Bildungsehrenamt in Zeiten von Covid-19
Bildung lässt die Gemeinde zusammenwachsen
Herbst 2020 Tux: Die Erwachsenenschule Tux ist eine der geographisch entlegenen Erwachsenenschulen in Tirol, die zum Tiroler Bildungsforum gehören. Die 2.000-Seelen-Gemeinde weist die zweithöchste Nächtigungszahl im touristisch geprägten Zillertal auf. So bietet die kleine Bildungseinrichtung vorwiegend in der Zwischensaison – die einzige Zeit, in der die meist im Tourismus tätigen GemeindebürgerInnen Zeit für Bildung finden – Veranstaltungen und Kurse an. "Momentan ist dauernd Zwischensaison.", so Brigitta Egger, die ehrenamtliche Leiterin vor Ort und weiter, "Bildung wird zu einer wichtigen, sinnerfüllenden Beschäftigung für Personen, die coronabedingt keine Möglichkeit eines Erwerbs haben. Bildung schafft auch mit Abstand eine wichtige Begegnungsmöglichkeit zwischen BürgerInnen."
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden auch in Tux strikt eingehalten, und daher mancher Kurs ins Freie verlegt. Aber es "herbstelt", und so ist es am späten Nachmittag bereits dunkel. Damit der Kurs dennoch abgehalten werden kann, wird kurzerhand die freiwillige Feuerwehr Tux miteinbezogen: mit großen Scheinwerfern wird der Veranstaltungsort im Freien ausgeleuchtet. So wird irgendwie die ganze Gemeinde in das Corona-Erwachsenenschulprogramm miteinbezogen. Man wächst zusammen.
Kreative Ideen der ehrenamtlichen BildungsorganisatorInnen vor Ort, wie die der Erwachsenenschule Tux, ermöglichen dennoch das Abhalten von Veranstaltungen. Sie bieten Menschen trotz Einschränkung eine kurze Auszeit im Rahmen eines Bildungs- oder Kulturangebotes und entspannen damit den oft psychisch belastenden Alltag.
Crashkurs Digitalisierung
Innerhalb der ersten 14 Tage des Lockdowns im Frühjahr stellen Ehrenamtliche und Hauptamtliche im Tiroler Bildungsforum ein breites Onlineangebot zusammen. Das erste Seminar, das online geht, findet am 31. März 2020 statt und ist aus dem Bereich Natur & Umwelt. Innerhalb von zwei Tagen melden sich über 186 Personen an. Das Team ist überwältigt. Die Erwachsenenschulen senden mit über 300 kostenlosen Veranstaltungen und Kurzfilmen das Signal an die Bevölkerung "Wir sind auch in einer herausfordernden Zeit für Sie da!". Neben klassischen Sprachkursen, EDV-Kursen oder Bewegungsangeboten, gibt es Informationen zum besseren Umgang mit der aktuellen Situation, Kurzfilme zur Tiroler Geschichte oder Reparaturtipps für den Haushalt von den Repair Cafés. Erwachsenenschulen, die kein Angebot legen, unterstützen andere Erwachsenenschulen durch die Übernahme von ReferentInnenkosten. Solidarität zwischen den einzelnen Zweigstellen wächst. Die Bereitschaft, sich mit digitalen Tools auseinanderzusetzen, zu experimentieren, aus Erfolgen und Fehlern zu lernen ist bei vielen Ehrenamtlichen groß.
Bildungsräume und kreative Lösungen
Auf lokaler Ebene finden die meisten Veranstaltungen der Erwachsenenschulen in Gemeinderäumlichkeiten (Schule, Gemeindehaus, Feuerwehrschulungsraum, etc.) statt und so steht die allgemeine Erwachsenenbildung trotz Präventionskonzepten und hoher Investitionen in erforderliche Hygienmaßnahmen mancherorts wiederholt im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße.
Weitere Ideen für alternative Bildungsangebote im Freien werden gesponnen.
Beispiele dafür sind z.B. ein Angelkurs der Erwachsenenschule Mittleres Zillertal, eine Kräuterwanderung mit Wurzelstechen und Verwertungstipps für Stärkendes im Winter der Erwachsenenschule Weer-Pill-Kolsass, ein Reparaturspaziergang mit Besuch ausgewählter Handwerksbetriebe durch die Gemeinde Schwaz, erwanderte Dorfgeschichte in Zusammenarbeit zwischen Erwachsenenschule und ChronistInnen in der Gemeinde Thaur, uvm.
Auch in Sachen Veranstaltungsformat sind mit den wechselnden Rahmenbedingungen kreative Lösungen gefragt. Die Erwachsenenschule Kaiserwinkel bietet im Herbst Kurse im hybriden Format an: vier Leute dürfen im Computerraum der Volksschule unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen anwesend sein, der Rest wird online zugeschaltet. So verfährt auch die Geschäftsstelle des Tiroler Bildungsforums beim monatlichen Jour fixe der Vereinsakademie: Zehn Personen kommen zum Veranstaltungsort, weitere 50 nehmen online am interaktiven Vortrag teil. Der Personalaufwand verdoppelt sich: es braucht eine Veranstaltungsbegleitung in Präsenz wie auch im virtuellen Raum.
