Forschung über migrationsspezifische Kompetenzen in der EB prämiert

09.12.2015, Text: Bianca Friesenbichler, Redaktion/CONEDU
Sie holen Migrant_innen in der Erwachsenenbildung vor den Vorhang und erhielten dafür den Staatspreis für Erwachsenenbildung 2015: Annette Sprung, Ariane Sadjed und Brigitte Kukovetz.
Annette Sprung/Ariane Sadjed/Brigitte Kukovetz - Foto: BKA/Hofer
Kukovetz, Sprung und Sadjed mit Heinisch-Hosek (li) u. Thum-Kraft (Mitte)
Foto: BKA/Hofer
Personen mit Migrationshintergrund und Migrationserfahrungen werden oft Defizite zugeschrieben, die in Kursen der Erwachsenenbildung aufgeholt werden sollen. Selten aber werden migrationsbezogene Kompetenzen untersucht. Und noch seltener jene der Erwachsenenbildner_innen selbst. Die drei Wissenschafterinnen Annette Sprung, Ariane Sadjed und Brigitte Kukovetz beforschten Strategien, wie Erwachsenenbildner_innen mit Migrationserfahrungen mit diesen Erfahrungen und den daraus hervorgehenden Kompetenzen umgehen (wir berichteten).

Aufgrund dieses Perspektivenwechsels, des Forschungszugangs und der Qualität ihrer Arbeit wurden die drei Forscherinnen am 1. Dezember 2015 mit dem Österreichischen Staatspreis für Erwachsenenbildung in der Kategorie "Wissenschaft und Forschung 2015" ausgezeichnet.

Das Forschungsprojekt mig2eb über Erwachsenenbildner_innen mit Migrationserfahrung

Das Forschungsprojekt "Angehörige der 2. Generation von MigrantInnen als Fachkräfte in der Erwachsenenbildung" (2012-2014), kurz mig2eb, untersuchte mittels partizipativer Forschung, wie Menschen mit Migrationsgeschichte in der österreichischen Erwachsenenbildung repräsentiert sind und wie sich die Zugangswege in das Berufsfeld gestalten. Der nunmehr prämierte Artikel "The use of migration-related competencies in continuing education. Individual strategies, social and institutional conditions" basiert auf den Ergebnissen des Forschungsprojektes. Er ist heuer in der Online-Zeitschrift "Studies in continuing education" (Volume 37, Ausgabe 3/2015) erschienen.

Man erfährt darin, welche Strategien Betroffene zur Verwertung spezifischer Kompetenzen aus der Migrationsbiografie entwickeln. Die Autorinnen Annette Sprung, Ariane Sadjed und Brigitte Kukovetz konnten die Jury damit letztlich überzeugen und bekamen die Auszeichnung zugesprochen.

Partizipative Forschung macht voneinander Lernen möglich

Eine Besonderheit des Forschungsprojekts sieht Brigitte Kukovetz in der Zusammenarbeit mit der Praxis: "Wir diskutierten sowohl die Forschungsfragen als auch (Zwischen-)Ergebnisse mit Erwachsenenbildner_innen aus verschiedensten Einrichtungen und Positionen. Diese Zusammenarbeit - gerade mit Personen, die selbst unmittelbare oder mittelbare Migrationserfahrung haben - war für mich sehr bereichernd."

Auch Annette Sprung betont die Zusammenarbeit in der partizipativen Forschungsmethode und die Möglichkeit, voneinander zu lernen: "Partizipatives Forschen ist ein Prozess, in dem alle Beteiligten permanent lernen und sich weiterentwickeln, nicht nur inhaltlich, sondern auch methodologisch", so Sprung. (Anm. der Redaktion: In der Februarausgabe 2016 des Magazin erwachsenenbildung.at wird A. Sprung darüber noch mehr berichten.)

