Beratungsziele & Wirksamkeit von Bildungsberatung: Stimmen aus der Praxis

02.03.2018, Text: Marlene Aichholzer-Pahr, Josipa Eis, Andrea Hintermayer, Cornelia Passer, Ursula Rieder-Feldner. Beitrag koordiniert von Franziska Haydn und Mira Nausner, Redaktion: Mira Nausner, Initiative Bildungsberatung - ÖSB Studien & Beratung
Wann ist Beratung wirksam? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch BeraterInnen in ihrer täglichen Arbeit. Bei ihnen haben wir deshalb dazu genauer nachgefragt.
Foto: (C) iStockphoto.com/tkaccuk
Wann ist Beratung wirksam?
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Bei welchen Fällen wurde Beratung von den BeraterInnen als sehr wirksam empfunden? Gibt es, auf der anderen Seite, auch Beispiele für weniger optimal verlaufene Beratungskontakte – Fälle, bei denen die angebotene Beratung von BeraterInnen als unwirksam eingeschätzt wird? Und wie kann mit Situationen umgegangen werden, in denen die individuellen Zielsetzungen von Ratsuchenden und jene der BMB/ESF-geförderten Bildungsberatung nicht so einfach vereinbart werden können? Fünf Beraterinnen aus vier Bundesländern berichten von ihren Erfahrungen aus der Praxis.

 

In welchen Situationen haben Sie Ihre Beratung als besonders wirksam erlebt? Schildern Sie doch einen solchen Kontakt.

Marlene Aichholzer-Pahr: Wirksam ist Beratung dort, wo es Ratsuchenden im Beratungsprozess gelingt eine Haltungsänderung zu erreichen. Die Ausgangslage: Eine Frau mit beruflicher und privater Mehrfachbelastung meinte ihren gut bezahlten Job aufgeben zu müssen, weil sie sich beruflich unzufrieden und auch überlastet fühlte.
Anfänglich wurde über eine komplette berufliche Veränderung gesprochen. Im Beratungsprozess wurden Kompetenzen sichtbar gemacht, neue Interessensgebiete und Lernfelder erarbeitet. Nach und nach kristallisierte sich heraus, dass die berufliche Unzufriedenheit Resultat des persönlichen Leistungsanspruches und des Nichtsichtbarwerdens von Ergebnissen im momentanen Tätigkeitsfeld war. Auf der Ebene der Familie, in der Rolle der Mutter/Tochter/Schwester etc., zeigte sich die persönliche Leistungshaltung der Ratsuchenden im Nichtabgeben von diversen Tätigkeiten und Verpflichtungen und im Nichteinfordern von Unterstützung.

 

Die Ratsuchende erwirkte infolgedessen innerhalb des bestehenden Dienstverhältnisses ein neues Arbeitsfeld mit anderen, klarer definierbaren Zielsetzungen. Im Privatleben setzte sich die Ratsuchende ebenfalls Ziele und legte klar, wie sie künftig erkennen kann, dass ihr die Umsetzung gelungen ist. Langfristig wurde der Ratsuchenden ein Coaching empfohlen, um diese Haltungsänderung auch aufrechterhalten zu können.

 

Josipa Eis: Zu Beginn ist es mir wichtig, den Begriff „Wirksamkeit" näher zu erläutern. Wir BeraterInnen vom Netzwerkprojekt „Bildungsberatung in Wien" beschäftigen uns seit Jahren mit Fragen wie z. B. „Wann gilt eine Beratung als gelungen?" oder „Hat die Beratung meiner Kundin/meinem Kunden weiter geholfen?". Mit dem Wiener Modell der Selbstevaluierung wurde ein Instrument zum Zwecke der (Selbst)Reflexion des eigenen Handelns und der Rahmenbedingungen aller AkteurInnen im Netzwerk geschaffen. Für mich als Beraterin stehen die Anliegen und Bedürfnisse meiner KundInnen im Fokus. Ziel jeder Beratung ist es, dass meine KundInnen immer etwas „mitnehmen", sei es Konkretes, eine mögliche Option, (Neu)Orientierung, mögliche Pläne für nächste Handlungsschritte oder auch „nur" hilfreiche Informationen oder ein Weiterverweis. Daher stelle ich zum Schluss jedes Beratungsgespräches immer ganz bewusst die Frage: „Hat die Beratung Ihnen weitergeholfen?".

