Partizipation und kritisches Denken: Das Museum als Lernort

29.01.2018, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Ein Blick mit MUSIS-Geschäftsführerin Evelyn Kaindl-Ranzinger auf Aufgaben und Herausforderungen von Museen als Lernorte.
"Das Museum hat als Bildungseinrichtung das Ziel, Menschen zu eigenem Denken zu begleiten"
Foto: CC0 Public Domain, http://pixabay.com
2018 ist das Europäische Jahr des Kulturerbes. Als Kulturerbe wird die Gesamtheit der materiellen und immateriellen Kulturgüter bezeichnet. Es ist Zeugnis der menschlichen Schaffens- und Schöpfungskraft, so lautet eine Definition im Lexikon der Universität Oldenburg. Kultur ist somit auch immer etwas Dynamisches, etwas, das durch Menschen entsteht und sich verändern kann. Museen sind nicht nur Bewahrer von Vergangenem, sondern setzen sich auch mit gegenwärtigen Entwicklungen auseinander. Sie sind Hüter von Kulturerbe und Lernort der kulturellen Bildung. Welche Herausforderungen dies angesichts aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen mit sich bringt, skizziert Evelyn Kaindl-Ranzinger, Geschäftsführerin des Steirischen Museumsverbandes MUSIS im Interview mit CONEDU.

 

Lucia Paar: Blickt man auf aktuelle Themen unserer Zeit, wie Zuwanderung und Migrationsgesellschaft: Welche Rolle spielen Museen dabei? Wie kann bspw. die Realität einer Zuwanderungsgesellschaft in Ausstellungen, aber auch in der Vermittlung dargestellt und aufgegriffen werden?

Evelyn Kaindl-Ranzinger: Das ist ein großes Thema - nicht erst seit 2015. 2015 hat uns aber einen großen Kick verpasst, weil sich die ganze Bevölkerungsstruktur wandelt, weil man plötzlich sowohl in positiver als auch in negativer Sicht sensibler geworden ist für die Durchmischung unserer Bevölkerung und für das Bewusstsein für das, was wir als ÖsterreicherInnen als sogenannte „Leitkultur" glauben zu sehen. Viele Museen spiegeln noch diese „Leitkultur" wider. Das ist ein Prozess, in dem wir uns mittendrin befinden und der noch viel Entwicklungsbedarf hat. Denn eine Repräsentanz aller anwesenden Kulturen in adäquater Form ist erst dann gegeben, wenn sie nicht offensichtlich ist. Eine Ausstellung zur Religionsgemeinschaften in Graz hat das z.B. gut gemacht. Da gab es eine Karte, auf der die Punkte und Einzeichnungen für alle Religionen gleich gestaltet waren. Dort konnte man sich einfach anschauen, welche Religionen in Graz vertreten sind. Das Motto war also nicht: Wir sind Katholiken und ein paar Protestanten und dann gibt's da noch ein paar andere. Vereinzelt gelingt das schon, aber der Weg ist noch weit.

 

Und wenn man dabei nicht nur an das Darstellen und Abbilden denkt, sondern auch an das Mitwirken und Gestalten: Kann ein Museum oder ein Museumsbesuch auch kulturelle Teilhabe ermöglichen? Und wenn ja – wie?

Sehr viele Einrichtungen haben das schon gut gemacht und haben das – auch aufgrund der Aufnahme von Flüchtlingen in kleine Gemeinden – sehr bewusst wahrgenommen. Groß St. Florian hat z.B. ein Haus, in dem mehrere Flüchtlingsfamilien untergebracht wurden und es hat das Steirische Feuerwehrmuseum Kunst und Kultur, das durchaus zu den nennenswerten in der Steiermark gehört. Die Mitarbeiterinnen des Museums sind mit ein paar Informationen und Dingen in dieses Haus gegangen, haben erzählt, was sie machen und haben die Leute in das Museum eingeladen. Es kamen dann auch viele. Die Mitarbeiterinnen haben die Leute dann durchgeführt – und zwar im Diskurs. Die Einladung hieß: „Kommt und erzählt uns von eurer Feuerwehr und schaut euch an, was wir hier haben". Das ist ein gutes Beispiel. Das partizipatorische Element ist ein ganz wichtiges, wenn es um das Museum als Lernort geht. Viele kleinere Museen arbeiten partizipatorisch – auch das Stadtmuseum Schladming. Dort kooperieren sie ganz stark mit den Verbänden und Vereinen vor Ort, machen Gesprächsorte auf. Kleine Museen sind dann auch oft Locations für Kulturveranstaltungen, für Treffen. Es passiert viel, aber es gibt noch Luft nach oben.

 

Kulturelle Bildung ist auch immer eng mit politischen Fragestellungen verbunden. Auch die Jahrestagung des Deutschen Museumsbundes in Bremen beschäftigt sich mit politischer Bildung in Museen und stellt die Frage, welche Werte Museen vertreten bzw. vertreten sollen und wie politisch Museen heute sind? Wie beantworten Sie diese Frage?

