Mit dem Anti-Bias-Ansatz gegen Diskriminierung

Der Anti-Bias-Ansatz ist ein pädagogisches Konzept, das in der Social-Justice-Bewegung und der Schwarzen Bürger*innenrechtsbewegung in den USA wurzelt. Sein Ziel ist es, Vorurteile, Machtstrukturen und Diskriminierung kritisch zu hinterfragen, die eigene Verstrickung in diese Dynamiken zu reflektieren und Wege für eine gerechtere Gesellschaft aufzuzeigen. Der Ansatz wurde in den 1980er Jahren erstmals in den USA für die Elementarpädagogik entwickelt. Er fordert dazu auf, Denk- und Handlungsmuster zu überdenken und bietet insbesondere Erwachsenenbildner*innen eine Grundlage, um Vielfalt bewusst zu fördern. Im Zentrum steht, dass die Auseinandersetzung mit Diversität ein lebenslanger Prozess ist, der zu einer offenen, wertschätzenden Gesellschaft beiträgt.
Wenn Vorurteile zu Diskriminierung werden: Der Ausgangspunkt des Anti-Bias-Ansatzes
Alle Menschen haben Erfahrungen mit Vorurteilen, Privilegien und Diskriminierung, beschreibt die Wissenschaftlerin Eva Fleischer im Artikel zum Anti-Bias-Ansatz als Methode politischer Erwachsenenbildung (PDF). Mehr noch: Jede*r von uns hat Vorurteile – wir lernen sie von klein auf: durch Familie, Umfeld, Gesellschaft oder Medien. In bestimmten Situationen können diese Vorurteile zu Diskriminierung führen. Allerdings sind nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen. Wie stark Vorurteile und ihre Auswirkungen spürbar werden, hängt von der gesellschaftlichen Position und der Bewertung der sozial konstruierten Merkmale ab, die einer Person zugeschrieben werden. Dabei geht es um eine gesellschaftliche „Normalität“ und die Abweichung davon, also das „Anderssein“.
Diskriminierung äußert sich demnach nicht nur auf einer zwischenmenschlichen Ebene, wie z.B. im Alltagsrassismus, sondern auch auf institutioneller und medial-diskursiver Ebene. Das ist z.B. der Fall, wenn ein Gebäude nicht barrierefrei gebaut ist, sodass Menschen mit Mobilitätseinschränkungen das Gebäude nicht ohne fremde Hilfe betreten können – oder in Schlagzeilen von Tageszeitungen, die gegen Asylwerber*innen hetzen.
Um einen Schritt näher zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft zu kommen, umfasst die Anti-Bias-Arbeit vier grundlegende didaktisch-methodische Prinzipien und Ziele, die für alle Menschen gleichermaßen gelten:
- Anerkennung und Stärkung individueller und gruppenbezogener Identitäten,
- Respekt und Wertschätzung für Vielfalt,
- Sensibilisierung für Vorurteile und Förderung kritischen Denkens sowie
- Ermutigung zum aktiven Handeln gegen Diskriminierung.
Identitäten bewusst reflektieren und stärken
Dem Anti-Bias-Ansatz liegt zugrunde, dass jeder Mensch mehrere soziale Identitäten über den Verlauf des Lebens ausbildet, so der Wissenschaftler Prasad Reddy im Leitfaden „Theoretische Grundlagen, Handlungsansätze und Übungen zur Umsetzung von Anti-Bias-Bildung“ (PDF). Diese Identitäten können sich unter anderem aus ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion, sozioökonomischer Status oder sexueller Orientierung zusammensetzen. Aufgrund dieser Identitäten können Menschen Zugehörigkeit erleben oder eben nicht. Soziale Identität ist eng verknüpft mit gesellschaftlich gestützten Stereotypen, Diskriminierung sowie Vor- und Nachteilen.
Ein zentrales Ziel der Anti-Bias-Bildung ist es, Zugehörigkeiten bewusst zu reflektieren und vorurteilsbewusst zu gestalten. Dadurch sollen alle Identitäten und Zugehörigkeiten von Beteiligten in Lernprozessen anerkannt und gestärkt werden. Das heißt: Jeder Mensch findet Anerkennung und Wertschätzung.
