Demokratie und Digitalisierung in der Erwachsenenbildung

08.09.2022, Text: Gunter Schüßler, Redaktion/CONEDU
Wie sich Digitalisierung auf die politische Bildung und das Verständnis von Demokratie auswirkt und welche Rolle die Erwachsenenbildung dabei einnehmen kann, erläutert der Philosoph Julian Culp im Interview.
Die Collage zeigt abgerissene Flächen eines bunt bedruckten Papiers. Finger ragen unter den Schichten ins Bild.
Demokratische Prozesse und Bemühungen um politische Bildung müssen initiiert, ausgehandelt und aktiv gestaltet werden.
Grafik: Unsplash Lizenz, Jazmin Quaynor, https://unsplash.com
Die spezifischen Wirtschaftsstrukturen digitaler Gesellschaften, wie etwa die Aufmerksamkeitsökonomie oder der Plattformkapitalismus, stellen neue Anforderungen an den politischen Diskurs und folglich auch an das Bestreben politischer Erziehung und Bildung.

 

Die Erwachsenenbildung leistet einen Beitrag, indem sie gesellschaftliche Entwicklungen hinterfragt, politische Reflexion fördert und mediale Kompetenzen ausbildet.

 

Julian Culp, Professor für Philosophie an der American University of Paris, hat in einem Interview Fragen rund um demokratische Gerechtigkeit, Digitalisierung und Erwachsenenbildung beantwortet. Er erklärte, welchen Herausforderungen sich digitale Gesellschaften stellen müssen und wie Demokratiebildung in ihnen gelingen kann.

Welchen Einfluss hat Digitalisierung auf politische Bildung und was bedeutet das für einzelne Lernende?

Julian Culp: Es ist sicherlich falsch zu behaupten, es wäre die Digitalisierung selbst, die der Demokratie schade. Vielmehr können bestimmte Gründe aufgezeigt werden, die für demokratische Gesellschaften nachteilig sind.

 

Politische Bildung ist niemals ein isoliertes Unterfangen, sondern findet sich immer eingebettet in einer gesellschaftlichen Realität. Diese wiederum wurde in den letzten Jahren stärker denn je geprägt durch die Digitalisierung alltäglicher Bereiche.

 

Derzeit wird intensiv diskutiert und geforscht, wie sich die politische Erziehung und Bildung ändern müsste, um dem Rechnung zu tragen.

 

Eine der wichtigsten Kompetenzen ist die Fähigkeit, qualitativ hochwertige von minderwertigen Informationen oder Fake News unterscheiden zu können. Sie ist heute wichtiger denn je. Das hat einen ganz bestimmten Grund, der in digitalen Gesellschaften zu tragen kommt: Die Verbreitung von Nachrichten sowie medialen Inhalten allgemein hat sich von einer sogenannten „one to many“- zu einer „many to many“-Kommunikation gewandelt. War der Informationsfluss früher eingleisig und verlief von Nachrichtenagenturen, die Inhalte recherchierten und aufbereiteten, zu einzelnen Empfänger*innen, so kann heute mittels sozialer Netzwerke jede*r mediale Inhalte produzieren und weltweit teilen. Damit schwindet zugleich der Wahrheitsgehalt einzelner Informationen. Zudem werden wesentlich mehr Informationen generiert.

 

Medienkompetenz ermöglicht es die Qualität der Informationen und ihrer Quellen zu ermitteln und so Falschinformationen und Inhalte von geringer Qualität zu filtern.

Was sind konkrete Gründe für nachteilige Auswirkungen auf die Demokratie innerhalb einer digitalen Gesellschaft? Was kann die Erwachsenenbildung tun?

Es ist wichtig die ökonomischen Anreize medialer Akteure und Unternehmen zu verstehen. Was ist das Geschäftsmodell eines digitalen Unternehmens oder eines Akteurs, der Suchmaschinen oder soziale Netzwerke bereitstellt? Hierbei gilt es zu erkennen, wie diese ökonomischen Strukturen die Infrastruktur beeinflussen, über die kommuniziert wird. 

 

Politische Erwachsenenbildung leistet beispielsweise einen Beitrag, indem sie auf die Geschäftsmodelle, sowie die ökonomischen Ziele und Anreize aufmerksam macht, die hinter sozialen Netzwerken, Suchmaschinen oder anderen technischen Produkten stehen können.

