Blick ins Buch: Kritisch sind wir hoffentlich alle
Bildungsforscher Erich Ribolits: Kritik ist nicht gleich Kritik
Das erste Großkapitel richtet sich auf die Rolle der "Bildung als Mittler zwischen Subjekt und Gesellschaft". Der Bildungswissenschaftler Werner Lenz erörtert die Entwicklung der Bildungsdebatte und diskutiert verschiedene Ansätze. Zum Beispiel wirkte in den 60er/70er Jahren verstärkt die Emanzipation auf die Bildungsdebatte ein. Aktuell gehe es vor allem um Wettbewerb und darum, die gelernten Kompetenzen auch "verwerten" zu können (z.B. für den Arbeitsmarkt zu nutzen). Für eine kritische Haltung sei es wichtig, sich selbst zu bilden. Auch wenn Bildungschancen nach wie vor "vererbt" werden, gehe es darum, auch eigenständige Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Universitätsprofessor für Erwachsenenbildung Ekkehard Nuissl grenzt in seinem Beitrag den Bildungsbegriff vom Leistungsbegriff ab und postuliert, dass Bildung im Vergleich zu Leistung nicht gemessen werden könne. In einem weiteren Beitrag hält Bildungsforscher Erich Ribolits fest, dass Kritik nicht gleich Kritik ist. Damit meint er, dass es zum einen kritische Ansätze gibt, die innerhalb eines gesellschaftlichen Systems geteilt werden. Zum anderen gebe es aber auch Kritik (und auf die komme es an), die das System selbst in den Fokus rückt und dessen Machtverhältnisse beleuchtet.
Direktor des Österreichischen Volkshochschularchivs appelliert für mehr Geschichte
Für einen stärkeren Fokus auf Geschichte in der Erwachsenenbildung plädiert Christian H. Stifter, Direktor des Österreichischen Volkshochschularchivs, im zweiten Großkapitel zur "Erwachsenenbildung als Berufs- und Handlungsfeld". Aktuelle Trends der praxisorientierten Erwachsenenbildung fokussieren vor allem Qualitätsmanagement und Lebenslanges Lernen und geben sich eher selten traditions- und geschichtsbewusst, so Stifter. Besonders in Bezug auf z.B. soziale oder politische Bedingungen des Forschungsfelds der Erwachsenenbildung könne die Beschäftigung mit Geschichte zu neuen Perspektiven und darüber hinaus zur Stärkung der Erwachsenenbildung beitragen.
BABE-Kollektivvertrag und Ö-Cert tragen zu Professionalisierung bei
Michael Sturm vom Berufsförderungsinstitut (BFI) geht auf die Entwicklung des BABE-Kollektivvertrags ein und schildert, wie die Arbeitsbedingungen von in der Erwachsenenbildung tätigen Personen durch Innovationen wie z.B. Einführung des Sabbatical oder der flexiblen Arbeitszeit optimiert werden konnten. Der Kollektivvertrag sei ein wichtiger Bestandteil im Professionalisierungsprozess der Erwachsenenbildung und sichere die Rechte der ArbeitnehmerInnen. Zusätzlich führt er zu mehr Gleichberechtigung, indem er die Wettbewerbsbedingungen unter verschiedenen Einrichtungen der Erwachsenenbildung vereinheitlicht, so Sturm.
Mit der Entstehungsgeschichte des Ö-Cert beschäftigt sich der Weiterbildungsforscher Dieter Gnahs. Hauptfunktion des Ö-Cert ist es, zur Entwicklung eines geordneten Systems in der österreichischen Erwachsenenbildung beizutragen, schreibt Gnahs. Ö-Cert trage außerdem dazu bei, dass Erwachsenenbildung als Teil des Bildungssystems eingegliedert wird. Des Weiteren fördert das Ö-Cert die Professionalisierung in der Erwachsenenbildung, indem es pädagogische Kompetenzen im Bereich der Leitung oder von MitarbeiterInnen fordert, so Gnahs.
Pädagogin Elisabeth Brugger: Reflexion ist bedeutend für vertiefte Lernprozesse
Das dritte Großkapitel des Sammelbandes rückt schließlich "(Bildungs-)Arbeit in gesellschaftlicher Perspektive" ins Zentrum. Pädagogin Elisabeth Brugger zeigt in einem Beitrag die Vielfalt von Lernkonzepten auf und betont die vertiefende Wirkung, die insbesondere Reflexion auf Weiterbildungsprozesse haben kann. Im Zuge von Lernprozessen könne Reflexion dazu beitragen, sich intensiv mit eigenen Interessen zu beschäftigen und die eigene Selbstbestimmung zu stärken.
Auf die Arbeit des Erwachsenenbildners Heinz Pichler habe die Bildungswissenschaftlerin Elke Gruber viel Einfluss gehabt, schreibt er. Er erläutert in einem Beitrag, dass kritisches Denken für eine aufgeklärte Erwachsenenbildung von großer Bedeutung ist. Gerade in Zeiten, in denen Bildung stärker als wirtschaftliches denn als öffentliches Gut verstanden wird, sei dies wichtig. Mit dem kritischen Aspekt könne vor allem die Wirkung sozialer Mechanismen beleuchtet und Handlungsmöglichkeiten abgeleitet werden, so der Autor.
Fazit
Das Sammelbuch beinhaltet eine breite Darstellung der Bedeutung von Kritik für die Erwachsenenbildung. Die theoretisch, aber auch praktisch unterschiedlichen Zugänge der AutorInnen zeigen, welche vielschichtigen und teils auch gegensätzlichen Elemente sich unter dem Kritikbegriff vereinen und wie dadurch Herausforderungen für die Erwachsenenbildung entstehen. Die Erwachsenenbildung wird in aktuelle, gesellschaftliche, politische, aber auch ökonomische Bedingungen eingebettet beleuchtet. Das Werk gibt Auskunft darüber, wie sich das Feld der Erwachsenenbildung schrittweise professionalisiert und vereinheitlicht, aber dennoch eine unverkennbare Vielseitigkeit aufweist und verschiedenen Perspektiven Platz einräumt.
Kastner, Monika/Lenz, Werner/Schlögl, Peter (2019): Kritisch sind wir hoffentlich alle. Erwachsenenbildung im Spannungsfeld von Subjekt, Arbeit und Gesellschaft. Wien: Erhard Löcker. 325 Seiten. Preis 24,80 €. ISBN 978-3-85409-994-9.
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