NostrifikantInnen aus Drittstaaten bestehen zusätzliche Belastungen, wie Betreuungspflichten, finanzielle Absicherung, Gesundheit und Familienzusammenführung. Trotz der langen Dauer des Anerkennungsprozesses möchten alle Befragten ihren Beruf als Ärztin/Arzt ausüben.
StudienautorInnen geben Empfehlungen
Nach Auswertung der Studien-Daten geben die AutorInnen Empfehlungen für die Gestaltung der Nostrifizierung in Österreich. Sie empfehlen u.a. die Verfahren so umzugestalten, dass ÄrztInnen und ZahnärztInnen während des Anerkennungsprozesses durchgängig mit PatientInnen sowie Gesundheitspersonal in Kontakt stehen, um in die österreichische Berufspraxis hineinwachsen zu können. Hierzu schlagen die AutorInnen vor, eine eingeschränkte Berufsausübung zu ermöglichen, ähnlich wie dies in Deutschland geregelt ist.
Zudem empfehlen die AutorInnen die Weiterentwicklung und den regionalen Ausbau von Maßnahmen wie Check In Plus als Investition in die Versorgung der Bevölkerung mit ärztlichen Diensten. Bei "Check In Plus" handelt es sich um eine im Auftrag des Arbeitsmarktservice Wien, durch das Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen geführte Beratungs- und Betreuungseinrichtung. Für Personen die eine höhere oder Hochschulbildung aus dem Ausland mitbringen und auf diesen aufbauen wollen, werden individuelle Weiterbildungslösungen gesucht, um eine qualifikationsadäquate Arbeitsmarktintegration rascher zu erzielen.
Sie schlagen auch vor, einen universitären Lehrgang einzurichten, in dem fachspezifische, für die Nostrifzierung relevante Inhalte vermittelt werden. Neben der Prüfungsvorbereitung könnte der Lehrgang auch als Fachsprachtraining genützt werden, um die Integration der TeilnehmerInnen in die Berufsgruppe zu fördern, so die AutorInnen.
Über die Studie
Die Untersuchung wurde sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegt. 172 ÄrztInnen und ZahnärztInnen (davon etwa 66% Männer) wurden mittels eines online Fragebogens befragt. Weitere Einzelinterviews mit Betroffenen sowie mit ExpertInnen haben die Analyse ergänzt.
Die TeilnehmerInnen der Studie wurden zwischen 1947 und 1995 geboren, die meisten waren zum Zeitpunkt der Befragung (2018) 36 Jahre alt. 128 von 172 wurden in einem westasiatischen oder nordafrikanischen Staat geboren und 94 hatten in dieser Region auch ihren Studienabschluss erworben. Der Großteil kommt aus Syrien: 71 Personen wurden in Syrien geboren bzw. 49 Personen haben dort ihr Studium abgeschlossen.
Das Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen, Anlaufstellenkoordination (Milica Tomi?-Schwingenschlögl, Yerivan Pruscha) hat gemeinsam mit dem Zentrum für Soziale Innovation (August Gächter, Juliet Tschank) die umfassende Studie "Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen als Ärztin/Arzt und Zahnärztin/Zahnarzt in Österreich" konzipiert und durchgeführt. Es handelt sich dabei um eine zum ersten Mal in Österreich durchgeführte Analyse zum Thema Anerkennung der mitgebrachten medizinischen und zahnmedizinischen Qualifikationen.

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