„Teilnehmendenorientierung ist eine Haltung.“
Teilnehmendenorientierung war das Thema der Jubiläumsausgabe 50 des Magazin erwachsenenbildung.at, die verschiedene Perspektiven dazu aus Theorie und Praxis vereint. Um dieses Thema vertiefend zu diskutieren, veranstaltete die Redaktion von erwachsenenbildung.at am 15. Jänner 2024 einen wEBtalk mit Angelika Hrubesch (Wiener Volkshochschulen) und Dennis Walter (Bundesinstitut für Erwachsenenbildung).
Erwachsenen in ihrer Selbstbestimmung gerecht werden
Erwachsene sind in der Basisbildung freiwillig in Bildungsangeboten und die Gruppen sind vielfach heterogen, so Hrubesch. D.h. die Teilnehmenden unterscheiden sich nicht nur in ihren Interessen und Zielen, sondern auch in ihrem Alter, ihren sozialen Hintergründen, in ihren familiären Situationen, ihren Lebenssituationen usw. „Hier ein Programm zu machen, das für eine größere Gruppe passt, ist ganz schwierig. Es braucht ein Verhandeln über Ziele und Interessen, um diesen Erwachsenen in ihrer Selbstbestimmung gerecht zu werden“, so Hrubesch.
Teilnehmendenorientierung ist kein Wunschkonzert
Der Anspruch, Selbstbestimmung zu fördern, verführt dazu, die Verantwortung für den Lernprozess an die Teilnehmenden abzuschieben oder Erwachsenenbildung als Wunschkonzert der Teilnehmenden zu sehen. und war es noch nie, sind sich Dennis Walter und Angelika Hrubesch einig. Denn schon 1980, am Höhepunkt des Diskurses zu diesem Thema, formulierte der Bildungsforscher Hans Tietgens: „Erwachsenenbildner sind Treuhänder der Lernenden und zugleich Sachwalter des zu lernen Vereinbarten“. Das hieße, das didaktische Zepter bleibt in der Hand der Erwachsenenbildner*innen, so Walter. Teilnehmendenorientierung sei also kein Wunschkonzert, sondern ein Aushandeln zwischen individuellen Lernzielen, gesellschaftlichen Bedarfen und Inhalten, die die Lehrenden als Expert*innen für das jeweilige Thema .
Möglichst offene Planung von Bildungsveranstaltungen
Wie kann man nun in der konkreten Bildungspraxis teilnehmendenorientiert handeln? Methodisch gäbe es kein a priori, so Dennis Walter: „Ein Frontalvortrag kann genauso sehr oder wenig teilnehmendenorientiert sein wie eine aktivierende Methode.“ Monika Hrubesch dazu: Man plant Teilnehmendenorientierung, indem man versucht, vorab zu erheben, wer die Teilnehmenden sind und was sie brauchen, plant dann aber das Lehr-/Lernsetting selbst so offen wie möglich. Man braucht Kursleiter*innen, die bereit und kompetent sind, um sich auf die Heterogenität, Ziele und Interessen der Teilnehmenden einzulassen. Und es braucht kleine Gruppen und auch Zeit.
Ausblick: Teilnehmendenorientierung bei aktuellen Trends in der Erwachsenenbildung
Freiwilligkeit ist ein Grundargument der Teilnehmendenorientierung. Was also, wenn diese nicht gegeben ist oder wenn messbare Learning Outcomes gefordert sind? Und ist Teilnehmendenorientierung bei sehr kurzen oder standardisierten Bildungsangeboten noch möglich? Auch im Spannungsfeld zwischen individuellen Lernzielen von Teilnehmenden und Vorgaben von außen, was zu lernen ist bzw. was an Lernfortschritten nachgewiesen werden muss, gibt es noch Räume für Teilnehmendenorientierung, sind sich Hrubesch und Walter auch hierzu einig. "Man schaut, dass man in diesen Punkten im Lehr-/Lernprozess teilnehmendenorientiert handelt, wo es der Lerninhalt zulässt, wo es die Lernsituation zulässt oder wo es die institutionellen Rahmenbedingungen zulassen". Das Selbstverständnis der Erwachsenenbildung zu Teilnehmendenorientierung wird es auch künftig geben - vielleicht mehr denn je, so Hrubesch abschließend.
Verwandte Artikel
Erster Österreichischer Büchereipreis verliehen
Fünf Büchereien erhielten heuer erstmals den mit insgesamt 50.000 Euro dotierten Preis und tragen im kommenden Jahr den Titel „Bücherei des Jahres 2025“.Klimabildung für Erwachsene: Drei kreative Tipps für Bildungsanbieter
Wie kann man Menschen für Klimabildung motivieren? Tipps von Sabrina Riedl vom Fachbereich „Klima & Nachhaltigkeit“ im Salzburger Bildungswerk sind kreative Mitmach-Formate, Klima als Querschnittsthema und die Arbeit mit Vorbildern.Bildung im Alter: Erfahrungen statt Defizite in den Fokus stellen
Was braucht es, damit ältere Personen an Bildung teilnehmen? Auf jeden Fall reflektierte Altersbilder, die Berücksichtigung von Erfahrungen sowie barrierefreie Angebote.Basisbildung im ökologisch-digitalen Zeitalter: EBSN-Konferenz 2024
Die European Basic Skills Network Konferenz 2024 beleuchtete, wie Basisbildung zur digitalen und grünen Transformation beitragen kann.Basisbildung sichtbar machen – nicht nur, aber auch am World Literacy Day
Das Projekt SICHTBAR! sensibilisiert die Öffentlichkeit für das Thema Basisbildung und will so Lese- und Schreibschwierigkeiten von Erwachsenen enttabuisieren. 2024 ist SICHTBAR! an verschiedenen Orten unterwegs.Nachhaltige Berufsbildung: didaktische Impulse aus Theorie und Praxis
In einem Sammelband diskutieren 13 Autor*innen didaktische Herausforderungen und Potenziale für die Weiterbildung in der Berufsbildung zum Thema Nachhaltigkeit.