Der Zoom-Müdigkeit mit Leichtigkeit begegnen
Digitaler Stress als Normalität?
Die Belastungsfaktoren der digitalen Arbeit wurden schon 2019 benannt und im Rahmen des Projekts „PräDiTec – Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien" kürzlich bestätigt. Sie bestehen zum Beispiel in Leistungsüberwachung, Verletzungen der Privatsphäre, Unterbrechungen, Überflutung und technischen Fehlfunktionen.
Nun ist infolge der Pandemie-Maßnahmen die Online-Arbeit zu einer dominanten Arbeitsform geworden, und Online-Veranstaltungen bestimmen auch die Weiterbildungslandschaft. Workshop und Tagungen waren in den letzten Monaten fast nur vom PC aus zu besuchen. In dieser Situation wird mit dem Begriff „Zoom-Fatigue" ein neues Phänomen beschrieben, das die spezifische Überlastung durch zu viele Videokonferenzen benennt. Einer kürzlich veröffentlichten Studie der Universität Stanford zufolge sind Frauen davon häufiger betroffen als Männer.
Zoom-Fatigue: ein Phänomen und seine Ursachen
Zoom-Fatigue leitet sich vom Videokonferenzsystem „Zoom" und dem französischen Wort für „Müdigkeit" ab und meint die spezifische Erschöpfung durch zu viele Videokonferenzen (mit einer beliebigen Technologie). Videokonferenzen fordern Gehirn und Psyche auf ganz spezielle Weise.
Wichtige soziale Hinweisreize werden online nicht vollständig vermittelt. Eine besondere Herausforderung ist dabei der fehlende Blickkontakt. Es bedeutet eine laufende Anstrengung, dennoch Mimik und Gestik der Anwesenden zu entschlüsseln, fehlende Informationen zu ersetzen und gegenseitig Vertrauen aufzubauen. Außerdem kostet es die Beteiligten Energie, ständig ihr eigenes Bild zu sehen. Viele fühlen sich beobachtet, während sie effizient zusammenarbeiten sollen. Der Berliner Arzt und Psychotherapeut Dirk Stemper meint weiters, dass die vergrößerten, nahe wahrgenommenen Gesichter in der „Sprecheransicht" auch einen alten „Kampf-oder-Flucht"-Reflex auslösen und bei weitem nicht immer angenehm erlebt werden.
Dazu kommen manchmal technische Störungen oder zusätzliche Anforderungen – wie etwa zeitgleich zum Live-Meeting ein Tool im Browser zu bedienen. Dennoch werden in Online-Meetings häufiger nebenbei andere Aufgaben bearbeitet als in Präsenz.
Finden die Live-Online-Meetings im raschen Wechsel statt, fallen oft auch die gewohnten Wegzeiten und Übergänge weg. Und vielen Menschen fehlt auch der Raum für private Nebengespräche, besonders wenn sie den Privatchat nicht nutzen. Manchmal löst auch der mit Videokonferenzen verbundene Einblick in das eigene Zuhause soziale Ängste aus. Und schließlich fallen diese vielen Videokonferenzen in eine Zeit, die generell viele Menschen als mühsam empfinden.
Was tun? Bildungsformate entlastend planen
Zoom-Fatigue betrifft auch viele Bildungsveranstaltungen, die derzeit vorwiegend online stattfinden. ErwachsenenbildnerInnen, die diesem Phänomen vorbeugen möchten, sollten bereits in der Angebots- und Veranstaltungsplanung auf die Entlastung der Live-Meetings achten. Dabei hilft beispielsweise das Flipped-Classroom-Design, bei dem sich die TeilnehmerInnen mit Texten, Videos oder Aufgaben schon vor dem Live-Meeting vorbereiten. Die gemeinsame Online-Zeit kann dann kürzer ausfallen.
Das erfordert Mut zum asynchronen Arbeiten – beispielsweise, indem KursleiterInnen einen Vortrag aufnehmen und per Link zur Verfügung stellen, statt Inhalte live zu vermitteln. Auch viele Arbeitsaufträge, Reflexionen und Lernschritte können die TeilnehmerInnen in ihrer Eigenzeit zuhause absolvieren – selbstgesteuert und ohne den Druck der gleichzeitigen Präsenz.
Wer in der Planung die Möglichkeit dazu hat, kann Live-Online-Formate auch zeitlich strecken, also mehrere kürzere Einheiten statt einer geblockten Einheit anbieten und die Live-Online-Zeiten damit auf mehrere Tage bzw. Wochen verteilen.
Live-Online-Didaktik: Entlastung mitdenken
Für die Gestaltung der gemeinsamen Live-Online-Zeit gibt es einige nützliche Grundsätze. Weniger ist oft mehr – das gilt etwa für digitale Werkzeuge, bei denen man sich auf einige gut funktionierende Tools beschränken sollte.
Gerade online gilt es, häufig die Sozialformen zu wechseln (also nicht immer im Plenum zu arbeiten) und Räume für gemeinsamen Austausch zu schaffen. Eine Möglichkeit dazu stellen Gruppenräume für Kleingruppen dar. Videokonferenzsysteme wie Zoom bieten mittlerweile die Möglichkeit, dass Teilnehmende selbstständig die Gruppenräumen betreten, verlassen und auch wechseln. Kurze spielerische Elemente können zusätzlich Leichtigkeit ins Meeting bringen.
Bei längeren Online-Schulungen sollten TrainerInnen auch Phasen der Einzelarbeit einplanen, in denen die TeilnehmerInnen sich auf sich und die zu bearbeitenden Inhalte konzentrieren können. So können z.B. Ton und Bild für eine bestimmte Zeit weggeschaltet werden oder sich die TeilnehmerInnen ganz vom PC entfernen.
Regelmäßige Pausen (idealerweise nach 50 Minuten ca. 10 Minuten Pause) helfen dabei, das Energieniveau hochzuhalten. Wer möchte, kann außerdem gemeinsame Bewegungsübungen anregen oder Musik einspielen.
Digitale Selbstfürsorge: Online-Zeiten bewusst planen
Unabhängig von der Rolle in Bildungsveranstaltungen kann jede und jeder einzelne versuchen, die Belastungen der Live-Online-Arbeit zu begrenzen oder auszugleichen.
Die Dozentin, Beraterin und Autorin Melanie Hasenbein beschreibt, dass vermehrt digitale Auszeiten gewünscht werden. Eine gesunde Balance zwischen Zeiten, in denen der Mensch digital verfügbar ist, und bewussten digitalen Pausen werden ihr zufolge immer wichtiger. Wer kann, sollte zumindest von vornherein im Kalender Übergangs-Zeiten zwischen Live-Online-Meetings planen.
Auch eine Haltung und Praxis der Achtsamkeit kann digitalen Stress entschärfen. Digitale Tools selbst können dies unterstützen, etwa indem sie an Pausen erinnern. Viele Menschen mit Online-Arbeitsplätzen schätzen auch Sport und eine naturnahe Freizeitgestaltung als Ausgleich besonders.
Wer sorgt für Entlastung?
Digitale Entlastung ist nicht nur eine individuelle Aufgabe, sondern auch eine organisationale. In der Erwachsenenbildung sind BildungsmanagerInnen und Lehrende gefragt, eine stressarme und gesundheitsförderliche Veranstaltungskultur zu pflegen.
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