Das Planspiel: Lernen für Krisen

08.08.2022, Text: Regina Senarclens de Grancy, Beraterin und Andrea Widmann, Initiative "Klimaschutz in der Erwachsenenbildung", Redaktion: Lucia Paar, Redaktion/CONEDU
Planspiele sind geeignete Lernsettings für Erwachsene, um den Umgang mit komplexen Krisen wie z.B. der Klimakrise zu lernen.
Beim Klimaplanspiel nehmen die Spielenden die Rollen von Verantwortlichen in Gemeinden ein.
Foto: Alle Rechte vorbehalten, beteiligung.st, auf erwachsenenbildung.at
Erwachsenenbildung kann (und muss) dazu beitragen, Krisenkompetenz aufzubauen, gesellschaftliche Transformation zu ermöglichen sowie Handlungskompetenz zu Klimaschutz zu stärken. Das Ich tu´s Klimaplanspiel bietet eine komplexe und gleichzeitig kontrollierte Lernumgebung sowie die Möglichkeit selbstgesteuert zu lernen, was laut Siebert (2003) differenzierte Lernprozesse fördert, die für den Umgang mit komplexen Krisen nötig sind.

 

Beim Klimaplanspiel nehmen die Spielenden die Rollen von Verantwortlichen in vier Gemeinden einer Region ein. Diese vier Gemeinden haben unterschiedliche ökonomische Entwicklungen und Umwelt-Altlasten. Spielziel ist, gemeinsam die Gesamtregion klima-fit zu gestalten und dabei die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Auge zu behalten.

Kompetenzen für den Umgang mit Krisen

In der Zusammenschau von Beiträgen der Erwachsenenbildung (Siebert 2003, Klemm 2012 - PDF), der Neurowissenschaft (Spitzer 2000, Urner 2021), der Wirtschaftspsychologie (Brudermann 2022) sowie der Ökonomie und Nachhaltigkeitsforschung (Göpel 2020, Otto et al. 2020) zeigt sich, dass alle Disziplinen ähnliche Kompetenzen fordern, um mit Krisen umzugehen und eine Transformation in eine nachhaltige Zukunft zu befördern. Für den Einsatz des Ich tu´s Klimaplanspiels haben wir dementsprechend folgende didaktische Ziele formuliert:

 

Teilnehmende…

  • erkennen die Kontextabhängigkeit ihrer Wahrnehmung,
  • können Komplexität von Klimawandel sowie langfristige Folgen verstehen,
  • entwickeln positive Zukunfts- und konkrete Handlungsperspektiven für eine nachhaltige Gesellschaft,
  • erleben die Wirksamkeit ihres eigenen Handelns,
  • erkennen die Notwendigkeit von Zusammenarbeit und Vorteile übergreifender Kooperation.

Wahrnehmung und Risikobewertung

Unsere Wahrnehmung - auch von Krisen und Klimawandel - hängt von unseren Erfahrungen und unserer Biografie ab (vgl. Siebert 2003). Wir halten das, was wir oft wahrnehmen, eher für wahr und relevant. Unbekanntes schätzen wir eher als Risiko ein. Deshalb wird die Klimakrise vor allem dort wahrgenommen, wo ihre Auswirkungen zu sehen sind. (vgl. Urner 2021)

 

In der Klimaschutzbildung sind daher Anschlusslernen - also das Einbeziehen der Perspektiven und Vorerfahrungen der Teilnehmenden - als auch exemplarisches Lernen zentrale didaktische Prinzipien.

Im Klimaplanspiel bieten die mehrfachen Spielrunden Gelegenheit, individuelle Perspektiven mit anderen auszutauschen und weiterzuentwickeln. Durch das mehrmalige Wiederholen von Entscheidungsszenarien kann der Umgang mit Risiken trainiert und verschiedene Auswirkungen von Entscheidungen exemplarisch erprobt werden.

Komplexes Wissen vermitteln

Das Gehirn verfügt über hohe Plastizität und ist in jedem Alter lernfähig (vgl. Siebert 2011 - PDF). Und Menschen sind grundsätzlich neugierig. Das Gehirn sucht nach Erklärungen, um Ungewissheit zu minimieren (vgl. Urner 2021).

 

Im Klimaplanspiel werden komplexe Zusammenhänge verständlich erklärt und Handlungsmöglichkeiten angeboten. Es werden Fachinformationen in Form von Factsheets zur Verfügung gestellt - und zwar immer dann, wenn Grundlagen für Entscheidungen notwendig sind, also in Situationen, wo die Spielenden zukünftige Entwicklungen beeinflussen sollen. Im Spiel werden damit Angebote gesetzt, sich mit Fakten auseinanderzusetzen, Argumente zu bedenken und erworbenes Wissen in Verhandlungen auch gleich selbst zu nutzen.

