Erwachsenenbildung ist Ermächtigung und gemeinsames Entwickeln

29.01.2020, Text: Anna Head, bifeb
Christian Kloyber, Direktor des Bundesinstituts für Erwachsenenbildung, blickt im Abschiedsinterview mit Anna Head zurück auf 30 Jahre Erwachsenenbildung, Utopien und Perspektiven.
Für Christian Kloyber ging es am bifeb immer um das gemeinsame Entwickeln und darum, Sicherheit und Raum dafür zu bieten.
Foto: CC BY, David Röthler, auf erwachsenenbildung.at

Head: Christian, du blickst auf fast 30 Jahre am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) zurück. Wie war die Anfangsphase und was hat sich verändert?

Kloyber: Meine Einstellung durch die Abteilung Erwachsenenbildung 1990 war mit einem starken bildungspolitischen Ziel verbunden. Der eiserne Vorhang war gefallen und es ging um Grenzöffnung, Mehrsprachigkeit, Nachbarsprachen lernen. Österreich wollte einen kulturellen, wirtschaftlichen Austausch, vor allem mit den frei gewordenen Staaten im Osten. Da hatte Erwachsenenbildung eine wichtige Funktion und wir hatten damals viele Utopien.

Welche Utopien hattet ihr?

Die Utopie war, dass die Grenzen verschwinden und wir die beiden Weltkriege nicht verdrängen, sondern die Geschichte als Grundlage nehmen, um gemeinsam wieder einen kulturellen und gesellschaftlichen Raum zu erobern. Es ging darum, miteinander menschlich umzugehen, miteinander etwas zu machen. Wir haben uns Europa vorgestellt und überlegt, welchen Beitrag wir auf diesem Weg leisten können.

Und heute?

Diese Utopie habe ich im Prinzip noch immer. Heute ist die Situation nicht unähnlich. Ich finde mich wieder in einer Gesellschaft und Erwachsenenbildung, wo das Migrationsthema ganz stark da ist, aber es hat sich gewendet. Statt um Mehrsprachigkeit geht es jetzt vor allem um Integration. Ziel ist es, dass Menschen Deutsch sprechen, um so ein Teil der Gesellschaft zu werden, die produktiv funktionieren kann.

Hinter welchem Prinzip von Erwachsenenbildung stehst du? Hat sich dein Verständnis verändert in den 30 Jahren?

Das Verständnis hat sich ganz sicher verändert. 1990 war Österreich noch nicht Teil der EU und die Erwachsenenbildung hat sich damals an der Situation nach 1955 und "1968" orientiert. Dann kam ein starker Zug Richtung Westen und eine Orientierung an den skandinavischen Ländern. Ich habe die Anpassung der Ausrichtung an bestimmte Ergebnisse immer bedauert.

Das heißt die Anpassung an ein bestimmtes Verständnis im Gegensatz zu einem gemeinsamen Werden?

Genau. Also nicht die Schablone vorgehalten bekommen: "Dorthin muss es gehen" – PIAAC, PISA, Testierungen, Standards, Kompetenzen... sondern ein gemeinsames Bearbeiten aktueller Herausforderungen in unterschiedlichsten Formaten. Im Hintergrund verstehe ich es natürlich, es ist auch keine Ablehnung. Es ist ein Versuch, das andere Gewicht in die Waagschale zu legen.

Was begeistert dich an der Erwachsenenbildung?

Die Personen, Kolleginnen und Kollegen. Das ist schon eine Besonderheit, wenn man viele Menschen kennenlernt, die ähnliche Ziele mitbringen und mit denen man sich darüber austauschen kann, was uns zu Menschen macht. Es ist auch spannend, Menschen in ihren Biographien zu begleiten. Das "Sich-verändern" ist das Hauptthema in der Erwachsenenbildung, und dahinter steckt "lernen". Es geht mir um die Ziele, die Menschen haben und da entwickelt sich ein großartiges Potential. Ich sehe Erwachsenenbildung als gemeinsames Entwickeln und Ermächtigung. Das jedoch geschieht immer stärker dort, wo Erwachsenenbildung nicht ausdrücklich draufsteht.

Es klingt jetzt leicht zynisch, dass das Veränderungspotenzial dort liegt, wo Bildung nicht draufsteht.

