Bildungsinformation für Asylsuchende und MigrantInnen

16.12.2017, Text: Lucia Paar, Redaktion: Wilfried Frei, Redaktion/CONEDU
Menschen mit Migrationserfahrung brauchen adäquate Bildungsinformation. Was wissen wir über sie, das dabei helfen könnte?
Was wissen wir über Menschen, die neu in Österreich sind und was erschwert eine zielgerichtete Beratung über Bildungsfragen?
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Der Arabische Frühling und die darauffolgenden Unruhen im arabischen Raum führten vor allem im Jahr 2015 zu starker Migration nach Europa. Im Zuge dessen richtete eine breite Öffentlichkeit in der Erwachsenenbildung verstärkt den Fokus auf Bildungsangebote, aber auch Informations- und Beratungsformate für MigrantInnen. Was aber wissen wir über Menschen mit Migrationserfahrung und insbesondere über die Menschen, die als Asylsuchende zu uns kommen, das dabei helfen kann, Bildungsinformation und Bildungsberatung so zu gestalten, dass man die Menschen auch mit relevanten Informationen erreicht? Dieser Frage ist CONEDU im Rahmen eines von ESF und BMB geförderten Projektes nachgegangen, um die Bildungsinformation auf erwachsenenbildung.at für Betroffene künftig zugänglicher zu machen.

 

Schnell wurde klar, dass es augenblicklich wenig zuverlässige und vor allem wenig aktuelle Daten gibt. Auch stehen alle, die informieren und beraten wollen vor dem Dilemma, dass den womöglich ermittelten Bedarfen nicht immer auch ein Angebot gegenübersteht. Erforderliches Wissen ist oft sehr spezifisch und nicht breit verfügbar. Auch erwachsenenbildung.at blieb daher im Sommer 2016 fürs Erste nur der Verweis auf jene Beratungsstellen, wo geholfen werden kann - und zwar möglichst in der Erstsprache der Betroffenen.

 

Mangel an validen Daten für Österreich

Die meisten Daten zu den Asylsuchenden stammen aus Deutschland. Der Mangel an validen Daten für Österreich sei eine wesentliche Herausforderung für das Erwachsenenbildungssystem, so Gudrun Biffl - Inhaberin des Lehrstuhls für Migrationsforschung an der Donau Universität Krems - im Magazin erwachsenenbildung.at.

 

Um den Bildungsbedarf der geflüchteten Menschen abschätzen zu können,
wären umfassende Informationen zur Alters- und Geschlechtsstruktur, zum Gesundheitszustand, zum Bildungsniveau und den beruflichen Kompetenzen
erforderlich. Personen mit adäquater Bildungsinformation und Bildungsberatung zu erreichen, wird dadurch erschwert.

 

Eine Abschätzung ist darüber hinaus auch aufgrund der hohen Diversität der Zielgruppe schwierig. Gudrun Biffl weist darauf hin, dass die Diversität nicht nur aus der Vielfalt der Herkunftsländer resultiert, sondern auch aus unterschiedlichen Migrationserfahrungen sowie aus unterschiedlichen Aufenthaltsrechten und den damit verbundenen Zugangsrechten zu Bildung und Arbeit.

 

Damit kommen noch andere strukturelle, wenig erforschte Mechanismen hinzu, wie beispielsweise die geringere Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Frauen gegenüber Männern, trotz eines vergleichsweise höheren Bildungsniveaus. All dies erschwert eine gute Einschätzung der Bildungsbedarfe und -bedürfnisse.

 

Zweite Generation nähert sich an einheimisches Bildungsniveau an

Nähern wir uns dennoch der Recherche. Daten der Statistik Austria zeigen beispielsweise, dass ca. 27% der Personen mit Migrationserfahrung als höchste Ausbildung einen Pflichtschulabschluss haben, ähnlich viele eine abgeschlossene Lehre. 8,4% verfügen über einen berufsbildenden mittleren Abschluss, 18,6% über einen Abschluss einer höheren Schule. Der Anteil an Hochschul-AbsoventInnen liegt bei 18,6%.