Positive Zukunftsperspektiven entwickeln

Exemplarisches Lernen ist in der Klimaschutzbildung auch daher zielführend, weil das erwachsene Gehirn am besten anhand guter Beispiele lernt (vgl. Spitzer 2000). Bei Erwachsenen ist das episodische und prozedurale Gedächtnis stärker ausgeprägt, daher ist „die Verschränkung kognitiver und emotionaler Prozesse“ (Siebert 2011) für die Erwachsenenbildung zentral. Unser Gehirn mag Geschichten, auch weil sie uns emotional berühren und daher besser erinnert werden. Unsere Gesetze, Religionen, Vorstellungen vom Wirtschaftsleben teilen wir kollektiv über Geschichten (vgl. Urner 2021).

 

Im Klimaplanspiel wird unter anderem sichtbar, dass unterschiedliche Überzeugungen in Entscheidungsprozesse einfließen. Die Teilnehmenden üben, wie man diese Ambivalenzen austarieren kann, und sie lernen Abwägungen in Zielkonflikten vorzunehmen. Sie formulieren kraftvolle Visionen für die gemeinsame Zukunft der Region, um auch andere auf dem Weg der Transformation mitzunehmen. Dabei wird offensichtlich, dass über Gemeindegrenzen hinweg große Veränderungsprozesse nur langfristig erreichbar sind und ein positives Zukunftsbild dafür hilfreich ist.

Wirksamkeit erleben

Im Erwachsenenalter wird Wissen leichter gelernt, wenn es als sinnvoll, wichtig und bedeutsam eingeordnet wird (vgl. Siebert 2011). Das Klimaplanspiel bietet die Möglichkeit, sich über die eigenen persönlichen Verhaltensweisen hinaus mit Strukturen und Systemen auseinanderzusetzen, die klimafreundliches Handeln erleichtern oder erschweren (vgl. Brudermann 2022). Im Klimaplanspiel erleben die Teilnehmenden unmittelbar, wie sich die von ihnen getroffenen Entscheidungen auf Nachhaltigkeitsziele auswirken und wie eine Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften möglich wird. Durch unmittelbare Feedbacks nach  jeder Spielrunde erleben Teilnehmende, wie sie durch eigene und gemeinsame Entscheidungen und Aktionen erfolgreich sein können und wie ökonomische, soziale und ökologische Überlegungen in Wechselwirkung miteinander stehen.

Kooperation erlernen und einüben

Da Teilnehmende von Bildungsveranstaltungen sehr Unterschiedliches wahrnehmen (vgl. Spitzer 2000), ist Austausch und Zusammenarbeit von großer Bedeutung für das Lernergebnis. Außerdem brauchen Menschen als soziale Wesen auch das Gefühl von Zugehörigkeit. Kooperation hilft dabei, das eigene und kollektive Selbstwirksamkeitsgefühl zu stärken. Wenn Menschen sich als Teil einer großen Bewegung fühlen, erfüllt das ihr Bedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit und stärkt ihre Handlungsfähigkeit (vgl. Urner 2021).

 

Das Klimaplanspiel erfordert Kooperation in vielfältiger Weise. Auf der Ebene der Gemeinde müssen knappe Ressourcen gebündelt und gemeinsam Schwerpunkte gesetzt werden. Eindrücklich zeigt sich dabei auch, dass einerseits ein großer Handlungsspielraum durch gute Finanzausstattung die Chance für Transformation erleichtert, während eine prekärer Finanzlage eine nachhaltige Zukunft als kaum erreichbar erscheinen lässt. Nachhaltige Entwicklung ist im Spiel nur möglich, wenn finanzstarke Gemeinden auch in den Ausbau von nachhaltigen Anlagen in finanzschwachen Gemeinden investieren, wenn sie also übergreifend für ein größeres Ziel kooperieren. Gemeinsame Erfolge gegen die Klimakrise werden als Ergebnis des gelungenen Austausches und der Kooperation erlebt.

 

Über die Autorinnen

Regina Senarclens de Grancy ist Juristin und Beraterin für Sozialwirtschaft, Politik und Verwaltung, spezialisiert auf soziale Innovationen. Als Teilnehmerin im Projekt Klimaschutz in Training und Beratung wird sie bei der Ich tu´s Fachtagung des Landes Steiermark als Ich tu´s Bildungspartnerin ausgezeichnet.

 

Andrea Widmann koordiniert das Projekt Klimaschutz in Training und Beratung gemeinsam mit Ecoversum. Das Projekt wurde 2021 mit einem nationalen Bildungsaward ausgezeichnet.

 

Serie zu Klima- und Umweltschutzbildung auf erwachsenenbildung.at

Hochwasser, Waldbrände, Hungersnot – Expert*innen der Klimaforschung warnen vor den Folgen extremer Wettereignisse durch den Klimawandel. Verschiedene politische Strategien wie etwa der UN-Aktionsplan Agenda 2030 versuchen, dieser Herausforderung zu begegnen. Dabei sehen sie auch Bildungsinstitutionen gefordert, Aufklärungsarbeit zu leisten, Diskurse zu ermöglichen und "grüne" Kompetenzen zu fördern. Wo setzt hier die Erwachsenenbildung an? In der Serie "Klima- und Umweltschutzbildung" versammeln wir Beiträge, die sich dieser Frage widmen und Antworten geben.

Weitere Informationen:
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