Mit Hilfe von Kunst Vorurteile abbauen und Selbstermächtigung fördern

18.10.2022, Text: Christiane Kalantari und Elisabeth Kapeller, Kurator*innen der Ausstellung; Christine Bruckbauer, philomena+; Bettina Lauß, Basis.Kultur.Wien, Redaktion: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
In Wien lebende Afghaninnen antworten in einem Kunstprojekt auf ethnologische Schwarzweißfotos aus den 1950/60er Jahren mit bunten Selbstporträts und Tanz-, Garten- und Kochperformances.
Ein Mann, der Tee auf dem Boden trinkt (Schwarz-Weiss-Bild), eine Frau, die picknickt (Farb-Foto)
Die Ausstellung "Cultures of pleasure"
Montage: Alle Rechte vorbehalten, Max Klimburg, 1957 (links), Mozhgan Hossinzade, 2022 (rechts), Tee in Balkh (links), Picknick in Wien (rechts), https://philomena.plus/
Im Rahmen einer Ausstellung, antworten in Wien lebende Afghaninnen auf ethnologische Schwarzweißfotos aus den 1950/60er mit bunten Selbstporträts sowie Tanz-, Garten- und Kochperformances. Die Ausstellung fördert damit, dass Vorurteile abgebaut werden, macht die Frauen* in der Öffentlichkeit sichtbar und unterstützt ihre Selbstermächtigung.

Afghanistans vielfältige Kultur der Lebensfreude vermitteln

Das Ausstellungsprojekt "Cultures of pleasure" im philomena+ Kunstraum am Praterstern eröffnete von 15. August bis 3. September neue Blickwinkel auf Afghanistan, indem es seine vielfältige Kultur der Lebensfreude in der Vergangenheit und in der afghanischen Diaspora in Wien darstellte:

 

Ausgangspunkt der Ausstellung sind die Fotoaufnahmen des Afghanistan-Wissenschaftlers und Fotografen Max Klimburg, der ab den 50er Jahren noch analog besondere Eindrücke einfing. Er richtete seinen Blick vor allem auf Alltag und Unterhaltung, auf das genuss- und sinnesfrohe, sehr spielfreudige Afghanistan der Vorkriegszeit. Die Schwarzweißfotos illustrieren Menschen beim spontanen Tanzen und Musizieren, beim Zuhören von Geschichtenerzählern, beim Besuch in Teehäusern oder von Zirkussen.

 

Diesen Fotos in denen sich fast ausschließlich Männer finden, stellen heute engagierte Frauen* und Friedensaktivistinnen aus Afghanistan eigene Bilder von Aspekten der Lebenslust gegenüber. Die Aufnahmen zeigen sie in bunten Kleidern im öffentlichen Raum Wiens. Bei diversen Veranstaltungen bieten die Frauen* zusätzlich einen Querschnitt durch die afghanische Kulinarik-, Garten- und Tanzkunst.

Sichtbar werden

Durch pauschale Verurteilungen einzelner Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer ethnischer Herkunft werden in Österreich Menschen diskriminiert und diskreditiert. Das führt in den Augen der afghanischen Frauen* in Wien zur Unterdrückung und zur Anfeindung der afghanischen Diaspora. Dem soll das Kunstprojekt entgegenwirken. Die Frauen* erstellen Fotoserien von sich in ihrer traditionellen Kleidung.

Dies soll sie in der Öffentlichkeit sichtbar machen und Offenheit für Menschen aus Afghanistan erzeugen sowie Einblicke in die Kultur geben.

Selbstermächtigung im Kreativen

Geflüchtete Frauen* leben in Österreich vermehrt unter der Last der Mehrfachdiskriminierung. Positive Effekte, die Frauen* durch das Mitgestalten an der Fotoausstellung erleben, wirken aktiv den Mechanismen von Diskriminierung und Unterdrückung entgegen. Sie präsentieren sich somit mit ihren Sichtweisen als unabhängige Frauen*.