 

Vor etwa einem Monat bekam ich eine Onlineanfrage zu einem für mich absolut unbekannten angefragten Thema. Ich recherchierte sehr viel, holte mir Informationen aus dem Internet und führte zahlreiche Telefonate mit Fachleuten. Selbst wenn die Onlineberatung (wie jedes andere Format) viele Vorteile hat, ein großer Nachteil ist, dass wir nur vereinzelt Rückmeldung bekommen. Umso mehr freute ich mich über ein nettes und sehr positives Feedback von meinem Kunden, in dem er mir mitteilte, dass meine Beratung ihm sehr geholfen hat. Ich habe diese Beratung daher aus zweierlei Gründen als wirksam erlebt: Erstens wegen der Zufriedenheit und positiven Rückmeldung meines Kunden und zweitens weil ich mich mit einer neuen Thematik auseinandergesetzt und somit mein Beratungs-Know-how erweitert habe.

 

Andrea Hintermayer: Ich empfinde Beratung dann als besonders wirksam, wenn die KundInnen bereits mit einem konkreten Ziel zur Beratung kommen oder wenn es uns gemeinsam gelingt, ein konkretes Bildungs- und Berufsziel zu definieren. Erst dann ist es ja möglich, auch konkrete Handlungsschritte zu planen.
Ein Beispiel: Eine meiner KundInnen wollte sich bestmöglich auf das Aufnahmeverfahren für einen speziellen Job vorbereiten. Das heißt, wir haben gemeinsam herausgefunden, was die Aufnahmekriterien für den Job waren. Dazu haben wir eine Expertin für das Berufsfeld telefonisch interviewt. So konnten wir feststellen, welches Wissen und welche Fertigkeiten sich die Kundin noch aneignen sollte, um den Aufnahmetest bestehen zu können. Und in der Folge haben wir passende Vorbereitungskurse für das Aufnahmeverfahren recherchiert und ausgewählt.

 

Cornelia Passer & Ursula Rieder-Feldner: Zunächst stellt sich die Frage, wie Wirksamkeit definiert wird, welche Kriterien heran gezogen werden, um Wirksamkeit zu messen. Das Erleben von Wirksamkeit ist ein individueller Prozess einer/eines BeraterIn, die/der in einem institutionellen Rahmen verankert ist. So können die individuellen Kriterien anders angelegt sein als der institutionelle Rahmen dies vorgibt. Als besonders wirksam erleben wir unsere Beratungen dann, wenn wir einen Selbstreflexionsprozess bei den TeilnehmerInnen der Bildungsberatung anstoßen können. Die inneren und äußeren Rahmenbedingungen der TeilnehmerInnen spielen dabei eine wichtige Rolle.

 

Zu den hilfreichen Rahmenbedingungen zählen: die Offenheit sich auf Veränderungsprozesse einlassen zu können, die Freiwilligkeit an der Beratung teilzunehmen, Reflexionsfähigkeit und eine gemeinsame Sprache finden. Die persönlichen Ressourcen sind weitere Kriterien, die die Beratung beeinflussen: psychische und physische Verfassung, finanzielle und strukturelle Ressourcen wie z .B. Bildungsangebote, Arbeitsmarkt und Förderungen.

 

Ein wesentlicher Punkt ist, dass die TeilnehmerInnen Selbstwirksamkeit erleben. So kann ein/e TeilnehmerIn im Laufe der Beratung erkennen, dass der Veränderungswunsch in diesem Moment nicht erreichbar ist. Der Denkprozess, der in der Beratung angestoßen wird, kann jedoch von den TeilnehmerInnen als sehr bereichernd erlebt werden, da die Ergebnisse der Beratung zu neuen Erkenntnissen führen.

 

Erleben Sie Fälle in denen die individuellen/persönlichen Ziele der KundInnen, mit den Zielen in Konflikt treten, die die BMBWF/ESF-geförderte Bildungsberatung verfolgt? Können Sie einen solchen Fall schildern? Wie sind Sie mit diesem Spannungsverhältnis umgegangen?

