Existenzielle Bildung mit Beuys und Boal

09.08.2013, Text: Adrian Zagler, Online-Redaktion
Auf Basis szenischer und ästhetischer Forschungsmethoden entwirft Julia Weitzel in ihrem Buch eine Leitidee existenzieller Bildung.
Was ist existenzielle Bildung?, fragt sich Julia Weitzel in ihrer Dissertation aus dem Jahr 2012, nun erschienen im Transcript-Verlag. Als Lehrende im Bereich Kunst und Ästhetik betrachtet sie existenzielle Bildung von diesem Blickpunkt aus. Weitzel experimentiert mit Kunstwerken von Joseph Beuys und Theatermethoden von Augusto Boal, und zeigt, dass Kunst und Wissenschaft einander bereichern können.

 

Leitidee Existenzielle Bildung

Weitzel versucht, eine neue Leitidee existenzieller Bildung zu generieren – besonders für ForscherInnen, aber ebenso für PraktikerInnen, die mit ästhetischen Lehr- und Lernarrangements arbeiten. Bisher, so konstatiert sie, gebe es keine Theorietradition zu existenzieller Bildung, sondern nur vereinzelte Schlaglichter bzw. „Fundstellen“.

 

Diese Fundstellen arbeitet Weitzel auf und verortet Bildung zwischen den beiden Polen Marktwert/Personalbildung und Selbstwert/Persönlichkeitsbildung. Entsprechend hat auch existenzielle Bildung zwei Dimensionen: Zum einen bezeichnet sie den Umstand, dass eine „Person sich durch Bildungsprozesse selbst hervorbringt“. Zum anderen heißt existenzielle Bildung auch, eine Person in die Gesellschaft einzubinden.

 

Rhizomatische Produktionsprozesse

Weitzels neue Leitidee sieht Bildung als „rhizomatischen Produktionsprozess“. Ein Rhizom zeichnet sich dadurch aus, dass es ein Netzwerk mit Verästelungen, Verknüpfungen und Doppelungen bildet, jedoch ohne Hierarchien. Solch eine Form der Bildung „bleibt nicht beschränkt auf das Reproduzieren des Wissenskanons und die kompatible Performance von Kompetenzen, sondern bezieht sich auch auf das Herstellen von Relationen und die Produktion von Ideen.“ Weiters wichtig: Bildung wird nicht nur durch spezifische Kontexte (z.B. aus Gesellschaft und Forschung) beeinflusst; „sie modifiziert und produziert auch Kontexte.“

 

Ästhetisches Forschen mit Beuys und Boal

Kunst bietet einen eigenen Weltzugang an und kann neue Perspektiven eröffnen, ist Weitzel überzeugt. Deshalb sollte Kunst zur wissenschaftlichen Theoriebildung eingesetzt werden. Als Beispiel, wie das geschehen kann, konfrontiert Weitzel Lernende mit Werken des Künstlers Joseph Beuys, und mit Theatermethoden von Augusto Boal. Dieses „Ästhetische Forschen“ ist an keine Methoden gebunden, nicht einmal unbedingt an Sprache, ist aber hochgradig selbstreflexiv. Ziel ist, dass in der Kollision von Kunst und Wissenschaft eine „überspringende Idee“ entsteht, die alte Denkmuster aufbricht und neue Erkenntnisse schafft.

 

Lesen im Rhizom

Weitzels Dissertation ist in mehrerlei Hinsicht ein komplexes Werk: sprachlich, strukturell und inhaltlich. Die Metapher von Bildung als Rhizom setzt sie textlich um, indem sie beispielsweise mit Querverweisen und Marginalien arbeitet. Sie stellt es ihren LeserInnen frei, nicht-linear zu lesen und damit andere Blickwinkel einzunehmen. Ob linear oder nicht-linear: Dieses Buch ist eine Herausforderung an die Lesenden, aber die Herausforderung kann sich lohnen.

 

Weitzel, Julia (2012): Existenzielle Bildung. Zur ästhetischen und szenologischen Aktualisierung einer bildungstheoretischen Leitidee. Transcript-Verlag, Reihe Pädagogik. 278 Seiten, ISBN 978-3-8376-2223-2, EUR 31,80

Weitere Informationen: