Wie verändert KI die Lernkultur(en)? Sieben Thesen

Es scheint außer Frage zu stehen, dass Künstliche Intelligenz als disruptive Technologie einen nachhaltigen Einfluss auf Lernkulturen nehmen wird. Doch welche Veränderungen sind zu erwarten? Möglich ist dabei vieles.
Lernkulturen in einer digitalen Welt
Traditionelle Lernumgebungen sind durch formale Strukturen, Hierarchien und eine klare Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden geprägt. Solche Lernkulturen betonen vor allem die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten entlang von festgelegten Lernzielen. Ein linearer und hierarchischer Lehrstil ist die Folge. Gerade in der Erwachsenenbildung ist eine solche Kultur nicht lernförderlich oder zeitgemäß, und sie wird einem erwachsenen Gegenüber mit seinen Voraussetzungen nicht gerecht.
Die aktuelle Welt ist volatil, unsicher, komplex und von Ambiguität geprägt, also „VUCA“. Bestehendes Wissen zu vermitteln, reicht nicht aus, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Menschen müssen vielmehr in der Lage sein, neue Lösungen und Antworten zu entwickeln. Moderne, lernförderliche Lernkulturen unterstützen daher selbstorganisiertes und reflexives Lernhandeln. Sie ermöglichen Lernen durch Angebote, die auf praktische Anwendungskompetenzen ausgerichtet sind. Sie fördern die Selbstorganisation der Lernenden, werten implizites Wissen auf und unterstützen individualisierte Lernprozesse.
Welche Lernkulturen fördert KI? Sieben Thesen
(1) Lernen wird kleinteiliger und gezielter: Um eine konkrete Information zu erhalten, muss man nicht mehr ein Buch lesen oder einen Kurs besuchen. Eine Recherche im Internet führt meist in kurzer Zeit zur gewünschten Information. KI forciert diesen Trend: Die Internet-Recherche wird zunehmend durch Chatbot-Dialoge abgelöst. Kontext-Informationen gehen dabei tendenziell verloren.
(2) Die Unterrichtsvorbereitung wird effizienter - KI-Sprachmodelle ermöglichen das. Das gilt vor allem für traditionelle Lernkulturen. Infolgedessen ist auch ein Effizienzdruck zu erwarten, wobei der Effizienzgewinn oft mit einer geringeren Qualität bezahlt wird.
(3) Individualisierte Lernprozesse nehmen zu. Schon im Rahmen des adaptiven Lernens rückt KI die Individualisierung in den Vordergrund – zum Beispiel nutzen schon jetzt viele Menschen adaptive Sprachlern-Apps, um vordefinierte Lernziele zu erreichen.
(4) Selbstgesteuertes Lernen nimmt ebenfalls zu. Nicht nur spezifische Lern-KI wie Khanmigo (Tutor Me) oder Syntea, sondern schon Basismodelle wie ChatGPT ermöglichen sinnvolle Lerndialoge. Damit ist es leichter als bisher, entlang eigener Fragen zu lernen und Lernziele zu erreichen, die nicht fix vorgegeben sind.
(5) Selbstlernphasen im Blended Learning ändern sich. Für solche Selbstlernphasen gibt es neue Möglichkeiten, z.B. durch benutzerdefinierte GPTS, chatfähige Skripten oder KI-Recherchetools. Mittelfristig ist zu erwarten, dass diese Möglichkeiten aufgegriffen werden. Selbstlernphasen und Blended Learning generell könnten zunehmen.
(6) Es wird wichtig, Denkprozesse zu explizieren. Generative KI führt schriftliche Abschlussarbeiten in ihrer bisherigen Form ad absurdum. Das betrifft auch Lehrgangsarbeiten in der Erwachsenenbildung. Stattdessen steigt die Notwendigkeit, die menschlichen Denkverläufe und Überarbeitungsprozesse bei der KI-Nutzung zu explizieren und zu belegen, dass Absolvent*innen zu einem sachgerechten Umgang mit KI imstande sind.
(7) Echte Lernbeziehungen werden seltener. Der Trend zum individuellen Lernen kann (gerade bei fix vordefinierten Inhalten) eine Vereinzelung befördern. Außerdem nehmen simulierte Lernbeziehungen zu, wenn Avatare immer öfter zum Einsatz kommen und KI-Chatbots mit Emotions-Simulation ausgestattet werden. Im Extremfall könnten diese Substitute das Lernen in menschlicher Gemeinschaft sukzessive verdrängen.
KI kann also durchaus unterschiedliche Lernkulturen fördern: Ein Trend in Richtung Effizienz, Individualisierung, Selbststeuerung und Simulation ist jedoch nicht zu übersehen.
Eine ermächtigende Lernkultur mit KI unterstützen
KI bedient den menschlichen Hang zur Bequemlichkeit, während sie zugleich den Bedarf an eigenständigem Denken erhöht. Es stellt sich daher die Frage, wie KI so eingesetzt werden kann, dass sie eine Kultur der eigenständigen Auseinandersetzung mit Inhalten fördert.
Nele Hirsch verwendet den Begriff „KI-Eduhacking“ um auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, bewusst eine Lernkultur zu fördern, die Lernende zur Handlungsfähigkeit in der digitalen Welt ermächtigt. Übungen können etwa so gestaltet werden, dass sie selbstbestimmtes Lernen fördern. Lernende können den Entstehungsprozess von Texten offenlegen oder eigene Selbstüberprüfungen mit KI erstellen. Eine weitere Möglichkeit ist, die Arbeit mit KI so zu gestalten, dass Lernende im Umgang mit Komplexität unterstützt werden, anstatt einfach fertige Inhalte von einer KI generieren zu lassen.
Die Selbstlernkompetenz ist laut Nele Hirsch die wichtigste Schlüsselkompetenz in einer KI-geprägten Welt. KI-Chatbots können das Selbstlernen unterstützen, indem sie Wissen erschließen, als Feedback-, Dialog- oder Sparringpartner eingesetzt werden sowie als Ideengeber oder Planungstool dienen. Mit anschaulichen praktischen Übungen illustriert Nele Hirsch, wie man z.B. bestehende Inhalte mit KI gut erschließen kann.

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