Begegnung fördern und Vielfalt ermöglichen
Ein zentrales Element des Anti-Bias-Ansatzes ist es, Erfahrungen mit Menschen zu ermöglichen, die anders aussehen und sich anders verhalten als man selbst, um gegenseitige Empathie entwickeln zu können. Dies kann z.B. durch gemeinsame soziale Räume geschehen, wie sie etwa Bibliotheken oder Nachbarschaften mit gemischten Einkommensverhältnissen bieten können. Auch niedrigschwellige Angebote der Erwachsenenbildung, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Religion zusammenkommen, können solche Räume eröffnen.
Kritisches Denken anregen: Gemeinsam reflektieren
Menschen zur Reflexion von Vorurteilen, Machtasymmetrien und Ideologien der Über- und Unterlegenheit anzuregen, ist ein zentrales didaktisches Prinzip der Anti-Bias-Arbeit. Dabei steht die Selbstreflexion im Vordergrund. In Workshops können Erwachsenenbildner*innen Teilnehmende dazu anregen, genauer hinzusehen und sich mit den vorherrschenden Diskriminierungsverhältnissen auseinanderzusetzen. In Anti-Bias-Trainings kann es beispielsweise um folgende Fragen gehen:
- Welche verinnerlichten und potenziell diskriminierenden Bilder, Annahmen und Fantasien über andere trage ich mit mir herum, die zum Teil noch aus meiner Kindheit stammen?
- Wie kann ich solche diskriminierenden „Bilder“ loswerden? Was hilft mir dabei?
Solche Fragestellungen schaffen Raum für eine gemeinsame Reflexion und Infragestellung vorherrschender Diskriminierungsdynamiken.
Aktiv werden gegen Diskriminierung
Ein weiteres Ziel des Anti-Bias-Ansatzes ist es, dass sich Personen aktiv und gemeinsam für eine gerechtere Welt einsetzen und sich gegen Diskriminierung engagieren. Dazu gehört, diskriminierendes Verhalten zu erkennen, zu benennen und sich aktiv dagegen zur Wehr zu setzen. Effektives Handeln gegen Diskriminierung erfordert dabei grundlegende Sensibilität sowie ein fundiertes Wissen über Diskriminierungsformen, Machtstrukturen und unterschiedliche soziale Identitäten. Das Handeln gegen Diskriminierung kann dann in Zivilcourage ihren Ausdruck finden. Zivilcourage drückt sich darin aus, wie ich als Einzelperson auf diskriminierendes Verhalten oder Unterdrückung reagiere – sei es, wenn ich Zeug*in werde oder selbst betroffen bin.
Inzwischen gibt es eine Vielzahl diskriminierungskritischer Angebote, die sich an Erwachsene richten. Dazu gehören beispielsweise offene Angebote der Erwachsenenbildung, Kurse und Lehrgänge, aber auch Programme in Organisationen und Unternehmen. Ein Beispiel ist der Zivilcourage-Workshop des Vereins Zara in Graz. In diesem lernen die Teilnehmenden, wie sie sich körperlich und verbal behaupten oder angemessen auf diskriminierendes und rassistisches Verhalten reagieren können.
Neben solchen expliziten Angeboten können auch Erwachsenenbildner*innen selbst eine diskriminierungskritische Haltung in Lehr- und Lernsettings einbringen. Dies kann bereits bei kleinen Maßnahmen beginnen, etwa indem bei der Auswahl von Unterrichtsmaterialien darauf geachtet wird, keine Stereotype oder Vorurteile zu reproduzieren. Ebenso wichtig ist es, Menschen, die Diskriminierungserfahrungen melden – sei es in Bildungsinstitutionen, Beratungsstellen oder Organisationen – ernst zu nehmen, ihre Erfahrungen zu würdigen und entsprechend zu handeln. Wie die Gleichbehandlungsanwaltschaft Österreich in ihrem Leitfaden (PDF) betont, ist es essenziell, Betroffene zu unterstützen, ihnen zuzuhören und konkrete Schritte zur Problemlösung einzuleiten.
Nachrichtenserie „Demokratiebildung in der Erwachsenenbildung“
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