 

Das bedeutet etwa, dass es gewisse Produkte nur deshalb gibt, weil jemand ein Geschäft damit machen möchte. Erwachsenenbildung kann die Bedeutung einer reflektierten und kritischen Haltung gegenüber bestimmten Entwicklungen hervorheben und so helfen den Konsum einzuschränken oder zu begrenzen, um dafür zu sorgen, dass man nicht so stark manipuliert wird.

 

Gefühlsbetonte Inhalte in sozialen Netzwerken, wie etwa Hassrede, werden oftmals gezielt gefördert, da sie häufiger geteilt werden, wodurch die jeweiligen Tech-Unternehmen größere Gewinne erzielen können.

 

Die Schlüsselrolle journalistischer Expertise hervorzuheben und unabhängigen Journalismus zu fördern sind weitere Möglichkeiten Falschinformationen und demokratiegefährdenden Entwicklungen entschieden entgegenzutreten.

 

Für Nutzer*innen gibt es in der Verwendung bestimmter Produkte oft keine praktikable Alternative, was zu einer Monopol-Stellung bestimmter Unternehmen führen kann. Mit Blick auf soziale Netzwerke lässt sich das besonders stark beobachten: Ein Wechsel zu einem weniger bekannten Dienst unterbleibt, wenn die befreundeten Kontakte diesen nicht auch nutzen. Die dadurch entstehende Macht-Asymmetrie ermöglicht es den etablierten privaten Unternehmen den öffentlichen politischen Diskurs zu unterminieren.

 

Diese spezifische Wirtschaftsstruktur, die unter den Stichworten Aufmerksamkeitsökonomie, Plattformkapitalismus und Überwachungskapitalismus diskutiert wird, ist charakteristisch für digitale Gesellschaften.

Gibt es durch die Digitalisierung denn auch positive Entwicklungen in Bezug auf das demokratische Verständnis einer Gesellschaft?

Digitale Medien können für das demokratische Verständnis einer Gesellschaft und einen lebendigen politischen Austausch durchaus auch förderlich sein und das auf globaler Ebene, wie transnationale Bewegungen wie Black Lives Matter oder #MeToo gezeigt haben. Soziale Netze werden dafür genutzt auf Missstände aufmerksam zu machen und sich für demokratische Werte sowie die Rechte Einzelner einzusetzen. Wie erfolgreich soziale Bewegungen in den sozialen Medien tatsächlich sind, ist eine diskutable Frage.

 

Für die politische Bildung ergeben sich mit Blick auf die Digitalisierung zahlreiche Diskussionspunkte, was beispielsweise Bildungsgerechtigkeit, niederschwellige Angebote oder das Erlernen digitaler Medienkompetenz betrifft.

 

Digitalisierung kann egalisierende Tendenzen hervorbringen und einen gerechteren Zugang zur Bildung schaffen, zum Beispiel durch informelles Lernen, kostenlose und frei zugängliche MOOCs – es gibt auch einen eigenen „Demokratie MOOC“ (DeMOOC) – oder EduTubing. Aber: Wie uns zuletzt die Pandemie vor Augen geführt hat, steht nicht jeder Person ein Endgerät oder ein ungestörter Lernraum zur Verfügung.

Was hat Demokratieerziehung mit Gerechtigkeit zu tun?

Pluralistische Gesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen unterschiedliche Werte vertreten werden. So gibt es auch einen fortwährenden Disput darüber, was Gerechtigkeit ist.

 

Demokratische Gerechtigkeit besteht darin, an den Diskussionen über Gerechtigkeit teilnehmen zu können – Demokratieerziehung versteht sich als Ermöglichung dieser demokratischen Praxis, in der über Gerechtigkeit gestritten wird.

Hintergrund: Demokratische Diskurse in der Erwachsenenbildung

Während Demokratieerziehung meist im schulischen Kontext verortet wird, sind Diskurse über politische Bildung oder etwa das Erlernen von Medienkompetenz wesentlicher Bestandteil der Erwachsenenbildungs-Praxis. Das Bewusstsein für demokratische Prozesse zu sensibilisieren ist Teil davon. Darum ist Demokratiebildung auch Teil der Erwachsenenbildung.

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