 

Das Bildungsprofil von Angehörigen der Zweiten Generation nähert sich an jenes von Personen ohne Migrationserfahrung an. Lediglich Pflichtschulabschlüsse als höchste Abschlüsse findet man bei Personen mit Migrationserfahrung häufiger als bei 25- bis 64-Jährigen ohne Migrationserfahrung. Weniger Abschlüsse gibt es bei der zweiten Generation im Hochschulbereich. In der ersten Generation liegt der Anteil an Hochschulabschlüssen noch bei 19,3%, und ist damit höher als bei Personen ohne Migrationshintergrund (16,4%).

 

Der Migrationsrat Österreichs weist darauf hin, dass sich Bildungsabschlüsse von MigrantInnen in Österreich deutlich nach dem jeweiligen Herkunftsland unterscheiden. Dabei gibt es im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung sowohl mehr MigrantInnen in den niedrigsten, als auch in den höchsten Bildungsstufen.

 

Leider sind die verfügbaren Daten hierzu nicht aktuell. Die meisten großen Erhebungen fanden vor 2015 statt. Berücksichtigt man die geflüchteten Menschen, die seit 2015 nach Österreich gekommen sind, zeigt sich ein anderes Bild.

 

Niedrigeres Bildungsniveau bei AfghanInnen

In der DiPAS-Studie ist zu lesen, dass der Anteil der geflüchteten Personen, die keinen Schulabschluss haben, bei etwa 15% für alle Befragten liegt. Dieser Anteil ist niedriger unter Personen aus Syrien (7%) und dem Irak (9%), bei Geflüchteten aus Afghanistan ist er höher (25%).

 

Bei den höchsten erzielten Bildungsabschlüssen zeigt sich, dass 47% der Befragten zumindest über höhere Sekundarbildung und 26% über höhere Bildung verfügen. Hohe Unterschiede zeigen sich zwischen den Nationalitäten: Während 53% der syrischen und 46% der irakischen Befragten zumindest höhere Sekundarbildung aufweisen, liegt dieser Anteil bei den AfghanInnen unter 30%.

 

Ein ähnliches Bild zeigt die Bilanz des AMS nach einem Kompetenzcheck 2016. Nach Herkunftsländern betrachtet, weisen die TeilnehmerInnen aus Syrien, dem Iran und Irak die höchsten Qualifikationen auf. Am schlechtesten qualifiziert sind die Kompetenzcheck-TeilnehmerInnen aus Afghanistan: Nur 20% von ihnen haben eine über die Pflichtschule hinausgehende Ausbildung, 30% haben die Pflichtschule, 25% die Volksschule (max. 5 Schulstufen) besucht. 25% haben keine formale Schulbildung erhalten.

 

Das Bildungsniveau der Frauen war bei dieser Erhebung des AMS höher als jenes der Männer. Der Akademikerinnenanteil betrug bei Syrerinnen 31% (bei Männern 24%), bei Iranerinnen 47% (bei Männern 33%), bei Irakerinnen 38% (bei Männern 32%) und Afghaninnen 8% (bei Männern 4%).

 

Arabisch als häufigste Erstsprache bei Geflüchteten - geringe Deutschkenntnisse

17% der Bevölkerung mit Migrationserfahrung hatten in Österreich im Jahr 2014 Deutsch als Muttersprache, mehr als drei Viertel eine andere Muttersprache als Deutsch. Davon beherrschten 21% Deutsch ausgezeichnet, ein Drittel verfügte über fortgeschrittene und drei Zehntel über durchschnittliche Deutschkenntnisse. Ein Sechstel hatte keine bzw. geringe Deutschkenntnisse.

