„Ein emanzipatorischer Zugang muss vor der Sprachvermittlung ansetzen“

27.11.2017, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Dagmar Ransmayr erhielt für ihr Engagement als interkulturelle Theaterpädagogin den Staatspreis für Erwachsenenbildung 2017. Sie spricht über Herausforderungen, Ziele und Wünsche für die Zukunft.
Dagmar Ransmayr mit Bundesministerin Sonja Hammerschmid und Kurator Markus Raml vom WIFI Österreich bei der Preisverleihung
Foto: Alle Rechte vorbehalten, Bildungsministerium/APA-Fotoservice/Martin Lusser, https://www.apa-fotoservice.at/galerie/11158

Am 16. November verlieh Bundesministerin Dr. Sonja Hammerschmid den Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung 2017 in drei Kategorien. Dagmar Ransmayr erhielt den Preis in der Kategorie „ErwachsenenbildnerIn 2017: Entwicklung durch Bildung". Sie setzt sich seit 1990 dafür ein, Menschen, die in Österreich ihre neue Heimat gefunden haben, eine Stimme zu geben. 1992 gründete sie die erste MigrantInnentheatergruppe Österreichs „Die Fremden".

 

1992 haben Sie die MigrantInnentheatergruppe „Die Fremden" gegründet – Nun haben Sie den Staatspreis für Ihre theaterpädagogische Initiative erhalten. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?

Die Auszeichnung hat mich und uns (die Theatergruppe „Die Fremden") sehr gefreut und geehrt, es ist eine große Anerkennung meiner und unserer langjährigen Arbeit. Der Preis ist ein Zeichen des Interesses, der Anerkennung und der Wertschätzung für meine jahrzehntelange ehrenamtliche Arbeit und Methodenentwicklung, für die Gründung und langjährige, nachhaltige Begleitung der SpielerInnen der Theatergruppe „Die Fremden" und der gesamten Organisation.

 

Außerdem ist der Preis eine Anerkennung für meinen langen Atem – auch im Umgang mit vielen herausfordernden Situationen. Er ist aber auch eine Auszeichnung für das, was ich und wir an Aufklärungs- und Bildungsarbeit mit unserer Theaterform in Auseinandersetzung und Konfrontation mit dem Publikum leisten. Rund 500 Aufführungen wurden von mehr als 50 000 Menschen gesehen. Ihnen wurden spielerisch Geschichten erzählt und vieles dargestellt, das bis dahin entweder unentdeckt war oder Stücke, die bei Erlebnissen und Erfahrungen des Publikums andockten und in denen sich viele Personen aus dem Publikum verstanden fühlen konnten.

 

Unsere Theatergruppe ist seit vielen Jahren bzw. Jahrzehnten vor allem in Wien, aber auch in den Bundesländern und in Teilen Süd-Deutschlands insiderbekannt und gilt als „Geheimtipp". Die Auszeichnung mit dem Staatspreis ist eine Chance, einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu werden.

 

Michael Tölle sagte bei der Verleihung, dass der Staatspreis an jemanden gehen sollte, der zeigt, dass man auch etwas tun kann, ohne akzentfrei Deutsch zu sprechen. Mit dem Selbstbewusstsein komme das Deutsch dann von allein. Was war Ihre Intention und wie kam es zu „Die Fremden"?

1991/1992 war es der damalige Jugoslawien-Krieg, der viele Menschen dazu brachte, ihre Heimat verlassen zu müssen. Ich war Lehrende und Beraterin und hatte davor schon längere Zeit auch mit Kindern und Jugendlichen mit alternativen Theaterformen gearbeitet. In meiner Tätigkeit als Lehrerin fiel mir auf, wie sprachlos sich Menschen fühlten, die ihrer Muttersprache, ihrer Ursprungsheimat und ihrer Ursprungskultur beraubt waren und dass dies im krassen Widerspruch zu dem Bedürfnis stand, ganz viel von sich zu erzählen oder auch von sich zu zeigen, wie überlebensnotwendig es war, sich mitzuteilen, welch großen Teil der Identität es ausmacht, anderen zu zeigen, wer und wie du bist, welche Geschichte hinter und in dir liegt, welchen Humor du hast... Die szenische Darstellung/das Theater half, die verbale Sprache unwichtiger werden zu lassen bzw. auf einer „Nebenfahrbahn" mitlaufen zu lassen.

