Wo Frauen in der Erwachsenenbildung benachteiligt sind

In Österreich nehmen 56% der Frauen und 55% der Männer an non-formaler Weiterbildung teil (siehe „Bildung auf einen Blick 2024“) – kein großer Unterschied. Was die Zahlen aber nicht zeigen, sind die vorherrschenden Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen. Frauen sind in Aus- und Weiterbildung häufiger von Diskriminierung betroffen und in der beruflichen Erwachsenenbildung seltener vertreten. Blickt man auf Frauen als Lehrende, Beraterinnen und Bildungsmanagerinnen, zeigen sich die Nachteile eines typischen „Frauenberufs“: Unbezahlte Arbeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind nach wie vor Realität.
Weiterbildung für die Karriere ist Männersache
Frauen sind in der Erwachsenenbildung als Teilnehmende in Bildungsangeboten durchaus präsent. So gelten Volkshochschulen seit dem Ende des Nationalsozialismus als Bildungsraum für Frauen – sie machen laut KEBÖ-Statistik 2023 mehr als 70% der Teilnehmenden an Volkshochschulen aus.
Betrachtet man jedoch die gewählten Weiterbildungsinhalte, so zeigt sich, dass Frauen in den öffentlich höher bewerteten Weiterbildungen, wie z.B. der karriereorientierten Weiterbildung, weniger vertreten sind als Männer. Denn Frauen schärfen vor allem allgemeine Skills, Männer lernen hingegen berufsbezogen.
So geben laut Adult Education Survey Männer häufiger als Frauen an, an nicht-formaler Weiterbildung zu technischen, praktischen oder arbeitsplatzspezifischen Fähigkeiten teilzunehmen (Männer: 27,5%; Frauen: 12,8%). Auch an Weiterbildungen zu IT-Kompetenzen nehmen Männer häufiger teil: 10,3% der Männer besuchen IT-Kurse, bei den Frauen sind es 5,9%. Und auch bei Weiterbildungen zu Führungskompetenzen sind Männer (7,8%) stärker vertreten als Frauen (3,5%).
Frauen geben hingegen häufiger an, Weiterbildungen zur Entwicklung von Gesundheits- und Sicherheitskompetenz (Frauen: 14,5%; Männer: 6,6%) zu besuchen. Auch bei Weiterbildungen zu mentaler Stärke bzw. Persönlichkeitsentwicklung sind mehr Frauen (7,5%) vertreten als Männer (2,3%).
Insgesamt geben mehr als drei Viertel der Männer in Österreich an, an nicht-formaler Bildung teilzunehmen, um ihren Beruf besser ausüben zu können bzw. ihre Karrierechancen zu verbessern. Bei den Frauen sind es rund 67%.
Noch immer gibt es „Frauen“- und „Männerberufe“, die mit Gehaltsunterschieden einhergehen
Doch auch in der beruflichen bzw. karriereorientierten Bildung selbst gibt es Unterschiede: So absolvieren Frauen nach wie vor seltener als Männer eine Ausbildung im sogenannten MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), der öffentlich und monetär meist höher bewertet wird als Berufe außerhalb dieses Bereichs. Und das hat Folgen für den Arbeitsplatz: Trotz weitgehender rechtlicher Gleichstellung der Geschlechter in den Berufsfeldern ist die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes noch immer Realität (siehe auch Magazin erwachsenenbildung.at, Ausgabe 43).
Die Coronapandemie hat beispielsweise deutlich gemacht, dass Frauen einen Großteil der systemerhaltenden Berufe und Tätigkeiten ausüben, wie Pflege- und Gesundheitsberufe und Berufe im Lebensmittelhandel. Und damit gehen auch Einkommensunterschiede einher. Diese sind oft nicht gerechtfertigt und damit diskriminierend, wie etwa das deutsche Pilotprojekt „Comparable Worth“ zeigt. Das Projekt bewertet und vergleicht Berufe hinsichtlich ihrer tatsächlichen Arbeitsanforderungen und -belastungen. Ein Beispiel: Krankenpfleger*innen arbeiten unter ähnlich belastenden Arbeitsanforderungen wie Führungskräfte in der betrieblichen Verwaltung oder Ingenieurwissenschafter*innen, verdienen aber um bis zu 13 Euro pro Stunde weniger.
Mädchen und Frauen sind in der Aus- und Weiterbildung häufiger von Diskriminierung betroffen
Abgesehen von der mal stärkeren, mal schwächeren Diskussion um die strukturelle Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt fehlen aktuelle Studien und Diskussionen zu Diskriminierungserfahrungen von Frauen in der Erwachsenenbildung weitgehend. Hinweise darauf liefert eine Sonderauswertung der Studie „Diskriminierungserfahrungen von Frauen in Österreich“ (PDF) aus dem Jahr 2020.
Darin geben 10% der insgesamt 2.317 in Österreich lebenden Befragten an, im Bildungsbereich - also in der Schule, in anderen Bildungseinrichtungen oder in der Weiterbildung - Benachteiligung oder Diskriminierung erlebt zu haben - davon sind 12% Frauen und 7% Männer. 11% der Befragten geben an, Diskriminierung im Bildungskontext beobachtet zu haben.
