"Basisbildung gewinnt an Aufmerksamkeit"

28.09.2017, Text: Julia Rodlauer, Redaktion: Karin Kulmer (seit 2023: Karin Lamprecht), Redaktion/CONEDU
Wie wird Bildungsbenachteiligung innerhalb der Gesellschaft diskutiert und wahrgenommen? Klaus Buddeberg spricht im Interview über aktuelle Studienergebnisse. (Serie: Basisbildung und Öffentlichkeit)
Studie aus Deutschland zeigt: Bevölkerung weiß über Basisbildungsmaßnahmen Bescheid, empfiehlt diese aber nur selten weiter.
Foto: CC0 Public Domain, http://pexels.com
Diverse Studien zu Basisbildung in Deutschland belegen ein relativ breites Wissen der Bevölkerung über die Existenz von Basisbildungsprogrammen. Nun gelte es, Menschen mit Basisbildungsbedarf zur Teilnahme zu motivieren, so Klaus Buddeberg von der Universität Hamburg.

 

CONEDU: Wie wird das Thema Basisbildung und Öffentlichkeit in Deutschland diskutiert?

Klaus Buddeberg: Das Thema Basisbildung wird im deutschen Diskurs mit Grundbildung umschrieben und hat seit einigen Jahren an öffentlicher Aufmerksamkeit gewonnen. Das deutsche Ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit etlichen Jahren die Forschung und die Praxis in diesem Bereich. Die LEO - Level-One Studie hat sicherlich dazu beigetragen, der Debatte mehr Schwung zu verleihen.

 

Im Jahr 2016 schlug sich dies auch begrifflich im Start der "Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung" (www.alphadekade.de) nieder. Im Rahmen der Dekade spielt der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit eine zentrale Rolle. Partner der Dekade sind u.a. Bund und Länder, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV), die Bundesagentur für Arbeit, das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) sowie der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung (BVAG) u.a.

 

Das damit verknüpfte Interesse ist es, breitere Teile der Bevölkerung über das Thema Grundbildung (bzw. mangelnde Grundbildung) zu informieren und zu sensibilisieren, um letztlich die Teilnahme an Grundbildungsangeboten der Erwachsenenbildung zu erhöhen. Zentraler Baustein ist eine bundesweite Öffentlichkeitskampagne, die hinsichtlich ihrer Verständlichkeit und Zielgruppenansprache überarbeitet wird.

 

Wie werden Basisbildungsprogramme innerhalb der Gesellschaft wahrgenommen bzw. angesehen?

Studienergebnisse aus Deutschland (Umfeldstudie Universität Hamburg) zeigen, dass es in der Bevölkerung durchaus ein breites Wissen darüber gibt, dass es auch für Erwachsene Kurse gibt, in denen sie ihre Lese- und Schreibkompetenzen steigern können. Allerdings führt dies nur selten dazu, dass Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen die Teilnahme an einem Kurs empfohlen wird.

 

Was waren die Motive und zentralen Erkenntnisse dieser Umfeldstudie an der Universität Hamburg?

Ziel der Studie, die aus einer quantitativen und einer qualitativen Teilstudie bestand, war es, erstmals systematisch zu erfassen, in welchem Ausmaß Erwachsene mit geringer Lese- und Schreibkompetenz in der Bevölkerung überhaupt auffallen und bekannt sind. Es ging zudem darum, zu beschreiben, wie diese "mitwissenden" Personen mit ihrem Wissen umgehen, ob sie das Gespräch mit den gering literalisierten Erwachsenen suchen oder eher vermeiden und welche Art der Unterstützung sie ggfs. leisten.

 

Die Studie zeigte, dass überraschend viele Erwachsene andere Erwachsene kennen, die offenkundige Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben (und zwar keinesfalls überwiegend MigrantInnen). Auch der Umgang mit dem Wissen erweist sich häufig als viel pragmatischer und weniger tabubelastet als gemeinhin angenommen.

 

Wie kommt es überhaupt zum Bedarf an Basisbildung?

Bezogen auf die Domänen Lesen, Schreiben und Rechnen lassen sich bestimmte Faktoren beschreiben, die geringe Basiskompetenzen nach sich ziehen. Dazu zählen vor allem der formale Schulabschluss (bzw. Schulabbruch ohne Abschluss und Förderschulbesuch), die in der Kindheit erlernte Erstsprache und auch der familiäre Bildungshintergrund, also der Schulabschluss der Eltern. Geringe Basisbildung wird also zu einem nicht unerheblichen Teil "sozial vererbt".

 

Ein Blick zurück zeigt übrigens, dass dies kein neues Phänomen ist. So zeigen Studien wie die international vergleichende PIAAC-Studie der OECD oder nationale Studien wie die LEO-Studie in Deutschland, dass geringe Lese- und Schreibkompetenzen unter älteren Altersgruppen stärker sichtbar wird als in den jüngeren Altersgruppen. Wenn also die "Schule versagt hat", wie häufig konstatiert wird, so hat sie dies vor mehreren Jahrzehnten ebenfalls getan.

 

Dr. Klaus Buddeberg

Klaus BuddebergKlaus Buddeberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen an der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Literalitätsforschung, Grundbildungsforschung, Inklusion in der Erwachsenenbildung, Leichte Sprache sowie Large Scale Assessment. Seit Jänner 2017 hat er außerdem die Projektleitung in dem durch das BMBF (deutsches Ministerium für Bildung und Forschung) geförderte Projekt "LEO-Grundbildungsstudie" an der Universität Hamburg inne.

 

Serie: Basisbildung und Öffentlichkeit

Am Rande der Gesellschaft stehend: so werden Menschen dargestellt von denen wir meinen, dass sie Basisbildung brauchen. Wenn wir über Basisbildungsbedarf diskutieren, stehen uns diese Stigmatisierung und die damit einhergehenden negativen Zuschreibungen oft im Weg. Mit dem Themenschwerpunkt „Basisbildung und Öffentlichkeit" auf erwachsenenbildung.at will die Abteilung Erwachsenenbildung im Bundesministerium für Bildung im Herbst 2017 den Anstoß zur Auseinandersetzung mit diesem Thema geben. In einer Serie von Beiträgen kommen ExpertInnen in Interviews, wEBtalks und Artikeln zu Wort. Alle bisher zur Serie #baböff erschienenen Beiträge sowie Ressourcen zum Thema finden Sie hier.

Die Serie ist Teil eines Projekts des BMB mit Förderung aus Mitteln der Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (EACEA).

 

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