 

Ich unterstütze Menschen dabei, ihre Themen und Geschichten auf die Bühne zu bringen und sich mit Stolz aus der Sprachlosigkeit heraus zu bewegen und selbst in einer Theaterstückentwicklung ein großes Ganzes mitzugestalten, das die eigene oder eine gehörte Geschichte enthält und somit wieder Teil der eigenen Geschichte wird.

 

Seit 1993 entwickelte ich mit den Spielerinnen und Spielern abendfüllende Produktionen, die sehr viel Ausdruckskraft und Stärke enthalten. Oft in gemischter Sprache und mit nonverbalen Elementen... und ja, die neue Sprache floss immer mehr ein und wurde langsam ein größerer und bedeutenderer Teil.

 

Ein emanzipatorischer Zugang muss weit vor der Vermittlung der sprachlichen Kompetenz ansetzen und einen interdisziplinären Umsetzungsraum von Aktion, Ausdruck und Reflexion aufspannen. Selbstvertrauen stärkt auch Identität. Und diese macht Mut, sich mit Neuem auseinanderzusetzen. Auch mit einer neuen Sprache.

 

Wie war der Weg bis hier hin? Wo gab es Hindernisse oder Widerstand?

Menschen, die aus einer anderen Kultur, einem anderen Land, mit einer anderen Sprache kommen, haben oft viel Schweres, Herausforderndes, Entmutigendes erlebt. Sie sind fast immer mit einer großen Veränderung ihres gesellschaftlichen Lebens konfrontiert. Vieles macht sie daher sprachlos, ohnmächtig, unsicher. Wenige haben eine Lobby, die für sie spricht, sich für sie einsetzt.

 

Für die Theaterarbeit bedeutet das, dass es oft an Vernetzung oder im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit an Möglichkeiten oder Selbstbewusstsein und Sicherheit fehlt und sehr viel Arbeit – auch aufgrund sprachlicher Möglichkeiten – an mir oder an sehr wenigen Mitgliedern hängt. Viele SpielerInnen kämpfen mit sehr schwierigen Lebensumständen und sind in prekären Arbeitssituationen.

 

Sich einer komplett unentgeltlichen Arbeit über einen so langen Zeitraum zu „verschreiben", verlangt uns allen sehr viel an Engagement, Kompromissbereitschaft und Ausdauer ab. Manchmal müssen Menschen mitten in einer Produktion das Land verlassen oder sind mit so schwierigen Situationen konfrontiert, dass ein Weiterspielen nicht möglich ist. Da braucht es immer viel Flexibilität oder auch Unterstützung von den anderen Gruppenmitgliedern.

 

Immer wieder fehlt es aber auch an Geld, und wir arbeiten mit minimalen Bühnenrequisiten. Wir haben die Not zur Tugend gemacht und unsere spärlichen Bühnenelemente sind unser Markenzeichen geworden.

 

Der gemeinsame Humor (über alle kulturellen Grenzen hinweg) und das über einen sehr langen Zeitraum gemeinsame Arbeiten ermöglichen der Gruppe sehr vertraut und offen miteinander zu werden und sich nach den Aufführungen immer dem Diskurs und dem Austausch mit dem Publikum zu stellen, Meinungen, Erfahrungen und neue Inputs miteinfließen zu lassen und sich so konstant weiterzuentwickeln.

 

Wie sehen Sie Ihre Zukunft? Wo sehen Sie sich und das Projekt in 10 Jahren?