Marlene Aichholzer-Pahr: Konflikte treten dort auf, wo Ratsuchenden von Kooperationspartnern die Bildungs-und Berufsberatung empfohlen wird, um Handlungsoptionen zu entwickeln, die Ratsuchenden aber nicht an Handlungsoptionen interessiert sind. Sie haben für sich andere Zielsetzungen gewählt, beispielsweise die Feststellung der Behinderung und den anschließenden Rehageldbezug.

 

Es gilt einerseits diese persönlichen Zielsetzungen in der Beratung zu berücksichtigen, aber auch auf den unsicheren Ausgang des Verfahrens hinzuweisen. Hier geht es um klare Angebote für den Zeitpunkt, wo der/die Ratsuchende von sich aus Handlungsoptionen erarbeiten möchte.

 

Josipa Eis: Menschen, die sich beruflich neu umorientieren müssen, wie die Personengruppe 50+, WiedereinsteigerInnen nach der Karenz, chronisch Kranke, Bildungsbenachteiligte, Niedrigqualifizierte, dequalifizierte Personen und Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen – sie alle haben mit vielen Hürden zu kämpfen um zu ihrem Ziel zu kommen. Neulich war eine Frau bei mir in der Beratung, die aufgrund einer Krankheit ihren Job verloren hat. Nebst Krankheit kam noch erschwerend dazu, dass sie sehr schlechte Deutschkenntnisse hatte und zusätzlich unter einer Lernschwäche leidet. Ich habe ihr viel Raum und Zeit zum Erzählen gegeben und vorwiegend zugehört. Letztendlich ist es mir gelungen, sie davon zu überzeugen, dass der erste Schritt für eine Veränderung die Perfektionierung der Deutschkenntnisse sein muss. Ich recherchierte nach einem passenden Deutschkurs und bot ihr an, mich jederzeit wieder zu kontaktieren.

 

Cornelia Passer & Ursula Rieder-Feldner: Es handelt sich hierbei um therapeutische Anliegen, Rechtsfragen u. a. zu Arbeitsrecht, Gewerberecht aber auch Familienrecht, in Fällen von erforderlicher intensiverer Begleitung (Casemanagement), Begleitung bei Jobsuche oder Jobvermittlung. Werden in der Beratung diese Anliegen genannt bzw. sichtbar, so nehmen wir unsere Schnittstellenfunktion wahr, analysieren das Anliegen, zeigen die nächsten Schritte auf und verweisen an die entsprechenden Institutionen.
TeilnehmerIn, selbstständig tätig, möchte sich beruflich verändern und strebt ein fixes Arbeitsverhältnis an, verheiratet, zwei Kinder; im Laufe der Beratung wird sichtbar, dass als erste Schritt eine Lebens- und Sozialberatung und Rechtsberatung notwendig wird, um die familiäre Situation zu klären. Verweis auf Frauenorganisation um ihre persönliche Situation zu klären: Rechtsberatung, psychosoziale Beratung; nach einem halben Jahr dann schließlich Unterstützung bei der beruflichen Neuorientierung im Rahmen der Bildungsberatung.

 

Gibt es Fälle/Situationen, in denen Sie sich als unwirksam empfinden? Welche sind das und wie handeln Sie hier?

Marlene Aichholzer-Pahr: Unwirksam empfinde ich die Beratung dort, wo Ratsuchende nach mehreren Jahren Pension/Rehageldbezug und anschließender Langzeitarbeitslosigkeit wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten. Die Motivation und das Bemühen sind da und doch tragen sie mit sich anscheinend ein unsichtbares Schild „UNVERMITTELBAR" herum. Eine schwierige Ausgangslage vor allem bei Personen, die noch jung sind.

 

Josipa Eis: Das sind jene Situationen, wo ziemlich schnell klar ist, dass das Thema bzw. Anliegen und dementsprechend deren Lösung außerhalb des Kompetenzbereiches einer/eines Bildungsberaterin/Bildungsberaters liegen. In diesen Situationen versuche ich auf dafür zuständige Organisationen/Stellen und ExpertInnen weiterzuverweisen, die vermutlich Hilfestellung geben können.

