Demokratie lernen in Werkstätten: Ein Konzept für ein besseres Miteinander

Demokratische Strukturen seien selten so gefährdet gewesen wie heute, meint die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack. Ökonomische Ungleichheiten nehmen zu, populistische Ideen gewinnen an Zuspruch und das Vertrauen in das politische System schwindet, so Prainsack weiter. Immer wieder stellt sich in diesem Kontext die Frage, was die Erwachsenenbildung gegen die postulierte „Krise der Demokratie“ tun kann. Klar ist: Die Erwachsenenbildung kann das Problem nicht allein lösen. Sie bietet jedoch Spiel- und Möglichkeitsräume, um demokratische Haltungen zu erlernen. Das zeigt etwa das in Deutschland entwickelte Format der Demokratiewerkstätten, in denen Menschen aus ihren Lebenswelten heraus selbstorganisiert politische Inhalte gemeinsam thematisieren, diskutieren und ins Handeln kommen.
Von der Themendiskussion zur konkreten Aktion
Demokratiewerkstätten sind selbstorganisierte und gleichzeitig betreute Arbeitsgemeinschaften. In ihnen kommen Menschen freiwillig zusammen und erschließen aus ihren eigenen Lebenswelten und Interessen politische Themen. Das Thema ist dabei nicht im Vorhinein festgelegt, sondern ergibt sich aus der gemeinsamen Diskussion. Beispiele dafür sind, Ideen für ein gutes Miteinander zu denken oder gemeinsame Vorstellungen für ein gutes Miteinander am Lebensort zu entwickeln.
Es handelt sich dabei aber nicht um Einzelveranstaltungen mit Diskussion. Die Idee ist vielmehr, dass ausgehend vom ersten Treffen weitere Veranstaltungen oder Treffen über einen längeren Zeitraum stattfinden, in denen die Teilnehmer*innen konkrete Aktionen vor Ort planen und umsetzen. Ergebnis kann etwa ein direkter Austausch mit lokalen Politiker*innen sein, die die Teilnehmer*innen der Demokratiewerkstatt letztlich in konkrete politische Entscheidungsprozesse einbinden.
Demokratiewerkstätten planen und gestalten
Eine Demokratiewerkstatt beginnt in der Regel mit einer Auftaktveranstaltung, welche von den jeweiligen Initiator*innen organisiert und ausgeschrieben wird. Beispielsweise haben in Hessen die Volkshochschulen über einen Projektraum über drei Jahre hinweg Demokratiewerkstätten initiiert und das Format erprobt. Dabei haben Erwachsenenbildner*innen das erste Treffen didaktisch-methodisch aufbereitet. Teilnehmer*innen konnten Ideen und Vorstellungen anhand eines Stationenbetriebs vortragen und sammeln. Anschließend fassten die Lehrenden diese Themen zusammen. Die Auftaktveranstaltungen fanden jeweils in einer öffentlichen Bibliothek statt. Nach der Themensammlung – dort ergaben sich Schwerpunkte wie Schule, Demokratie und Medien – wurden weitere Termine gemeinschaftlich vereinbart, so die Projektleiter*innen.
Didaktische Prinzipien: selbstorganisiert, lebenswelt- und prozessorientiert
Ziel von Demokratiewerkstätten ist es, einen niederschwelligen und breiten Zugang zur politischen Bildung zu schaffen und auch Menschen anzusprechen, die für gewöhnlich nicht an politischer Bildung teilnehmen. Sie sind daher aufsuchende Bildungsformate, die im vertrauten Lebensumfeld der Menschen, in ihrem „Sozialraum“, stattfinden.
Demokratiewerkstätten bauen auf dem Erfahrungswissen der Teilnehmenden auf und verstehen Bildung als selbstorganisierten, prozessorientierten Zugang zu politischen Themen. Wichtige Prinzipien von Demokratiewerkstätten sind Offenheit, Lebensweltbezug, Interdisziplinarität, die Förderung kritischer Reflexion sowie die Stärkung gesellschaftlicher Teilhabe, so Alexander Wicker von den hessischen Volkshochschulen.
Wie Demokratiewerkstätten Menschen zusammenbringen: Ein Praxisbeispiel aus Deutschland
Im Jahr 1997 entwickelte der deutsche Verein Büdinger Kreis e. V. das hier beschriebene Konzept der Demokratiewerkstätten für den Bereich der schulischen politischen Bildung. Jahre später wurden sie auch in der außerschulischen und informellen politischen Erwachsenenbildung etabliert, wie Projekte aus Deutschland zeigen.
Die Demokratiewerkstatt in Krefeld beispielsweise bringt unterschiedliche Menschen aus einem Stadtteil zusammen: Bewohner*innen aus verschiedenen Milieus und in unterschiedlichen Lebenslagen sowie Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung sollen in der Demokratiewerkstatt zusammenkommen. Gemeinsam erörtern sie Konzepte für ein harmonisches Miteinander und erarbeiten kollektiv Visionen für das Leben im Stadtteil. Ziel dieser Demokratiewerkstatt ist es, den Austausch zwischen Bevölkerung und Politik zu stärken und politische Entscheidungen transparenter und gemeinschaftlicher zu gestalten.
In Deutschland ist das Konzept weiter verbreitet als in Österreich, wie Praxisbeispiele des Bündnisses „Demokratiewerkstätten im Quartier“ zeigen. In Österreich bietet das Parlament eine Demokratiewerkstatt für Schulen und Vereine an, die sich an Kinder und Jugendliche richten und didaktisch in erster Linie auf Wissensvermittlung ausgerichtet sind.
Nachrichtenserie „Demokratiebildung in der Erwachsenenbildung“
Der Sturm auf das US-Kapitol im Jahr 2021, Angriffe auf deutsche Politiker*innen während des EU-Wahlkampfes und das Erstarken demokratiefeindlicher Bewegungen zeigen, wie tief die Demokratie in der Krise steckt. Wie können wir sie schützen und gestalten? Unsere Nachrichtenserie beleuchtet, welche Rolle Demokratiebildung dabei spielt und informiert über Neuigkeiten, Projekte und Publikationen.
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