Neue Wege gegen Ungleichheit in der Erwachsenbildung
Das Problem: Bildungsangebote erreichen benachteiligte Menschen oft nicht
Bildung gilt als wichtiger Distinktions- und Segmentierungsmechanismus in modernen Gesellschaften und ist weniger zugänglich für alle, als oftmals angenommen und (medial) behauptet. Studien belegen, dass Personen aus unterprivilegierten Milieus weniger an formalen Bildungsangeboten teilnehmen – nicht zuletzt deswegen, weil sie das Gefühl haben, „nicht dazuzugehören“. Grund dafür sind Unterschiede im Habitus. Habitus bezeichnet das gesamte Auftreten und Erscheinungsbild einer Person, also etwa den Lebensstil, die Sprache, die Kleidung und den Geschmack, also Vorlieben für bestimmte Kulturgüter oder -stile. Durch den Habitus einer Person lässt sich in weiterer Folge der Status und somit die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu bzw. zu einer bestimmten Schicht in einer Gesellschaft ablesen. Habitus meint vor allem die im Laufe der Sozialisation unbewusste, aber meist recht exakte Angepasstheit der Dispositionen, Verhaltensmuster und Einstellungen einer Person an das jeweilige soziale Umfeld.
Dementsprechend ist die Teilnahme an Angeboten im Bereich der Erwachsenenbildung entlang der sozialen Milieus ungleich verteilt. Personen, die sich am Rande der Gesellschaft befinden und von sozialer Ungleichheit betroffen sind, werden durch aktuelle Bildungsangebote im Sektor der Erwachsenenbildung häufig nicht erreicht.
Projekt ReachOut untersucht habitussensible Beratungsansätze
Das Projekt "ReachOut" (2022 – 2024) lotet die bislang wenig beachteten Potenziale habitussensibler Beratungsansätze aus, um für benachteiligte Personengruppen Brücken in die Bildung zu bauen. Als Reaktion auf die zuvor beschriebenen Herausforderungen zielt das Projekt drauf ab, Verbesserungen im Bereich der Erwachsenenbildung zu schaffen, indem die Kompetenzen bei Bildungsberater*innen für einen habitussensiblen Umgang mit Personen aus unterprivilegierten Milieus gestärkt werden. Sowohl die bestehenden Angebote als auch die Beratungsprozesse selbst sollen verbessert werden, um langfristig die Inanspruchnahme und den Zugang zu Erwachsenenbildung zu erhöhen.
Berater*innen berücksichtigen Habitus unbewusst
Erste Ergebnisse zeigen, dass der Habitus von Berater*innen oftmals nur unbewusst beachtet wird. Der sensible Umgang mit milieuspezifischen Herausforderungen wird durch jahrelange Berufspraxis erlernt und gefestigt. Ein Beispiel ist Sprache. Dabei geht es u.a. um Schwierigkeiten bei Abgrenzungen bzw. Grenzziehungen zwischen Beraterin*innen und Kund*innen, die über dieselbe Erstsprache verfügen und/oder derselben ethnischen Community angehören. Vor dem Hintergrund der "gemeinsamen Sprache" und "Kultur" werden Berater*innen oftmals als Ansprechpersonen für Angelegenheiten wahrgenommen, die weit über das Spektrum der Bildungsberatung hinausgehen. Bedingt durch Erfahrungen, die im Privatleben gesammelt wurden, ergeben sich oft zusätzliche Erwartungen, die an die Bildungsberater*innen gestellt werden. Die "gemeinsame Sprache" und somit der geteilte Glauben an eine gemeinsame Herkunft (Habitus) schafft im ersten Moment schnell(er) Nähe und Vertrauen. Nicht zuletzt ergeben sich dadurch Schwierigkeiten im persönlichen Nähe- und Distanz-Verhältnis.
Das Projektkonsortium
Folgende Organisationen sind Teil des Projekts "ReachOut":
- ÖSB Social Innovation gemeinnützige GmbH (Österreich) mit Rudolf Götz (Projektleitung)
- Research Institute for labour ans social affairs - RILSA (Tschechien) mit Jana Váňová
- Büro für berufliche Bildungsplanung, Kein & Zisenis GbR (Deutschland) mit Rosemarie Klein
- Slovenian Institute for Adult Education - SIAE (Slowenien) mit Tanja Vilic Klenovsek
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