Das ist ein ganz starkes Thema - auch in Österreich. Das war vor allem auch ein einschneidendes Thema im Museumsbund vor der Nationalratswahl. Da ging es genau um diese Thematik: Wie stellen sich Museen dar? Wie politisch dürfen Museen sein? Wie sehr dürfen sich Museen und die Menschen in den Museen, die dort arbeiten, politisch artikulieren? Wie politisch bzw. kritisch dürfen oder müssen sie sein? Das ist ein Grenzgang. Grundsätzlich sind Museen nicht politisch zu dominieren. D.h., sie müssen regierungsunabhängig sein. Das heißt aber nicht, dass sie nicht kritisch sein dürfen und müssen. Aber wie weit gehe ich dabei? Wir sind hier mitten in einem Prozess. Es gab Präzedenzfälle, wo Museen von Gemeinden gehemmt wurden, weil sie sich zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Es gab auch Fälle, wo das einzelne Mitarbeitende betraf, weil sie sich artikuliert haben. Das ist auch der Punkt, bei dem man sehr sorgsam sein muss, wenn man in Museen oder für Museen tätig ist. Man wird im öffentlichen Raum automatisch als RepräsentantIn dieses Hauses gesehen. Das muss uns bewusst sein. Das darf aber niemandem den Mund verbieten. Man muss Themen, Entwicklungen kritisch beleuchten. Denn das Museum hat als Bildungseinrichtung das Ziel, Menschen zu eigenem Denken zu begleiten und eigenständiges Denken heißt: Ich darf von unterschiedlichen Seiten kritisch beleuchten und muss die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden. Das ist ein ganz wichtiges Thema.

 

Ein anderes wichtiges Thema der gegenwärtigen Gesellschaft – insbesondere des Bildungsbereichs – ist die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung: Welche Chancen und Herausforderungen stellt sie an Museen und an kulturelle Bildung im Allgemeinen?

Das ist eine klare Herausforderung im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsarbeit. Wir wissen alle, dass es sich in den letzten Jahren dahingehend entwickelt hat, dass das, was es in der digitalen Welt nicht gibt, nur schwer wahrgenommen wird. Es ist bei vielen schon gut angekommen, aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir hin sollten. Man kann die Technologien auch vermehrt für kulturvermittlerische Tätigkeit nutzen und z.B. Vorbereitungsmaterialien für Lehrende online bereitstellen – das ist noch viel zu wenig verbreitet. Für kulturelles Lernen die neuen Technologien zu nutzen, halte ich für ganz wichtig. Es bedeutet auch mehr Zugang für die Leute. Und da gibt es noch etwas Anderes: Es ist längst europäischer Standard, dass Sammlungen digital erfasst werden. Das haben wir in Österreich versäumt. Das ist natürlich viel Aufwand und ein breiter Weg. Allerdings haben wir schon einige Initiativen, die in eine gute Richtung führen. Wir haben bspw. den Kulturpool.at. Das ist ein Informationsportal. Kulturhistorisches, relevantes Material kann man hier online zur Verfügung stellen. Den Kulturpool halte ich für einen ganz tollen Ansatz, aber man muss das Inventar zunächst digital erfassen – das ist viel Aufwand. Und da haben wir in der Steiermark noch immer riesige Mängel. Das Land hat leider bis heute noch keine nennenswerten Gelder dafür freigemacht oder einen strategischen Plan dafür entwickelt, dass man da wirklich eine große Offensive starten könnte.

 

Apropos: Im Rahmen des 25. Steirischen Museumstages haben Sie 25 Thesen für die Zukunft von Museen aufgestellt. Eine davon lautet: „Eine Politik, die die Bedeutung ihrer Museen – auch der kleinen – nicht erkennt und danach handelt, ist nicht zukunftsfähig." Ein Plädoyer?

Die Thesen haben wir beim letzten Museumstag gemeinsam mit Stakeholdern entwickelt, und ich werde sie wieder aufhängen, denn sie sind gut. Wir sind in der Museumscommunity der Überzeugung, dass Kultur nicht ausgehungert werden darf – und ich meine hier die Kultur des Alltags, nicht die Kultur, die man gemeinhin als Hochkultur bezeichnet. Denn es kann sich nicht jeder leisten ins Theater oder in die Spanische Hochreitschule zu gehen. Unser Kulturverständnis ist eines, dass möglichst viele einbezieht, die sich einbeziehen lassen wollen. Dazu bräuchte es eine Investition und Unterstützung. Wir haben z.B. in der Steiermark große Sammlungen, die nach der Gemeindestrukturreform plötzlich brachliegen. Von 18 Stadtmuseen hat die Hälfte überhaupt kein angestelltes Personal. Wie soll man so eine Sammlung verwalten? Ja, es ist letztendlich der politische Wille, der Entwicklung ermöglicht.

Weitere Informationen:
Quelle: EPALE E-Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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