Mit den von Künstler*innen gestalteten Ideen und daraus resultierenden Bildern nehmen die Frauen* sich das Recht von negativen Zuschreibungen abzugehen und ein positives Selbstbild in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Die Frauen* der afghanischen Diaspora knüpften an die Forschungsarbeit von Max Klimburg an und beteiligten sich an dem Ausstellungsprojekt zudem mit eigener Foto-, Garten-, Kulinarik- und Tanzperformance, in die ein breites Publikum mit einbezogen wird.

 

Dieser Zugang unterstützt ein diskriminierungs- und herrschaftsfreies Bild afghanischer Frauen*. Zum Beispiel zeigen sich die Frauen* in traditionell bunter Kleidung, die in starkem Kontrast zur schwarzen Burka steht, die auch in keiner afghanischen Tradition steht. Die bunte traditionelle Kleidung ist ein Zeichen der nationalen Identität und für die Frauen* der Diaspora ein Zeichen der Emanzipation geworden.

Ein Land neu interpretieren

Durch das gemeinsame Tun der Projektteilnehmer*innen entsteht ein positives Erleben Afghanistans und dessen Menschen. Die Ausstellung unterstützt Besucher*innen zudem dabei, die afghanische Geschichte und das facettenreiche Leben der Bevölkerung neu zu interpretieren. Zusätzlich können Besucher*innen Fotografien der 1960iger Jahre sehen, auf denen zu sehen ist, wie Frauen* am gesellschaftlichen Leben und am Bildungssystem teilnehmen und verschiedenen Berufen nachgehen. Denn damals waren viele Frauen* in Afghanistan Anwält*innen, Ärzt*innen Journalist*innen, Sportler*innen, Sänger*innen oder Dichter*innen und standen in der Öffentlichkeit. Gemeinsam haben sie um ihre Rechte gekämpft und zur Sicherstellung von Frieden, Sicherheit, Demokratie und Redefreiheit beigetragen.

Über das Projekt

Die Ausstellung "Cultures of Pleasure: Praktiken, Prohibition und Subversion in Afghanistan" 1957-2022 fand zwischen 15. August und 3. September 2020 in Wien statt und ist eine Produktion von philomena+. Philomena+ fokussiert auf zeitgenössische Kunstpraktiken in Westasien und Nordafrika und bietet eine Plattform, wo Kreative, Intellektuelle, Forscher*innen und Mitglieder der Zivilgesellschaft in Dialog treten und Kooperationen initiiert werden.

Projekte von philomena+ setzen sich mit sozialpolitischen Themen auseinander. Sie sind kollaborativ und ortsspezifisch konzipiert und zielen darauf ab eine breite Öffentlichkeit mit einzubinden.

 

Die Projektteilnehmer*innen: Nasgol Afshar, Natalia Brezwan, Zarghona Hossaini, Mozhgan Hossinzade, Razia Hossinzade, Masooma Hussaini, Christiane Kalantari, Elisabeth Kapeller, Max Klimburg, Tamana Niazi, Alexandra Pruscha, Zainab Qurbani, Shamla Safi, Sewida Eyssa Zada. Die Kurator*innen sind Christiane Kalantari und Elisabeth Kapeller.

Die Ausstellung "Cultures of Pleasure" wandert gerne weiter.

 

 

Über die Autor*innen: Christiane Kalantari ist Kunsthistorikerin und Forscherin am Institut für Sozialanthropologie an der Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW, Wien). Sie ist die Initiatorin der Ausstellung Cultures of Pleasure: Praktiken, Prohibition und Subversion in Afghanistan 1957-2022. Elisabeth Kapeller gründete mit acht Frauen* WILPF Austria, eine Sektion der ältesten Frauen*- und Friedensliga weltweit. Ihr feministischer Zugang zur Kunst ist auch ausschlaggebend dafür, Frauen mit Migrationshintergrund zu ermuntern, deren Anliegen im öffentlichen Rahmen zu projizieren. Sie ist ebenfalls Kuratorin der Ausstellung. Christine Bruckbauer ist Mitbegründerin und Leiterin des Programms für visuelle Kunst bei philomena+, das ein Mitgliedsverein im Dachverband von Basis.Kultur.Wien ist. Bettina Lauß ist Projektleiterin für den Bereich Mitgliedsvereine bei Basis.Kultur.Wien – Wiener Volksbildungswerk.

Weitere Informationen:
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