Aus eins mach zwei
Die Erwachsenenschule Kirchdorf hat bereits im Sommer mit der Umsetzung der Corona-Vorgaben begonnen: die ehrenamtliche Leiterin Maria Danzl erzählt, dass sie den örtlichen Veranstaltungsraum drei Mal ausgemessen hat, um die Abstandsregeln im Herbst gut umsetzen zu können. Der Raum bot sodann Platz für zwölf TeilnehmerInnen – alle Plätze wurden mit Semesterbeginn dankbar angenommen. Dann kommt die neue Verordnung: über das Wochenende wird klar, dass nur noch neun Personen pro Kurs teilnehmen können. Also umschichten: Zehn Kurse teilen, doppelt anbieten, ReferentInnen erneut anfragen, einzelne Personen zur Teilnahme an Ersatzkursen überreden. Maria Danzl telefoniert dafür von Freitagnachmittag bis Sonntagabend. Das ganze Wochenende.
Ehrenamt stärken
Ehrenamtliche verlieren trotz intensiver Servicierung und Schulung von Seiten der Geschäftsstelle des Tiroler Bildungsforums die Motivation sich zu engagieren, wenn Planungen permanent zu überarbeiten sind, administrative Arbeiten die inhaltliche Tätigkeit überlagern und immer das Gefühl besteht, unter Umständen doch falsch zu handeln. Die Herausforderungen um Covid-19 führten dazu, dass sich einzelne Freiwillige im Tiroler Bildungsforum im Wintersemester 20/21 zurückzogen. "Wir arbeiten daran, dass wir z.B. ErwachsenenschulleiterInnen oder ExpertInnen der Repair Cafés nicht als engagierte MitgestalterInnen unserer Gesellschaft verlieren. Es braucht gerade jetzt mehr Ressourcen, um Ehrenamtliche begleiten zu können. 2021 wird uns fordern, sie alle wieder für die ehrenamtliche Tätigkeit zu gewinnen, denn Bildungsarbeit im ländlichen Raum lebt vom freiwilligen Engagement", ist sich Margarete Ringler, Geschäftsführerin des Tiroler Bildungsforums sicher.
Erwachsenenschulen, Bildungsehrenamt vor Ort
Erwachsenenschulen sind gemeinwesenorientierte Bildungseinrichtungen des Tiroler Bildungsforums, einer Mitgliedseinrichtung im Ring Österreichischer Bildungswerke, in denen Ehrenamtliche auf lokaler Ebene allgemeine Erwachsenenbildungsangebote organisieren. Das Bildungsprogramm ist abgestimmt auf die Bedürfnisse und ausgerichtet an den Kompetenzen der BürgerInnen. So führt der Informatikstudent einen Kurs zu digitalen Medien, der Koch aus dem Ortsgasthaus einen Kochkurs für Männer oder die aus Frankreich zugezogene Frau Sprachkurse. Im Rahmen von Projekten und alternativen Veranstaltungsformaten werden aktuelle Themen aus den Bereichen Natur & Umwelt, Kultur, Integration, Dorfgeschichte etc. angestoßen und begleitet.
Das Programm im Kopf
Maria Danzl, Erwachsenenschulleiterin von Kirchdorf i.T. sagt, sobald es ein "Go" gibt, startet sie mit ihren Kursen. Sie hat sie alle schon geplant - im Kopf. Sie fasst ihre Motivation für das kommende Bildungsprogramm zusammen: "Wegen der Leute im Dorf, den TeilnehmerInnen machen wir das alles, damit wir ihnen Kurse anbieten können, bei denen sie zusammenkommen. Die Leute waren so dankbar, sie stehen für uns im Mittelpunkt!"
Verwandte Artikel
Bildungsangebote.at: Niederösterreichische Kursdatenbank weiterentwickelt
Die aktualisierte Bildungsdatenbank unterstützt Bildungssuchende und Bildungsanbietende mit neuen Funktionen und trägt zur Professionalisierung der Weiterbildung in Niederösterreich bei.Ehrenamt als wichtige Säule gemeinnütziger Erwachsenenbildung
Über 10.000 Freiwillige engagieren sich im Forum Katholischer Erwachsenenbildung. Anlässlich des Internationalen Tages des Ehrenamtes hebt das Forum die Bedeutung der Ehrenamtlichen hervor.2023 gab es in der Salzburger Erwachsenenbildung mehr Ehrenamtliche
Anfang Oktober präsentierte die Salzburger Erwachsenenbildung ihre Kennzahlen für das Jahr 2023 und eine neue Kommunikationskampagne.Beiträge bis 20. September gesucht: Weiterbildungsforschung nach der Krise
Praxis und Forschung der Erwachsenenbildung legen ihr Augenmerk oft auf die akute Krisenbearbeitung. Was kommt danach? Diese Frage stellen die Herausgeber*innen der Zeitschrift für Weiterbildungsforschung im Call for Papers.BFI-Bildungsstatistik 2023
Im Vorjahr führten die Berufsförderungsinstitute in ganz Österreich rund 17.600 Kurse mit mehr als 165.000 Teilnahmen und über zwei Millionen Unterrichtseinheiten durch.Erwachsenenbildner*innen zu Besuch bei der Ausstellung zu KI und Mensch
Wie man bei der Nutzung von KI Daten schützen sollte und wie KI Diskriminierung zementiert: Die Ausstellung in Wien unterstützt dabei, für einen kritischen Umgang mit KI zu sensibilisieren.