Welche Räume für Demokratiebildung kann Erwachsenenbildung bieten?

Wenn es um stark polarisierende Themen wie Klimaschutz oder Politik geht, braucht es Räume, in denen Menschen zusammenkommen und sich austauschen können. Die Erwachsenenbildung bietet solche Orte und betont, wie wichtig sie sind, wenn es um das Lernen eines demokratischen Miteinanders geht. Demokratie bedeutet nämlich auch, sich über Themen und Sachverhalte zu verständigen, Positionen zu beziehen und darüber zu streiten.
Doch welche Räume kann die Erwachsenenbildung genau bieten, damit Demokratiebildung tatsächlich stattfinden kann und worauf ist dabei zu achten?
Triggerpunkte und Autonomiegefühl als Schlüsselfaktor
Menschen können auf bestimmte Themen stark emotional reagieren: Gespräche über Klimawandel, Gendersprache oder Autofahren lösen häufig affektive Reaktionen aus. Diese Auslöser für so stark emotional aufgeladene Reaktionen, nennen sich Triggerpunkte. Menschen reagieren emotional, wenn sie eine Ungleichbehandlung wahrnehmen oder eine normative Erwartung verletzt sehen. Dabei spielt das eigene Autonomiegefühl eine große Rolle - vor allem, wenn es um die Privatsphäre geht: Wenn also jemand wegen des Klimawandels vorschreibt, welches Verkehrsmittel man benutzen oder was man essen soll, können sich Menschen in ihrer Privatsphäre und in ihren normativen Grundhaltungen verletzt fühlen (siehe auch Buch: Triggerpunkte).
Grundsätzlich haben alle Menschen Triggerpunkte. Wenn man aber keinen Zugang zum politischen Geschehen hat und keine kollektive Handlungsfähigkeit erfährt, dann sind diese Trigger das Einzige, was von einer politischen Lebenswelt übrig bleibt, gibt Linus Westheuser von der Humboldt-Universität Berlin in der Zeitschrift „weiter bilden“ zu bedenken. Und er gibt ein Beispiel: Ein Kleinstadtanwalt, der in der örtlichen Industrie- und Handelskammer eine Rolle spielt, ist durch die Einbindung in solche Institutionen viel eher (politisch) handlungsfähig - er hat eine gewisse diskursive, symbolische Macht und Einfluss. Jemand, der*die überhaupt nicht in solche Strukturen eingebunden ist, hat das nicht. Für Menschen, die ohnehin schon wenig Einfluss und Autonomie haben, wirkt ein Autonomieverlust also noch stärker.
Für die Erwachsenenbildung bedeutet dies, dass es darum gehen muss, politische Handlungsfähigkeit zu initiieren und zu ermöglichen. Wie dies gelingen kann, zeigt ein Projekt aus der Salzburger Gemeinde Unken. Im Projekt „Mitmischen und Einmischen im Dorf“ hat die Gemeinde zum Bürgerforum eingeladen, bei dem alle Einwohner*innen an „Themen-Tischen“ mit Vertreter*innen der Gemeinde diskutieren und eigene Ideen einbringen können, die bei künftigen Entscheidungen berücksichtigt werden sollen. Begleitet wird die Aktion von verschiedenen Vorträgen zur politischen Bildung und einem Quiz über die Gemeinde.
Ungleichheiten und Verteilungsfragen müssen in den Mittepunkt von Bildung rücken
Ungleichheit und Demokratie hängen eng zusammen: Soziale Ungleichheit führt zu unterschiedlicher politischer Teilhabe, Machtgefälle wiederum beeinflussen die Verteilung von Wohlstand. Mit anderen Worten: Menschen aus sozioökonomisch schwächeren Verhältnissen nehmen seltener am politischen Leben teil. Hier steckt die Demokratie in der Krise, sagt auch Linus Westheuser von der Humboldt-Universität Berlin im Interview mit „weiter bilden“: Zahlreiche Umfragen bestätigen, dass soziale Sicherheit und soziale Ungerechtigkeit für die Menschen sehr wichtig sind. Der Alltag der allermeisten Menschen sei am stärksten von „Oben-Unten-Ungleichheiten“ strukturiert, von materiellen Fragen, von der Verfügung über Ressourcen, aber auch von sozialen Rechten, die man im Alltag habe: Es gehe darum, ob man einen Kindergartenplatz bekommt oder ob man am Ende des Monats noch Geld auf dem Konto hat.
Damit Demokratiebildung gelingen kann, muss der Blick also auf die sichtbaren und unsichtbaren Macht- und Herrschaftsverhältnisse gerichtet werden, die unsere Gesellschaft und unseren Alltag strukturieren. Es braucht Bildungssettings, die genügend Raum und Zeit bieten, um aktuelle Fragen vertieft diskutieren und machtkritisch analysieren zu können. Dabei muss es auch die Möglichkeit geben, ganz gezielt dorthin zu schauen, wo antidemokratische, autoritäre und menschenfeindliche Tendenzen Einzug halten und sich verfestigen (siehe auch Interview zu Demokratiebildung).
Für die pädagogische Arbeit kann der Anti-Bias-Ansatz hilfreich sein. Dabei handelt es sich um ein pädagogisches Konzept, das seine Wurzeln in der Social-Justice-Bewegung und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA hat. Sein Ziel ist es, Vorurteile, Machtstrukturen und Diskriminierung kritisch zu hinterfragen, die eigene Verstrickung in diese Dynamiken zu reflektieren und Wege zu einer gerechteren Gesellschaft aufzuzeigen. Er fordert dazu auf, Denk- und Handlungsmuster zu überdenken und bietet Erwachsenenbildner*innen eine Grundlage, um Vielfalt bewusst zu fördern.
