Erwachsenenbildung und die „soziale Konstruktion des Digitalen“

Bildung zwischen Fremd- und Selbststeuerung
Die unterschiedlichen Möglichkeiten, digitale Innovationen zu nutzen, zeigen sich im Bildungsbereich u. a. an folgendem Beispiel: Akteur*innen können große Mengen an Daten sammeln und für Lernanalysen verwenden. Bildungsprozesse lassen sich so „von außen“ steuern, Bildungsangebote können auf Personen zugeschnitten und vorgegeben werden.
Andererseits können Lehrende dazu beitragen, eine Kultur zu etablieren, die Lernenden die Möglichkeit gibt, Lernangebote selbstbestimmt zu wählen – etwa durch das Erstellen offener Bildungsinhalte (OER).
Beide Optionen sind heute gängige Praxis. Wie Bildung gestaltet wird, ist maßgeblich eine Frage der gesellschaftlichen Aushandlung dieser Optionen.
Dabei handelt es sich aber keineswegs per se um einen demokratischen Prozess. Monopolartige Unternehmen und Plattformen beeinflussen den öffentlichen Diskurs und die demokratische Teilhabe, wenn sie bestimmte Inhalte oder Fake News aus wirtschaftlichen Eigeninteressen in sozialen Netzwerken fördern oder sich etwa der Besteuerung entziehen.
Lehrende können über die vorherrschenden ökonomischen Strukturen informieren, zur Diskussion über die Nutzung digitaler Räume in der Erwachsenenbildung anregen und Lernende motivieren, mit digitalen Medien und Technologien verantwortungsvoll umzugehen. Jede*r Einzelne bestimmt durch die Nutzung digitaler Angebote mit, welche Entwicklungen sich durchsetzen und wie die digitale Gesellschaft zukünftig gestaltet sein wird.
Wie sollen digitale Innovationen genutzt werden?
Früher waren der Nutzen und die Nutzung einer technischen Erfindung zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung grundsätzlich bekannt. Bei digitalen Medien oder dem Internet ist das oft nicht der Fall. Hier zeichnet sich erst durch die Verwendung der Technologie in der Gesellschaft ab, wie und zu welchem Zweck die jeweilige Innovation genutzt wird. Ein Beispiel, das Michael Kerres nennt, ist etwa das Radiogerät, dem genau ein bestimmter Zweck zugeordnet werden kann. Anders verhält es sich mit dem sog. „Internet of Things“, Smartphones oder Smarthomes. Wie sie eingesetzt werden entscheidet sich erst auf gesellschaftlicher Ebene.
Diese Beobachtung entkräftet die Behauptung, dass die Technik oder die Digitalisierung soziale Gegebenheiten bestimmt. Auf diese Weise tritt die Möglichkeit, Bildung aktiv zu gestalten, in den Vordergrund.
Welche Wirkungen gehen von Medien aus?
Bestimmen Medien den Lernerfolg von Erwachsenenbildner*innen mit? Welche Wirkungen sind Medien zuzuschreiben und wie groß ist ihr Einfluss?
Unter Berücksichtigung häufiger Annahmen dieser Debatte und systematischer Unterscheidungen, wie etwa jener zwischen Methoden und Medien, gibt Kerres zu bedenken, dass die Verwendung digitaler Medien auf den Lehr-Lern-Prozess eher geringe Effekte ausübt. Ihre Wirkungen zeigen sich viel eher mit Blick auf die unterschiedlichen Epochen der Mediengeschichte.
Nicht eine, sondern viele digitale Kompetenzen
Digitalisierung geht mit einem Wandel im Verständnis von Kompetenzen einher. Sie ist ein integraler Bestandteil der Bildungswelt. Das führt dazu, dass die Rede von „einer“ Digitalkompetenz wohl eher zu kurz greift und sich viele verschiedene digitale Kompetenzen beschreiben lassen. Dabei wird die Frage diskutiert, ob digitale Kompetenzen domänenspezifisch, also in der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Gegenstand, erworben werden oder unabhängig davon.
Digitale Medien und Prozesse kommen nicht bloß zu bestehenden oder analogen hinzu, vielmehr „durchdringen“ sie die Welt – so auch den Bildungsbereich. Bildung ist heutzutage immer zugleich auch „digitale“ Bildung. Daher scheint es nach Kerres sinnvoller von der „Bildung in der digitalen Welt“ anstatt der „digitalen Bildung“ zu sprechen.
In Anlehnung an die Kompetenzkataloge von Baacke (1973) sowie Groeben und Hurrelmann (2002) beschreibt Kerres sieben Kompetenzbereiche für die Bildung in der digitalen Welt: Medien kennen, Funktionen verstehen, Medien nutzen, mit Informationen umgehen, Medien gestalten, das eigene Medienverhalten reflektieren und gesellschaftliche Implikationen bewerten.
Kerres, Michael (2020): Bildung in der digitalen Welt: Über Wirkungsannahmen und die soziale Konstruktion des Digitalen. In: Zeitschrift MedienPädagogik 17 (Jahrbuch Medienpädagogik), S. 1–32.
- Das österreichische Kompetenzmodell DigComp AT
- DigCompEdu: Selbsttest zu digitalen Kompetenzen
- Kerres (2023). Bildung in der digitalen Welt: (Wie) Kann digitale Kompetenz vermittelt werden?
- Michael Kerres: Gibt es "digitale Kompetenzen"? (Video)
- OER: Kostenlos teilen und Geld verdienen?
- Kritische Medienkompetenz auf eb.at

Verwandte Artikel
Zur richtigen Weiterbildung mit dem Dat-O-Mat
Ein Chatbot verrät Nutzenden welche Weiterbildungen zum Thema Daten am besten für sie passen.Digitale Kompetenzen fördern bei Erwachsenen mit geringer formaler Bildung
Wie können formal gering qualifizierte Erwachsene digitale Kompetenzen erwerben? Eine tschechische Studie untersucht, welche didaktischen Strategien besonders wirksam sind – darunter der Einsatz bildgestützter Ministorys.Leitfaden zur digitalen Grundbildung im Arbeitsalltag
Die Handreichung „Digitale Grundbildung in der Arbeitswelt gestalten“ bietet Erwachsenenbildner*innen praxisnahe Anregungen und Methoden, um digitale Kompetenzen im beruflichen Alltag zu stärken.Train-the-Trainer-Programm: OeAD lädt zur Angebotslegung ein
Der OEAD beauftragt mehrere Online-Weiterbildungsmodule für Train-the-Trainer-Weiterbildungen. Reichen Sie Ihr Angebot jetzt ein!Vorab-Umfragen sinnvoll nutzen
Erwartungen und Vorkenntnisse schon vor dem eigentlichen Kurs zu erheben, hilft Erwachsenenbildner*innen dabei, Lernangebote genauer auf Teilnehmende zuzuschneiden. Wie gelingt das einfach und DSGVO-konform?Moodle meistern: so gelingt der Einstieg
Wie lassen sich mit Moodle gute Lernangebote gestalten? Ein interaktives Video zeigt übersichtlich, wie auch Einsteiger*innen das Learning Management System ganz unkompliziert nutzen können.