Menschen mit Möglichkeiten der Mitgestaltung vertraut machen
Jennifer Friedl: Wie ist Ihr Eindruck vom generellen politischen Interesse der Menschen und welchen Handlungsbedarf leiten Sie davon ab?
Gerhard Bisovsky: Meiner Einschätzung nach ist generell ein durchaus großes Interesse an Politik vorhanden. Die für mich relevante Frage ist, wer nimmt die Möglichkeiten zur Mitgestaltung heute wahr und wer nicht. Viele Menschen überlegen sich genau, warum sie welcher Partei bei Wahlen ihre Stimme geben. Doch Demokratie erschöpft sich nicht in der Teilnahme an Wahlen. Wir haben viele Möglichkeiten der Mitgestaltung am politischen Geschehen. Hier fällt mir auf, dass es Menschen gibt, die der Meinung sind, dass sie ohnedies nichts bewirken können. Das ist aber ein Fehlschluss, denn wie wir an den verschiedensten Initiativen sehen, sind Erfolge möglich. Daher kann ich der Aussage "Leute wie ich haben keinen Einfluss darauf, was die Regierung macht" auch nichts abgewinnen. Aufgabe der Bildung ist es, alle Menschen mit den Möglichkeiten der Mitgestaltung vertraut zu machen. Dazu ist Wissen eine von mehreren Grundvoraussetzungen.
Die Europäische Wertestudie zeigt hohe Werte für Demokratie. Sie zeigt aber auch, dass die Akzeptanz während der Wirtschafts- und Finanzkrise abgenommen hat. Die im November 2018 im Parlament vorgestellten ersten Ergebnisse des Demokratie Monitor Österreichs zeigen, dass Menschen, die ihre ökonomische Sicherheit als "sehr gut" einschätzten, mit 61% wesentlich häufiger angeben, dass die Demokratie im Land "eher lebendig" ist. Hingegen erleben Personen mit "sehr schlechter" ökonomischer Sicherheit dies nur mehr zu 25% und bereits ein Drittel von ihnen erlebt die Demokratie persönlich als "eher tot".
Die Aufgabe der Erwachsenenbildung sehe ich auch darin, Politik an sich nachvollziehbar, unterschiedliche Positionen verständlich zu machen und einen positiven Zugang zur Mitgestaltung zu vermitteln. Gleichzeitig geht es auch darum, die Kritikfähigkeit zu fördern und ein Thema aus verschiedenen Perspektiven betrachten zu können. Multiperspektivität und Reflexionsfähigkeit sehe ich als elementar für die Mitgestaltung und Veränderungen in Politik und Gesellschaft an. Denn es zählt nicht die Durchsetzung der Mehrheitsinteressen oder gar eines individuellen Interesses, sondern Demokratie bedeutet immer auch das Einbeziehen vieler Interessen, auch und gerade die von Minderheiten.
Inwiefern kann Ihrer Meinung nach politische Weiterbildung Einfluss auf die Demokratiestärkung nehmen?
Demokratie muss immer wieder aufs Neue gelernt werden. Demokratie ist nicht nur eine Regierungsform, sondern sie ist auch eine Lebensform, nach der beispielsweise das Zusammenleben in Familien funktioniert. In der Bildung haben wir dazu die unterschiedlichsten Angebote, die weit über das hinausgehen, was wir üblicherweise als politische Bildung bezeichnen. Mit dem Demokratie-MOOC stellen wir beispielsweise Demokratie auch in den unterschiedlichsten Kontexten dar, zum Beispiel mit den Medien, der Wirtschaft, aber auch im historischen Zusammenhang. Im Grunde genommen stellt dieser Online-Kurs eine gesellschaftspolitische Bildung dar, die gut in das Gesamtangebot der Erwachsenenbildung passt. Wir wollen das Selbstverständnis der BürgerInnen als aktiver, gestaltender und handelnder Teil der Gesellschaft betonen und stärken. Dass Erwachsenenbildung wirkt, sehen wir in der praktischen Arbeit, in Befragungen und in wissenschaftlichen Studien. Teilnehmende in der Erwachsenenbildung sind offen gegenüber anderen Menschen und unterstützen das Miteinander. Wir können daher zu Recht sagen, dass wir mit unseren Bildungsangeboten das Gemeinsame vor das Trennende stellen.
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