 

Ariane Sadjed hebt den Forschungszugang ebenfalls hervor: "Ich fand das Konzept der Forschungswerkstatt und auch die Zusammenarbeit mit den Kolleg_innen mit und ohne Migrationsgeschichte sehr bereichernd". Sadjed sah in dieser Form der anwendungsorientierten Forschung gute Möglichkeiten, sich als Anthropologin in die Forschung einzubringen.

"Gegen starke Konkurrenz durchgesetzt"

Monika Thum-Kraft, seit vielen Jahren Mitglied der Staatspreis-Jury, betonte in ihrer Laudatio die hohe Qualität aller Einreichungen. "Das war das erste Mal, dass die Jury einen zusätzlichen Bewertungsdurchgang ansetzen musste, weil zwei Einreichungen in einer Patt-Stellung waren", so Thum-Kraft über den Juryentscheid in der Kategorie "Wissenschaft und Forschung 2015".

Letztlich aber habe die Einreichung der drei jetzt ausgezeichneten Forscherinnen aus folgenden Gründen überzeugt: Neben sehr fundierten Literaturnachweisen und einer anerkannten Veröffentlichung haben die Autorinnen einen individuellen und zugleich methodisch wissenschaftlich fundierten Zugang gefunden, so Thum-Kraft. Im Rahmen der Forschungsarbeit seien sehr relevante Materialien und Unterlagen für die Erwachsenenbildung entwickelt worden. Zudem betonte sie die Aktualität des Themas und den kritischen Zugang der Autorinnen.

Signal für Relevanz des Themas "Migrationsgesellschaft"

Auf die Frage, was der Staatspreis für sie bedeute, sind sich die drei Forscherinnen einig: Er sei eine wichtige Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Arbeit im Feld der Erwachsenenbildung. Damit werde "junge und innovative Forschung gewürdigt und gefördert", so Ariane Sadjed. "Eine noch größere Bedeutung hat der Staatspreis aber für das von uns bearbeitete Thema, die Anerkennung der Kompetenzen von Fachkräften mit Migrationsbiographie", meint Brigitte Kukovetz.

Annette Sprung sieht das genauso. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage sei die Auszeichnung ein wichtiges Signal dafür, dass die Relevanz der Thematik "Migrationsgesellschaft" für die Erwachsenenbildung ins Blickfeld gerückt wird, so Sprung. "Dabei geht es aus meiner Sicht zum einen um die Förderung der Teilhabechancen von Migrant_innen, zum anderen aber auch um ein deutlicheres Engagement der Erwachsenenbildung gegen rassistische Diskurse und Praxen."

Kukovetz dazu: "Ich hoffe, dass diese Anerkennung nicht nur auf symbolischer Ebene verbleibt, sondern auch in der politischen und institutionellen Praxis Folgen zeigt. Dabei ist mir ein besonders wichtiges Anliegen, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Fachkräfte in der Erwachsenenbildung, deren Migrationsbiographien negative Stigmatisierungen mit sich führen - sei es durch die Herkunftsländer, durch Hautfarbe oder eine bestimmte Religionsausübung -, auf allen Hierarchieebenen und quer zu allen Themenbereichen, und nicht nur im Sprachunterricht, gefördert werden."

Ausblick: Weitere Forschungen geplant


Der Staatspreis bestärkt die drei Forscherinnen nach eigener Aussage darin, an diesem Thema weiterzuforschen, offen gebliebene Fragen zu analysieren und für die Erwachsenenbildungsinstitutionen und die Politik aufzubereiten. Sie wollen weiterhin Menschen mit Migrationserfahrung als kompetente Akteur_innen in der Erwachenenbildung, in der Wissenschaft und insgesamt in der Gesellschaft sichtbar machen. "Dies kann nur gelingen, in dem sich Wissenschaft und Erwachsenbildung auch ihrer eigenen Ausschlussmechanismen und Barrieren bewusst werden und an deren Abbau arbeiten", so Sprung.

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