Die Auswertung der Studie zeigt, dass Frauen in zwölf der 19 Diskriminierungsformen im Bildungsbereich häufiger betroffen sind als Männer. So erleben Frauen und Mädchen häufiger Ausgrenzung und Isolation (63% vs. 51%) und werden häufiger Opfer von Mobbing, Bedrohung oder Erpressung (54% vs. 45%). Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede bei der Erfahrung von Cybermobbing (52% vs. 29%), bei negativen Erfahrungen in Gemeinschaftseinrichtungen wie z.B. Pausenräumen (50% vs. 33%) und bei der Erfahrung von sexueller Belästigung (38% vs. 2%). 49% der betroffenen Frauen geben an, dass die Diskriminierung von Lehrenden oder anderen Vortragenden ausging.
Erwachsenenbildung als „Frauenberuf“ mit all seinen Nachteilen
Erwachsenenbildung setzt sich seit vielen Jahren für Frauen in der Bildung ein und setzt zahlreiche Frauenbildungsprojekte um. Doch wie sieht es mit der Chancengleichheit der Geschlechter in den Erwachsenenbildungseinrichtungen selbst aus? Dazu gibt es kaum verwertbare Daten oder Studien. Was man weiß: Laut KEBÖ-Statistik sind rund 60% der Erwachsenenbildner*innen Frauen – tendenziell noch mehr, da nicht von allen KEBÖ-Organisationen die Anzahl von Frauen und Männern unter den Mitarbeitenden vorliegt. Für Einrichtungen außerhalb der KEBÖ fehlen Zahlen. Beschreibt man das Berufsfeld, steht jedoch fest, Erwachsenenbildung ist ein „Frauenberuf“ mit den klassischen Merkmalen eines solchen Berufs. Übersetzt auf den Arbeitsalltag heißt das: Erwachsenenbildner*innen erleben oftmals prekäre Anstellungsverhältnisse oder erhalten keine angemessene Entlohnung. Dies zeigt sich z.B. daran, dass sie häufig in Teilzeit beschäftigt sind, in Wirklichkeit aber oft mehr arbeiten, oder daran, dass sie vielseitig und gut qualifiziert sind und daher neben ihrer eigentlichen Tätigkeit noch viele andere Dinge bedenken oder erledigen. Hinzu kommt, dass Einrichtungen der Erwachsenenbildung oft mit knappen Ressourcen auskommen müssen und stark projekt- und förderorientiert arbeiten. In der Erwachsenenbildung arbeiten also Personen und damit mehrheitlich Frauen, die auch Unternehmensrisiken mittragen (siehe auch Beitrag „Erwachsenenbildner*in“ im Magazin erwachsenenbildung.at).
Benachteiligung von Erwachsenenbildnerinnen auch innerhalb der eigenen Bildungsorganisation?
Ob Erwachsenenbildnerinnen innerhalb ihres eigenen Arbeitsumfelds gegenüber ihren männlichen Kollegen Benachteiligungen erfahren, kann man nicht sagen. Dazu fehlen Daten und repräsentative Erhebungen.
Dass aber auch die Erwachsenenbildung nicht davor gefeit ist, beschreibt z.B. die Erwachsenenbildnerin Lea Pelosi in einem Magazinbeitrag. Sie hat Gespräche mit Frauen in der Erwachsenenbildung geführt und eine Umfrage durchgeführt. Dabei berichteten ihr Frauen aus der Erwachsenenbildung, dass z.B. Kritik von Frauen oft Irritation oder Ablehnung auslöst. Denn in den Selbstbeschreibungen der Institutionen finden sich häufig Begriffe wie „Frauenförderung“, „Wiedereinsteigerinnen“, „Kollegialität“ und „Solidarität“. Wer sich hier kritisch äußere, riskiere den Vorwurf der Undankbarkeit.
Tatsächlich fehlen allerdings belastbare Daten, Studien und Untersuchungen darüber, inwieweit in der nach eigenem Selbstverständnis sehr aufgeklärten Branche der Erwachsenenbildung strukturelle Diskriminierungen wirken und ob bzw. inwieweit die Leitungs- und Vorstandsebene männlich dominiert ist.
Fest steht nur: In der Erwachsenenbildung arbeiten mehrheitlich Frauen und sie prägen diese Branche wesentlich. Sie sollten daher sichtbar, anerkannt und entsprechend ihrer Kompetenzen entlohnt und eingesetzt werden. Und angesichts der Teilnehmerinnen in der Weiterbildung braucht es Angebote, die sich nicht nur mit der Arbeitsmarktintegration von Frauen beschäftigen - herrschafts- und gesellschaftskritische Bildungsarbeit ist noch lange nicht obsolet.
- Bildung auf einen Blick 2024
- KEBÖ-Statistik 2023
- Pilotprojekt Comparable Worth
- Artikel: Frauen schärfen allgemeine Skills, Männer lernen berufsbezogen
- Studie: Diskriminierungserfahrungen von Frauen in Österreich (PDF)
- Magazin erwachsenenbildung.at: Die Sichtbarkeit von Frauen* in der Erwachsenenbildung
- Beitrag auf EPALE
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