Es ist nicht zynisch gemeint. Es ist für mich vielmehr eine sehr treffliche Beschreibung von Erwachsenenbildung: der Begriff "Bildung" kann und soll in den Hintergrund treten, denn dadurch werden die Lernenden, also die Akteurinnen und Akteure, zum Mittelpunkt - nichts anderes bewegt das lebenslange Lernen.

Welche Rolle spielt für dich das bifeb?

Für mich ging es immer um das gemeinsame Entwickeln und darum, Sicherheit und Raum dafür zu bieten. Ausbildungen und dadurch Anerkennung und Professionalisierung zu ermöglichen. Gemeinsam mit unseren Kooperationspartner_innen und Referent_innen beschreiten wir einen Weg, auf dem wir miteinander lernen und Veränderungen bewirken. Ein wesentlicher Auftrag des bifeb ist Selbstermächtigung, die Freiheit der Menschen im Sinne von Lernen in einer sich weiterentwickelnden Demokratie.

Worauf bist du in Bezug auf deine Arbeit am bifeb stolz?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage für mich. Ich bin eher gut in der "dunklen" Kritik und nicht so gut darin, mich behelligend in den Mittelpunkt zu rücken. Aber ja, ich bin stolz darauf, vor sechs Jahren die Leitungsfunktion übernommen zu haben und vieles auf einen guten Weg gebracht zu haben. Ich bin stolz auf die Programmentwicklung, auf unser Team, unsere Kooperationen und z.B. sehr avantgardistische künstlerische Projekte in meiner privaten Zeit. Wir haben Themen, die nach "Controlling" klingen, wie Qualitätsmanagement und Evaluation, in eine andere Richtung gewendet und nutzen sie als begleitende Instrumente um uns weiter zu entwickeln. Dekonstruieren und konstruieren, darum geht es für mich bei Bildung.

Gibt es etwas, das du deiner Nachfolgerin Frau Dr. Gerhild Schutti mitgeben möchtest?

Ich habe mir damals selbst einen Ratschlag gegeben: Sensibilität zu entwickeln, zu stärken und abzusichern. Beweglich zu bleiben und immer wieder neue Perspektiven einzunehmen. Ich wollte mich nie auf einen vorgebauten, zementierten Turm hinstellen lassen, wo dann ein Fernrohr steht, das einem mit einem Spielraum von 3 Grad nach links und 3 Grad nach rechts vorgibt, wo man hinschauen soll. Wenn ich so was sehe, drehe ich mich um 180 Grad und schau in die andere Richtung. Und wenn dort nur eine Feuermauer ist, dann schaue ich mir diese Feuermauer an, erkenne Strukturen, Risse und erfreue mich an einem Pflänzchen, das sich dort durch den Beton seinen Weg bricht.

Wo glaubst du entstehen zurzeit so Brüche in der Erwachsenenbildung, wo etwas Neues entstehen kann?

Ich glaube, dass die Erwachsenenbildung die Regionen und deren Akteur_innen viel mehr im Blick haben sollte. Das könnte Europa zusehend stärker machen und würde vielen Themenlösungen, wie zum Beispiel Umwelt, Einwanderungen und Integration etc. in die Hände spielen.

Wo ist Kritik notwendig? Was hat deiner Meinung nach mehr Beachtung verdient?

Kritik ist für mich immer mit dem notwendigen Instrument des Zweifelns verknüpft. Zentral sind für mich Kritikfähigkeit und die Möglichkeit, Fehler zu machen. Gebt den Menschen die Chance, aus ihren Fehlern zu lernen. Es geht mir darum innezuhalten, sich zurückzunehmen, Konsequenzen zu reflektieren, nicht sofort Entscheidungen treffen zu müssen. In der Erwachsenenbildung, am bifeb, in diesen Räumen der Aus- und Weiterbildung, gibt es diese Freiräume, sie müssen nur genutzt werden.

Wie wirst du deinen Ruhestand gestalten?

Erst heute am Weg in die Arbeit habe ich mir gedacht, dass ich in einer sehr ähnlichen Situation bin wie 1990. Ich habe damals mit Mexiko und meiner Funktion dort in den Unis eine mir sehr vertraute und sehr geliebte Welt verlassen. Ich freue mich jedoch darauf, mich bestimmten Themen wieder anzunähern: die Weiterführung der Exilforschung, die Beschäftigung mit Zeitgeschichte und Kulturgeschichte. Darin sehe ich meine Zukunft – mit dem Sichtbarmachen von Themen, mich zu begeistern, und diese Begeisterung weiterzugeben.

Vielen Dank und alles Gute!

 
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