Im gesamten Feld meiner Arbeit mit erwachsenen Menschen und im Speziellen mit Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Menschen anderer Kulturen ist mir besonders wichtig:

  • gut hinzusehen und hinzuhören und dabei auch zu versuchen, hinter die Dinge zu sehen und zu hören,
  • Geschichten von Menschen hör- und sichtbar zu machen und ein Publikum dafür zu finden, was Menschen in ihrer Ursprungslage schwerfällt zu sagen oder auszudrücken,
  • Mut zu machen, aufzuzeigen, aufmerksam zu machen und
  • das Augenmerk darauf zu legen, wo Talente und Begabungen liegen und an diesen Potentialen anzudocken und darauf aufzubauen,
  • und den Austausch mit einem immer größer werdenden Publikum zu suchen und zu behalten.

Dies alles in großem Respekt vor dem, was Menschen bereit sind zu geben und von sich zu zeigen. Dies soll auch die nächsten 10 Jahre so bleiben.

 

Ich arbeite seit 25 Jahren in diesem Bereich ehrenamtlich und unentgeltlich, und es ist mir und der Gruppe auch wichtig, frei von Vorgaben zu sein.
Dennoch wäre eine finanzielle Unterstützungen (einfach für die Reise zu Gastspielen oder Festspielen, für Werbematerialien, für Drucksorten, ...) manchmal sehr hilfreich. Unsere Spieleinnahmen fließen zur Gänze in diese Dinge. Oft zahlen wir noch persönlich unsere Reisekosten.

 

Ich habe einen sehr langen Atem und sehr viel Geduld in der Arbeit mit Menschen unterschiedlicher Kulturkreise. Manchmal braucht es Zeit.
Auch dies soll die nächsten 10 Jahre so bleiben.

 

Ich hoffe – auch nach 25 Jahren – auf mehr Bekanntmachung nicht nur des sozialen Aspekts, sondern auch der großen künstlerischen Qualität unserer Arbeit.
Wir verfügen über einen doch beachtlichen Kreis an Stammpublikum und durften gerade in Süd-Deutschland (wo die freie Theaterszene viel Aufmerksamkeit genießt) einige Preise für unser künstlerisches Schaffen entgegennehmen. Das wünsche ich mir für die nächsten 10 Jahre auch in Österreich.

 

Ein Schwerpunkt, den wir uns schon lange wünschen, ist eine Hinwendung zu einem Kinder- bzw. Familienpublikum mit den Themen, die ich mit der Theatergruppe „Die Fremden" bearbeite. Viele Teilnehmende sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten Eltern geworden, haben ihre Heimat hinterfragt und eine neue versucht zu suchen. Das Thema Fremdheit und Diversität für Kinder aufzubereiten, ist eine große Herausforderung, ein reizvoller Plan.

 

Was wünschen Sie Menschen, die neu nach Österreich kommen?

Kein Mensch verlässt leicht oder leichtfertig seine Heimat. Ich wünsche mir Offenheit und Interesse an Gründen, Ursachen und Geschichten. Ich wünsche mir, dass allen Menschen frei von Stigmatisierungen und Vorurteilen begegnet wird. Auf Augenhöhe. Mit sehr viel Geduld. Ich wünsche mir, dass es Zeit, Räume, Methoden und Möglichkeiten gibt, um Menschen zuzuhören. Ich wünsche mir – wie wir es in der Theatergruppe oft nennen – dass Menschen einen „Park zum Platzen" finden.

 

Menschen haben oft unglaubliche Biografien. Man muss zuhören, um Menschen zu verstehen oder auf sie zugehen zu können, ihre Ängste, ihre Sehnsüchte und Wünsche.

 

Ich wünsche „ihnen", mir und uns allen, dass die wichtigen Fragen des Zusammenlebens immer wieder gestellt werden:

 

Was braucht es, damit verschiedene Kulturen gut miteinander leben können? Was braucht es, damit das Miteinander gelingt? Was braucht es, damit Ängste besprech- oder bearbeitbar werden und nicht in Abwertung oder Ausgrenzung anderer umzuschlagen drohen?

 

Ich wünsche mir den Diskurs. Und mehr Mut und Offenheit.

Weitere Informationen:

 

 

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