"Dieses Jahrhundert wird das Jahrhundert der lebensbegleitenden Bildung"

23.11.2017, Text: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Elke Gruber ist Preisträgerin des Österreichischen Staatspreises für Erwachsenenbildung 2017 - Die Wissenschaftlerin im Interview.
Die Wissenschaftlerin Elke Gruber erhielt den Staatspreis für Erwachsenenbildung in der Kategorie "Wissenschaft und Forschung 2017 - Gesamtwerk".
Foto: Alle Rechte vorbehalten, Bildungsministerium/APA-Fotoservice/Martin Lusser, https://www.apa-fotoservice.at/galerie/11158
Lucia Paar: Du wurdest letzte Woche mit dem Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung in der Kategorie "Wissenschaft - Gesamtwerk" ausgezeichnet - Was bedeutet die Auszeichnung für dich und deine Arbeit?

 

Elke Gruber: Erstmal war es für mich eine Überraschung. Ich habe mich natürlich sehr darüber gefreut. So ein Preis ist natürlich immer eine Anerkennung für die geleistete Arbeit und das Engagement, da fühle ich mich wirklich geehrt. Der Staatspreis ist ja eine wichtige Auszeichnung in der Erwachsenenbildung.

 

Ekkehard Nuissl meinte in seiner Ansprache bei der Preisverleihung, dass Wissenschaft schwer zu bepreisen sei und nannte verschiedene Kriterien, die zur Entscheidungsfindung für die Preisvergabe beigetragen haben. Was ist dir in deiner Arbeit wichtig?

 

Wichtig ist mir erstens, dass ich aktuelle Forschungsthemen der Erwachsenenbildung, der Weiterbildung und der beruflichen Bildung aufgreife. Da habe ich immer den Anspruch gehabt, dass es Themen sind, die nicht nur für eine kleine wissenschaftliche Community interessant sind, sondern auch breite Relevanz haben.

 

Der zweite Punkt ist: Mir ist immer wichtig, auch eine gewisse Internationalität zu verfolgen. Viele meiner Projekte sind zwar nicht unbedingt direkt international ausgerichtet, trotzdem versuche ich immer diesen internationalen oder europäischen Diskurs mitzunehmen. Gerade bei den Themen Qualität und Professionalisierung der Erwachsenenbildung ist das relevant. Das kann man wirklich nicht mehr nur regional oder national sehen.

 

Auch wichtig ist der Bezug zur Praxis. Ich denke, dass die Praxis ein wichtiger Resonanzboden ist. Wissenschaft und Forschung sollten sich dabei aber nicht immer nur von der Praxis leiten lassen. Es muss sozusagen eine Art dialektisches Wechselverhältnis zwischen Wissenschaft/Forschung und Praxis geben.

 

Du bist selbst über einen wichtigen Meilenstein der Erwachsenenbildung, nämlich über den 2. Bildungsweg zu deinem Studium gekommen, das ein wichtiger Grundstein für deine heutige Arbeit war. Wie siehst du diesen Weg selbst?

 

Es war weniger freiwillig, warum ich damals die Matura im 2. Bildungsweg gemacht habe. Ich komme aus der ehemaligen DDR. Dort hat es ein sehr zugangsbeschränktes Bildungssystem für höhere Bildung gegeben. Mein Vater war selbstständig und für Kinder aus selbstständigen Elternhäusern war die Matura nicht vorgesehen. Der direkte Weg war also nicht möglich. Da bin ich den Weg über die Berufsausbildung gegangen, habe eine Fachschule für Gesundheits- und Krankenpflege besucht und dann die Matura in der VHS gemacht. Das war nicht einfach. Entweder bin ich zum Nachtdienst gegangen oder ich bin gerade vom Frühdienst gekommen. Da bin ich um 5:00 aufgestanden und dann hatte ich noch abends bis 22.00 Unterricht. Lustig war das nicht, aber mein Drang nach Wissen - das klingt jetzt ein bisschen pathetisch - aber der hat das ganze irgendwie schon motiviert. Und rückblickend gesehen war es für meinen aktuellen Arbeitsbereich fast ein Segen. Ich habe berufliche Kompetenzen erworben, die durchaus eine Art Resonanzboden für meine Forschungen und für meinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang gewesen sind.

 

Du hast viele Projekte in der Erwachsenenbildungs-Wissenschaft begleitet und auch Entwicklungen mitgestaltet. Was wird noch dazukommen? Welche Pläne und Ziele hast du?

 

Es gibt vor allem zwei Bereiche, die ich gerne fortführen möchte. Das ist zum einen, weiter am Diskurs der Professionalisierung in der Erwachsenenbildung dran zu bleiben. Wir machen gerade mit Peter Schlögel das Projekt "wba innovativ", wo es darum geht, dass wir uns Evidenzen von Nachweisformen und Prozessen in der Weiterbildungsakademie (wba) anschauen. Wie kann man Anerkennung wissenschaftlich gestützt sehen? Wie evident können solche Anerkennungsmodi in der Erwachsenenbildung sein?
Dann würde ich gerne auch am Thema Qualität in der Erwachsenenbildung weiterarbeiten. Da wäre es interessant so eine Art "Ö-Cert international" zu entwickeln, für Europa oder auch international. 

