40 Jahre Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung

22.09.2010, Text: Wilfried Hackl (seit 2016: Wilfried Frei), Redaktion/CONEDU
Geschäftsführer Peter Schlögl im Interview: "Der Theorie-Praxis Dialog ist ein ausbaufähiges Handlungsfeld."
In seinen neuen Räumlichkeiten im fünften Wiener Gemeindebezirk feiert das Österreichische Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) am 28. September sein 40-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass führte www.erwachsenenbildung.at ein Interview mit dem geschäftsführenden Institutsleiter Peter Schlögl.

Das öibf wird heuer 40 Jahre alt. Was waren zu Gründungszeiten Ziele und Auftrag des Instituts und wie haben sich diese im Laufe der Zeit verändert?

Die Motive der Institutsgründung und Ziele der Institutsarbeit, wie sie die Gründungspräsidentin Hertha Firnberg (gleichzeitig war sie Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, Anm. d. Red.) darstellte, waren überaus ambitioniert und sind bis heute überraschend zeitgemäß: Die hohen Dynamiken moderner Gesellschaften durch Produktionsinnovationen, Entwicklungen in Technik und Wissenschaft, die tief in die Lebenswelten jedes/r Einzelnen hineinwirken und Einflüsse auf volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben, wurden von Firnberg als Herausforderung benannt. Sie sah diese für das Bildungswesen im Allgemeinen und für die berufliche Bildung im Speziellen als erhebliche Innovationserfordernisse. Vor diesem Hintergrund waren damals umgesetzte Konzepte von Grundausbildung, Weiterbildung und Umschulung in Frage zu stellen und in Richtung permanenter Bildung zu entwickeln, denn so Firnberg wörtlich: "(f)ür das künftige System lebenslanger Bildung genügt […] nicht mehr die klassische Konzeption unseres Schulwesens und beruflichen Ausbildungssystems." Man bedenke, das war 1971!

Der Gedanke einer lebensbegleitenden Bildung wurde dem Institut sozusagen schon "in die Wiege gelegt". Wie steht das öibf aus Sicht seines Geschäftsführers heute da?

Der Anspruch Hertha Firnbergs ist bis heute aufrecht und erfordert ein umfassendes Zusammenwirken von Bildungspolitik, Bildungspraxis und Bildungsforschung. Als außeruniversitäre Einrichtung, die projektfinanziert agiert, ist es aber - so mein persönlicher Eindruck - doch gelungen, den einen oder anderen Impuls zu geben oder Initiativen der Politik oder Praxis zu unterstützen. Die Arbeitsfelder sind breit und umfassen die Bereiche Bildungsentscheidungen und -beteiligung, Modernisierung der beruflichen Bildung, Qualität und Professionalisierung, Qualifikationsforschung sowie Evaluationsforschung.

Besonders erfreulich finde ich, dass es nachhaltig gelungen ist, Kooperationen mit universitären und weiteren außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Österreich aber auch ganz Europa einzugehen, um die großen Fragen zu bewältigen. Die Fülle von alten und immer wieder neu auftauchenden Forschungsfragen ermutigt mich, Forschung im Bildungswesen ständig neu anzugehen. Das öibf-Team tut dies mit viel Engagement und Kreativität.

Zum Jubiläum haben Sie gemeinsam mit Krisztina Dér einen Band "Berufsbildungsforschung. Alte und neue Fragen eines Forschungsfeldes" (transcript Verlag 2010) herausgegeben. Was erfahren die geneigte Leserin/der geneigte Leser darin?

Der Sammelband umfasst 18 inhaltliche Beiträge und eine kurze Analyse der Institutsarbeit seit der Gründung 1970. Die eingeladenen AutorInnen wurden ersucht, ein aus ihrer Sicht aktuelles Thema aufzugreifen, den Forschungsstand dazu kompakt aufzubereiten und einen Ausblick auf aktuelle und künftige Forschungsfragen dieses Forschungsfeldes zu geben. Die Beiträge orientieren sich an den fünf Themenfeldern (1.) zukünftige demografische, politische und arbeitsmarktökonomische Rahmenbedingungen beruflicher Bildung, (2.) bildungstheoretische Fragestellungen, (3.) aktuelle Herausforderungen beruflicher Bildung, (4.) Qualitätssicherung und Professionalisierung der beruflichen Aus- und Weiterbildung und (5.) zielgruppenorientierte Analysen von Bildungszugang und -chancen.

Wenn man die Website und die Publikationen des öibf durchforstet, winkt einem von allen Seiten die Leitidee des Lebenslangen Lernens entgegen. Welche Fragestellungen beschäftigen Sie und Ihr Team derzeit besonders?

Wie schon erwähnt, findet sich der Anspruch des lebenslangen Lernens bereits in den Gründungsdokumenten des Instituts. Sicherlich ist durch die Initiativen der OECD und der EU besonderer Schwung in die Diskussion gekommen. Neben der grundsätzlichen Fragen der Umgestaltung von "Bildungssystemen" hin zu guten Bedingungen für lebenslanges Lernen sind es wesentlich vier Themenfelder die uns wiederkehrend beschäftigen: Das sind zunächst die Transparenzinstrumente in einem europäischen Bildungsraum-  wie NQR, ECVET, Bologna- und die horizontale und vertikale Durchlässigkeit der Teilsysteme im österreichischen Bildungswesen - verbunden mit Fragen nach Anrechnungen, Hochschulzugang oder  Nostrifikationen. Weiters befassen wir uns mit den Fragen nach Unterstützungssystemen für die Orientierung und Bildungswegentscheidung sowie Fragen der grundsätzlichen Zugänglichkeit von Bildungs- und Lernarrangements.

Die Erwachsenenbildungsforschung in Österreich hat sich in den letzten Jahren zwar qualitativ ausdifferenziert, doch wirkt der Kreis der einschlägig forschenden WissenschafterInnen nach wie vor sehr überschaubar. Wohin geht die Reise Ihres Erachtens, und welche Rolle wird der Forschung zur Erwachsenenbildung in den nächsten Jahren zukommen?

Ich persönlich denke, dass der Forschungsbedarf sich in drei zentralen Zweigen abzuzeichnen beginnt: Es geht um eine Neupositionierung "der Erwachsenenbildung" im Kanon eines System lebensbegleitenden Lernens, um eine begriffliche und statistische Neupositionierung der Organisationen und Leistungen der Erwachsenenbildung sowie um eine stärkere Theorieorientierung der Bildungspraxis.

Wie wird sich das öibf in diesem Konzert in den nächsten Jahren positionieren?

Insbesondere die Fragen der begrifflichen und bildungssystematischen Klärungen stellen für das öibf schon länger ein Handlungsfeld dar. Dies gilt es konsequent weiter zu verfolgen. Der Theorie-Praxis-Dialog stellt ein sicherlich ausbaufähiges Handlungsfeld dar und würde gut in das Portfolio des Institutes passen. Exemplarisch hat diese Arbeit bereits begonnen, betrachtet man die Diskussion um stärkere Orientierung an Lernergebnissen. Lassen wir uns überraschen, ob hier Forschung und Praxis einen systematischen Weg zueinander finden und eine entsprechende finanzielle Basis für kollaborative Forschung und Entwicklung geschaffen werden kann.

Mag. Peter Schlögl studierte Humanbiologie und Philosophie und ist seit 1999 geschäftsführender Institutsleiter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung (öibf).
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