Ein Beispiel dafür, wie das Thema soziale Ungleichheit und Demokratie in einem Bildungssetting verknüpft werden kann, ist das deutsche Projekt „Demokratie.Mut.Arbeit.“ Dieses richtet sich an erwerbstätige FLINTA*-Personen und Personen in weiblich konnotierten Berufen. Denn gerade diese Personen finden sich in männlich dominierten Entscheidungsstrukturen oft nicht wieder, heißt es in der Projektbeschreibung. Das Projekt unterstützt dabei, politische Visionen zu entwickeln und Demokratie, Mut und Arbeit zusammenzudenken. Die Projektbeteiligten arbeitet mit Trainingsworkshops, kreativen Methoden der Aktionskunst und Übungen aus der Gewaltfreien Kommunikation.
Der Arbeitsplatz als Ort von Demokratiebildung
Auch der Arbeitsplatz wird immer wieder als möglicher Ort der Demokratiebildung genannt (siehe auch Beitrag „Demokratiebildung am Arbeitsplatz“). So zeigt eine deutsche Studie für Ostdeutschland, dass Menschen, die am Arbeitsplatz kollektive Handlungsfähigkeit erfahren, deutlich geringere rechtsextreme Tendenzen aufweisen.
In der Zeitschrift „weiter bilden“ findet sich dazu eine Idee aus der Politik Großbritanniens: Im Wahlprogramm der Labour Party in Großbritannien 2017 war es ein Ziel, einen Teil des Unternehmenseigentums an die Beschäftigten zu übertragen. Sie sind dann Teil der Eigentümer und müssen eine Haltung dazu entwickeln, was und wie im Unternehmen produziert werden soll und in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln soll. So übernehmen die Beschäftigten Mitverantwortung und dies stoßt Lernprozesse an. In eine ähnliche Kerbe schlägt der österreichische Eispavillon-Besitzer Klaus Purkarthofer und hat es auch schon umgesetzt: Er hat seine Angestellten die Gehälter bestimmen lassen und Aufgabenverteilungen und Hierarchien gemeinsam mit den Angestellten neu zusammengesetzt (siehe „Wenn die Angestellten das Gehalt des Chefs bestimmen“). Hier können Bildungsinstitutionen ansetzen und gemeinsam mit Unternehmen für mehr demokratisches Miteinander sorgen.
Kunst und Kultur zugänglich machen
Öffentliche Orte der Begegnung und des Austauschs sind in unserer Gesellschaft kulturelle Einrichtungen wie Theater, Museen und Bibliotheken. Sie greifen gesellschaftspolitische Themen auf und bieten Raum für Diskussionen. Darüber hinaus ermöglichen Kunst und Kultur eine emotionale und nicht nur sachliche Auseinandersetzung mit kritischen Themen (siehe auch Interview zur Demokratiebildung).
Die Kulturlots*innen des Österreichischen Gewerkschaftsbundes nutzen diese Tatsache und verbinden Kunst und Kultur mit dem Arbeitsplatz. Ihr Ziel ist es, Erwachsenen die Teilhabe an einem breiten Kulturangebot zu ermöglichen. Gemeinsam mit Arbeitnehmervertreter*innen organisieren sie Kunst- und Kulturbesuche für Arbeitnehmer*innen in Wien. Dabei geht es darum, Kunst und Kultur gemeinsam mit anderen Arbeitskolleg*innen zu erleben.
Ziel ist eine Demokratisierung von Kunst und Kultur, damit sich auch jene eingeladen fühlen, die sich sonst von den Angeboten nicht angesprochen fühlen. Denn sonst hat Kunst und Kultur einen elitären Touch, der zeigt, dass man nicht zu den „oberen Klassen“ der Gesellschaft gehört, so Kulturlotsin Sandra Trimmel in einem Interview.
Erwachsenenbildung muss auch in digitalen Räumen präsent sein
Meinungsaustausch und Diskussion finden auch in digitalen Räumen statt, vor allem über soziale Medien. Politische Bildner*innen müssen also auch in diesen Räumen präsent sein, sagt etwa Lisanne Heilmann, Medienpädagogin an der Uni Bremen.
Es gelte zu verstehen, wie die verschiedenen Plattformen funktionieren und wie man sich hier in der politischen Bildung einbringen kann. Wichtig sei hier vor allem, dass man in Social Media schnell reagieren müsse - dies müsse auch der Handhabung in den Organisationen der politischen Bildung entsprechen. Wenn beispielsweise ein Post erst durch viele Hierarchieebenen gehen müsse, funktioniere das nicht, so Heilmann.
Nachrichtenserie „Demokratiebildung in der Erwachsenenbildung“
Der Sturm auf das US-Kapitol im Jahr 2021, Angriffe auf deutsche Politiker*innen während des EU-Wahlkampfes und das Erstarken demokratiefeindlicher Bewegungen zeigen, wie tief die Demokratie in der Krise steckt. Wie können wir sie schützen und gestalten? Unsere Nachrichtenserie beleuchtet, welche Rolle Demokratiebildung dabei spielt und informiert über Neuigkeiten, Projekte und Publikationen.
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