 

Es ist anzunehmen, dass die Deutschkenntnisse bei Asylsuchenden noch geringer sind. Im deutschen IAB-Forschungsbericht gaben 2016 über 90% der Befragten an, dass sie vor der Einreise über keine Deutschkenntnisse verfügten. Etwas höher lag der Anteil bei englischen Fremdsprachenkenntnissen: 29% der Geflüchteten können Englisch demnach "gut" oder "sehr gut" lesen, 24% "gut" oder "sehr gut" schreiben. Dass dies in Österreich ähnlich ist, lässt sich vermuten.

 

Mit 44% ist Arabisch die häufigste Erstsprache der Asylsuchenden in Deutschland, gefolgt von Kurdisch (14%) und Persisch (Dari und Farsi zu 10 %). Fast alle Befragten gaben an, dass sie ihre Muttersprache "gut" oder "sehr gut" sprechen können. Etwa 80% können sie auch "gut" oder "sehr gut" schreiben oder lesen. Auch hier kann man eine Übertragbarkeit auf Österreich mutmaßen.

 

Geringe Bildungsbeteiligung von geflüchteten Menschen

Insgesamt stieg laut Statistik Austria die Bildungsbeteiligung von im Ausland geborenen Personen zwischen 2009 und 2014 von 58% auf 63%. Die höchste Bildungsbeteiligung erreicht dabei mit 72% die Gruppe der langjährigen EU-Mitgliedsstaaten (Beitritt vor 2004) und der EFTA-Staatsangehörigen.

 

Anzunehmen ist, dass die Bildungsbeteiligung von geflüchteten Menschen noch vergleichsweise gering ist, wenn man die Werte der deutschen IAB-Studie betrachtet: 5% der erwachsenen Geflüchteten besuchen demnach Schulen und Hochschulen oder machten eine berufliche Ausbildung in Deutschland. Die AutorInnen geben aber zu bedenken, dass sich unter den Befragten noch ca. 55% in Asylverfahren befanden. Zudem wären Deutschkenntnisse häufig noch zu gering, um Bildungseinrichtungen zu besuchen, so die Studie. Das dürfte sich für Österreich tendenziell nicht anders darstellen.

 

Wunsch nach Arbeit und beruflicher Aus- und Weiterbildung

Bildungsbedürfnisse sind schwer zu erfassen, da die Gruppe der MigrantInnen sehr heterogen ist und die Bedürfnisse kurz nach der Einreise wohl noch andere sind als bei Menschen, die sich schon länger im Land aufhalten. Über die Asylsuchenden in Österreich kann man aber zumindest sagen, dass die Berufsbildung eine wichtige Rolle spielt. 2015 fragten die AutorInnen der DiPAS-Studie geflüchtete Personen nach ihren Zukunftsplänen in Österreich. Die meisten der Befragten gaben an, eine Arbeit suchen zu wollen. Jüngere wünschen sich vermehrt, die Schule oder ihr Studium fortzusetzen.

 

Auch die Praxis zeigt, dass Informationen zu Berufs- und Bildungsangeboten sowie zu den strukturellen Gegebenheiten von Bildung und Arbeitsmarkt nachgefragt sind. "Was bedeutet Ausbildung und Beruf in Österreich? Welche Angebote gibt es überhaupt?" seien oft die ersten, brennenden Fragen, so Christine Weiss, Sozialpädagogin bei ISOP, im wEBtalk am 29. Juni. Kenntnisse des österreichischen Arbeitsmarktsystems, der Berufs- und Bildungsperspektiven sowie der Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten fehlen MigrantInnen häufig. Aber auch implizite, nicht ausgesprochene Kenntnisse und Normen der Ankunftsgesellschaft kennen sie oft nicht.

 

Strukturelle Hürden erschweren zielgerichtete Beratung

Wenden wir den Blick zur Bildungsberatung für die erwähnte Zielgruppe. Die meisten in Österreich vom BMBWF geförderten Angebote zur Bildungsberatung für junge Flüchtlinge (Zielgruppe des Förderaufrufs) gab es 2017 an den Grenzen der Durchzugsrouten - im Burgenland und in Salzburg. Die Beratung von AsylwerberInnen, die letztendlich nicht in einer Sackgasse ohne adäquates Bildungsangebot oder Aussicht auf Beschäftigung enden soll, gestaltet sich herausfordernd, wie man von Bildungsberatungsstellen hört.

