Buch: Lernberatung und Diagnostik

Lernen und Beratung
Vieles hängt von Definitionen und Anschauungen ab. Bevor Lernberatung ansetzt, muss erst einmal eine Definition des Lernens gefunden werden, erklärt Ludwig eingangs. Und je nachdem, wie Lernen verstanden werde – als Informationsverarbeitungsprozess, Persönlichkeitseigenschaft, kognitive Operation oder soziales Handeln –, sei Lernberatung überhaupt sinnvoll oder nicht.
Schriftsprachenerwerb
Am Beispiel Schriftsprachenerwerb zeigen Rüdiger-Philipp Rackwitz und KollegInnen, dass Lernen als (re-)konstruktiver Prozess ablaufen kann. Dieser Prozess lässt sich in verschiedene Phasen einteilen, „in denen jeweils bestimmte Einsichten gewonnen und bestimmte Strategien angewendet werden“. Phasen und Strategien können einander aber auch überschneiden. „Ziel einer jeden Förderdiagnostik muss sein, zu verstehen, warum bestimmte Fehler gemacht werden, um herauszufinden welche Strategie bzw. Einsicht letztendlich Grundlage dafür ist.
Kompetenzen erkennen mit "lea."
Diagnostik und Lernberatung müssen einander nicht ausschließen. Als zentrales Werkzeug für eine adäquate Form der Lernberatung mittels Diagnostik präsentieren Diana Zimper und Yvonne Dessinger die lea.-Förderdiagnostik. Es handelt sich dabei um ein Modell zur Diagnostik und Lernbegleitung bei Grundbildungsdefiziten. Mittels lea werden Kompetenzen der Lernenden ermittelt, und zwar in den Bereichen Schreiben, Lesen, Sprachempfinden und Mathematisches Grundwissen. So werden individuelle Anfangsschwierigkeiten sichtbar, und Lehrende können mit gezielter Förderung ansetzen.
Langsames Lernen
Analphabetismus ist immer noch sozial stigmatisiert. Für Betroffene ist Lernen mit Angst, Druck und Überforderung besetzt. Die Aufgabe der TrainerInnen und BeraterInnen ist es, ihnen diese Angst zu nehmen. Langsames Lernen ist für Ute Jaehn-Niesert ein Schlüssel dazu, da es den Erfolgsdruck reduziert und den Lernprozess planbarer und kontrollierbarer macht. Gleichzeitig müssten Lehrende auf die individuelle Situation der KursteilnehmerInnen eingehen, damit der Lernerfolg sich auch tatsächlich einstellen könne.
Lernberatung durch VIVA
Abschließend stellt Ludwig ein Lernberatungskonzept vor, das seiner Meinung nach den identifizierten Anforderungen gerecht wird. Entsprechend seinem Namen „VIVA“ besteht es aus vier Schritten:
- Verstehen durch die Beratenden
- Impulse setzen und Gegenhorizonte eröffnen
- Verstehen durch die Ratsuchenden
- Alternative Handlungsmöglichkeiten schaffen
Die einzelnen Schritte müssen nicht starr abgearbeitet werden. Manchmal kann es hilfreicher sein, einen oder zwei Schritte zurück zu gehen, um später wieder einen Schritt vorwärts zu machen. Ludwig legt besonderes Augenmerk auf den Prozess des Verstehens in Schritt 1 und 3 als Basis eines soliden Erfolges.
Aus zwei mach eins
Das Buch ist grob in zwei Teile gegliedert: Förderdiagnostik und Lernberatung. Tatsächlich weisen diese Bereiche aber Überschneidungen auf, wie bei der Lektüre klar wird. Praxisnahe Konzepte und Beispiele zeigen, wie beide Bereiche zusammengeführt werden können. Alle AutorInnen schreiben in einfach gehaltener, persönlicher und zugänglicher Sprache, die LeserInnen in einem stillen Dialog inkludiert. Auch die grafische Gestaltung trägt zur Qualität des Buches bei: Wichtige Definitionen werden in eigenen Kästchen hervorgehoben, und diverse Checklisten bieten Anreize zur Selbstreflexion sowie Hilfsmittel, die eigene Arbeitsweise positiv zu verändern.
Ludwig, Joachim (Hg.) (2012): Lernberatung und Diagnostik. Modelle und Handlungsempfehlungen für Grundbildung und Alphabetisierung. W. Bertelsmann Verlag. 196 Seiten, ISBN 978-3-7639-5065-2, EUR 19,90.