 

Andrea Hintermayer: Selbstverständlich gibt es auch Fälle, bei denen ich als Beraterin den Eindruck hatte, dass die Beratung nicht viel gebracht hat. Oft liegt das dann aber an der Art oder Intensivität der Kundenmotivation oder an der fehlenden Nachvollziehbarkeit der Handlungsschritte, die die KundInnen nach der Beratung setzen. Was machen sie mit den Beratungsinhalten? Berücksichtigen sie die vermittelten Informationen tatsächlich bei der Wahl des Bildungs- und Berufsweges?

 

Cornelia Passer & Ursula Rieder-Feldner: Zunächst haben wir uns die Frage gestellt, was bedeutet für uns im Beratungskontext „sich unwirksam empfinden". Sich selbst als unwirksam empfinden enthält die Grundannahme, dass wir BeraterInnen die Verantwortung dafür übernehmen, dass das Gegenüber die nächsten Schritte geht. Als BeraterInnen stellen wir im Rahmen der Bildungsberatung Zeit, Methoden, Wissen und unsere Empathie/Wertschätzung den TeilnehmerInnen zur Verfügung. Die TeilnehmerInnen haben das Recht sich das mit zu nehmen, was sie in diesem Moment im Stande sind für ihre Lebenssituationen mitzunehmen.

 

Trotz dieser Grundannahme gibt es in Beratungskontexten immer wieder Situationen, in denen man sich als BeraterIn im ersten Moment als unwirksam wahrnehmen kann. Dies trifft u. a. dann zu, wenn für die Anliegen und die Erwartungen der TeilnehmerInnen keine oder unzufriedenstellende Lösungen in Aussicht sind. Zum Beispiel durch: fehlende Voraussetzungen und Lösungsmöglichkeiten auf Grund des regionalen Arbeitsmarktes, eingeschränkte finanzielle Ressourcen oder fehlende Bildungsniveaus oder fehlende Bereitschaft, sich auf den Beratungsprozess einzulassen.

 

Um diese Beratungssituationen als BeraterIn für sich klären, reflektieren zu können, und die Qualität der Beratung zu gewährleisten, wurden in der bildungsinfo tirol regelmäßige Fallintervisionen eingeführt. Weiters sind Team- und Einzelsupervisionen sehr gute Instrumentarien um entsprechende Beratungssituationen zu beleuchten und die eigene Rolle als BeraterIn zu hinterfragen.

 

Was würden Sie sich wünschen, um Ihre Beratung noch wirksamer gestalten zu können?

Marlene Aichholzer-Pahr:

  • Ausbau von Onlinebildungsangeboten für strukturschwache Regionen, weil es in vielen Regionen schlicht an Bildungsangeboten fehlt
  • Stundenweise Arbeitsmöglichkeiten für RehageldbezieherInnen, um diesen Menschen zu ermöglichen langsam wieder ins Erwerbsleben zurückzufinden
  • Studienförderung unabhängig vom Alter der Studierenden

 

Josipa Eis:

  • Eine zentrale Koordinationsstelle für eine organisierte Kooperation/Vernetzung mit anderen AkteurInnen in der „Bildungslandschaft"
  • Vielfältigere und maßgeschneiderte Schulungsangebote und Qualifizierungsmaßnahmen – den Bedürfnissen unserer Zielgruppen entsprechend – die ich als Beraterin meinen KundInnen anbieten könnte

 

Andrea Hintermayer: Ein zeitversetztes Feedback-Verfahren, das Aufschluss darüber gibt, wie die KundInnen nach der Beratung agieren und warum sie so agieren, wäre sicherlich hilfreich.

 

Cornelia Passer & Ursula Rieder-Feldner: Bessere Rahmenbedingungen für die Veränderungswünsche der TeilnehmerInnen: in den Regionen ein „bunterer" Arbeitsmarkt und ein breiteres Bildungsangebot; breiteres Spektrum an Förderangeboten. Für Menschen mit vorübergehenden und dauerhaften Beeinträchtigungen mehr Strukturen und soziale Absicherung, die sie dabei unterstützen, wieder an der Erwerbstätigkeit teilzunehmen.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in Ausgabe 2/2017 des Fachmediums „Bildungsberatung im Fokus", die sich dem Thema Wirksamkeit der Bildungsberatung widmet.

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