 

Durch den "Bartenstein-Erlass" von 2004 dürfen AslywerberInnen in Österreich nicht arbeiten (ausgenommen sind Tätigkeiten in der Saison- oder Erntearbeit). Auch das Bildungsangebot ist für AsylwerberInnen eingeschränkt. Die gesetzliche Ausbildungspflicht bis 18 Jahre gilt für AsylwerberInnen nicht. Bis zu einem Alter von 25 Jahren können sie allerdings eine Lehre in einem Mangellehrberuf antreten.

 

Nach positivem Ausgang des Asylverfahrens bzw. der Gewährung von subsidiärem Schutz erhalten die Personen einen individuellen Integrationsplan, bestehend aus Deutsch- und Wertekursen. Ziel ist dann eine schnelle Eingliederung in den Arbeitsmarkt - ein Hoffnungsschimmer für Betroffene: "Viele Menschen erwarten sich vom Wiener Arbeitsmarkt aufgrund seiner Größe die besten Chancen und von der Bundeshauptstadt die tragfähigsten Netzwerke ihrer Communities. Zugleich aber bietet der Wiener Arbeitsmarkt für Menschen ohne österreichischen Bildungsabschluss nur geringe Möglichkeiten.", so AMS-Wien-Chefin Petra Draxl in der Presseaussendung des AMS.

 

Nicht jede Aus- oder Weiterbildung, die man im Herkunftsland abgeschlossen hat, wird auch in Österreich anerkannt. Dies erschwert eine adäquate Berufseinstufung. Daneben wird auch häufig gar kein Antrag auf Anerkennung gestellt. Dies zeigt eine Studie des Fachbereichs Soziologie der Universität Salzburg aus dem Jahr 2015: Neben fehlenden Informationen und Unklarheiten über die zuständigen Stellen kommt hinzu, dass benötigte Unterlagen oft fehlen oder Zweifel darin besteht, dass eine Anerkennung bessere Chancen am Arbeitsmarkt bietet. Folgt man diesen Ergebnissen, braucht es Maßnahmen, die über einen formalen Anerkennungsprozess hinausgehen und auch non-formale und informelle Kompetenzen berücksichtigen.

 

Aktuelle Daten und nachhaltige Strukturen für gezielte Bildungsinformation

Zielgerichtete Bildungsinformation zur Verfügung zu stellen, ist nicht immer einfach. Wie sich Bildungsberatung mit geflüchteten Menschen gestaltet und welche Erfahrungen es dazu gibt - damit beschäftigt sich gerade das Österreichische Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) mit seinen ProjektpartnerInnen. Der Bericht mit dem Arbeitstitel "Bildungsberatung für geflüchtete Jugendliche im Jahr 2017. Ergebnisse und Erfahrungen" wird im neuen Jahr vorliegen. Er gibt Einblick in die Bildungsberatung und zeigt womöglich auch nützliche Informationen zur Zielgruppe auf, die dabei helfen, Bildungsinformation sinnvoll zu gestalten.

 

Festzuhalten ist jedenfalls, dass es durchaus viele Daten zu Personen mit Migrationserfahrung gibt - die meisten sind aber nicht aktuell oder betreffen eine spezifische Zielgruppe. Große Studien stammen zudem vor allem aus Deutschland. Erschwerend kommt hinzu, dass es für die Bedarfe bzw. Bedürfnisse nicht immer ein passendes Angebot gibt.

 

Alles in allem braucht es noch valide Informationen über Personen mit Migrationserfahrung als Zielgruppe von Bildungsinformation und -beratung in Österreich, sowie ein System, in dem Beratung auch wirksam werden kann, damit man Menschen in Österreich mit Informationen erreicht, die sie handlungsfähig machen.

 

Weitere Informationen:

 


  

Erstellung des Artikels gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und des Europäischen Sozialfonds.

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