 

Und dann gibt es noch zwei Bereiche, die mich schon lange umtreiben. Ich bin ja über die sogenannte "Aktion stellenloser Lehrer" in die Erwachsenenbildung eingestiegen, Mitte der 80er Jahre. Ich beobachte in meinem Umfeld viele Personen, die aus dieser Schiene kommen und die jetzt in der Erwachsenenbildung zum Teil Führungspositionen haben, zum Teil an wichtigen Schaltstellen sitzen. Viele haben die Professionalisierung der Erwachsenenbildung vorangebracht. Mich würde interessieren, wie diese Personen diese Professionalisierung ad personam unterstützt haben.

 

Außerdem möchte ich mich wieder stärker dem Diskurs in der beruflichen Erwachsenenbildung/Weiterbildung widmen. Ich komme ja eigentlich aus der Berufspädagogik, in den letzten Jahren habe ich mich stark der Erwachsenenbildung/Weiterbildung zugewandt. Nun würde ich mich gerne wieder damit auseinandersetzen, wie sich die Berufswelt verändert und welche Bedeutung die Weiterbildung in diesem Zusammenhang hat.

 

Und wenn du nun in die Zukunft der Erwachsenenbildung schaust - Was glaubst du, womit wird oder muss sich das Feld zukünftig beschäftigen?

 

Meine These ist, dass dieses Jahrhundert das Jahrhundert der lebensbegleitenden Bildung, des lebenslangen Lernens wird - im Sinne dessen, dass man sich überlegt, wie man dieses Lernen über die gesamte Lebensspanne verteilt, organsiert, finanziert, verankert, Anerkennung schafft. Die Erwachsenenbildung ist quantitativ der größte Bildungsbereich Österreichs. Dafür hat sie noch wenig Anerkennung, monetäre Ausstattung und wissenschaftliche Fundierung. Ich denke, das ist sicher ein strategisches großes Ziel für die nächsten Jahre.

 

In diesem Zusammenhang wird auch relevant sein zu fragen, wie Lernen und Bildung methodisch und didaktisch stattfinden kann. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen, dass alles durch die Digitalisierung ad absurdum geführt wird. Meine Beobachtung ist, dass meist Dinge bestehen bleiben, die sich bewährt haben. Ich glaube aber auch, dass es eine ganze andere Durchdringung von digitalen Lernmöglichkeiten geben wird, von denen wir heute noch überhaupt keine Ahnung haben. Aus meiner Sicht sind diese aber in einem Gesamtzusammenhang menschlicher Lernaktivitäten zu sehen.

 

Was aber besonders wichtig sein wird, ist wieder eine viel stärkere kritische Auseinandersetzung mit dem, was in der Gesellschaft passiert. Die große Frage wird sein: Wie bewahren und entwickeln wir unsere Demokratie weiter? Denn wenn es so weitergeht wie jetzt, dann steuert es in eine Richtung eines mehr oder weniger autoritären Systems. Das Thema der Demokratie steht also noch vor allen anderen Fragen: Wie organisiert man ein demokratisches Miteinander, wie lernt man für und in dieser Demokratie. Diese kritische Auseinandersetzung sehe ich als dringlichste Aufgabe.

 

Und wenn du in diesem Zusammenhang an deine Lehre denkst: Was möchtest du den Studierenden der Erwachsenenbildung mit auf den Weg geben?

 

Die Erwachsenenbildung ist zum einen ein Wissenschaftsgebiet und zum anderen ein Handlungsfeld. Die Wissenschaft wird oft vergessen. Selbst wenn die Erwachsenenpädagogik eine junge Wissenschaft ist, ist sie dennoch ein notwendiger Wissenschaftszweig. Ich versuche den Studierenden näher zu bringen, dass es Lust sein kann, sich mit Wissenschaft zu beschäftigen und dass Wissenschaft nicht irgendetwas Abgehobenes, außersphärisch Schwebendes ist.

 

Was ich in den letzten Jahren außerdem merke, ist, dass es eine Engführung in der Methodik der Wissenschaft gibt. Da bin ich selbst nicht unbeteiligt, sage ich selbstkritisch dazu. Man setzt stark auf empirische Studien, auf Evidenzbasierung. Wir sind derzeit sehr von Methodenzwängen im Sinne der quantitativen Bildungsforschung gefangen. Die sind natürlich sehr notwendig, um sich als Wissenschaft behaupten zu können. Ich habe aber den Eindruck, andere Methoden sind verloren gegangen, weil sie immer mehr in Frage gestellt worden sind. Es gibt aber durchaus Felder, die mit kreativen Methoden beforscht und beobachtet werden können. Da würde ich mir mehr Methodenvielfalt wünschen und dass auch mehr mit künstlerischen Methoden gearbeitet wird.

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